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Blaue Fabrik

Mitten ins Gesicht

Die Tür geht auf. Drei Kerle wie Schränke stapfen herein. Finstere Blicke. Mein Tisch ist der einzige, an dem noch Platz ist. Sie fragen nicht. Sitzen schon. Lachen. Der lauteste und brutalste nimmt meine Zigaretten. Fischt eine heraus und wirft mir die Schachtel an den Kopf.

In einem Anfall von Waghalsigkeit schleudere ich die Kippen-Packung zurück auf den Tisch. Großer Fehler!

Der Typ schnaubt vor Wut, erinnert mich an einen Stier. Die Tätowierung am Hals pulsiert. Mit einem Ruck springt er auf. Der Stuhl fällt polternd in den Gang. Er nimmt meinen Bierhumpen und gießt mir den Inhalt mitten ins Gesicht. Gleich wird dort wohl auch eine seiner Fäuste landen.

Konzertklause auf der Alaunstraße - Foto: Lothar Lange
Konzertklause auf der Alaunstraße – Foto: Lothar Lange

Lieblingskneipe Konzertklause

In den frühen 1990er Jahren gab es in der Neustadt eine Reihe rustikaler Kneipen. Die Konzertklause auf der Alaunstraße gehörte definitiv dazu. Heute werden dort im Boys Cocktails serviert.

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Blitzumzug

Ich liebte die Klause, mehr als die benachbarte Happeldiele oder die Goldquelle weiter unten auf der Alaunstraße.

Denn hier in der Konzertklause gab es einen Wirt, der auch optisch eine Menge her machte. Ein vierschrötiger Kerl, immer im Lederkittel und beim Bierzapfen legte er in einer unnachahmlichen Art die Stirn in Falten. Er war dabei aufs Höchste konzentriert, damit auch kein Tropfen daneben ging.

Der alte Kellner, zwar nicht der Schnellste, aber immer korrekt mit Weste und weißem Hemd. Er kannte alle Gäste, wusste was sie trinken. Ich bekam mein Pils schon an den Tisch, kaum dass ich mich gesetzt hatte. Und das Schnitzel mit Bratkartoffeln war stets schmackhaft und preiswert.

Ich liebte die Klause aber auch wegen der Leute, die dort waren. An einem großen, runden Tisch saßen fast jeden Abend fünf Frauen, alle weit über die Fünfzig, und spielten Rommé. Die eine kam immer etwas später, da lag ihr Bier schon auf der Heizung und jedes Mal erklärte sie entschuldigend, dass ihrem Magen dieses „kalte Zeug“ einfach nicht bekommt.

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Kieferorthopädie

Am gegenüberliegenden Tisch saßen die schweren Jungs, deren Gesichtszüge eine bewegte Vergangenheit verrieten. Ebenso die schlichten Tattoos und die Narben an den Armen. Es kamen aber auch die Neuzugezogenen her, die Studenten, die Hausbesetzer und meist kamen alle gut miteinander aus. Bis zu eben jenem Abend zu Christi Himmelfahrt 1992.

Geheimnisvoller Schlichter

Nun stehe auch ich auf. Ich triefe. Der Typ steht mir gegenüber. Doppelt so schwer und bestimmt dreimal so groß. Ich zittere, vor Wut und Angst. Langsam schiebe ich mich an der Wand lang, gehe nach hinten zum Tresen, bestelle ein neues Bier. Der alte Kellner heißt mich warten. Er hat alles mitbekommen und geht nach vorne. An dem nassen Tisch angelangt, sagt er drei Worte und die Kerle stehen auf und verschwinden. Ich bekomme ein neues Bier und mein Schnitzel, die Klamotten trocknen langsam.

Bis heute habe ich keine Ahnung, wie es dem schmächtigen alten Kellner gelungen ist, mit wenigen Worten die brutale Meute aus der Kneipe zu komplimentieren.

Konzertklause 1990 - Foto: Lothar Lange
Konzertklause (Personen im Bild haben nichts mit der Geschichte zu tun) – Foto: Lothar Lange

War früher alles besser?

  • Als kleine Erinnerungsstütze an die frühen 1990er Jahre werde ich in loser Folge ein paar Geschichten über die wilde Zeit von damals veröffentlichen.
  • Alle Geschichten unter #Früher-war-alles-besser? oder in den Büchern „Anton auf der Louise“ und „Anton und der Pistolenmann“
Alaunstraße in den frühen 1990er Jahren
Alaunstraße in den frühen 1990er Jahren

19 Kommentare

  1. ach ja schöne zeit, ich hab gern am eingang auf den lederbänken (sofas ?) gesessen. legendär auch das herren pissoir, einfach eine geteerte wand mit abfluß am boden.
    leider endete die kneipe durch einen tragischen unfall der betreiberinnen.

  2. in der konzerti wurden seinerzeit von den gästen auch noch solche längst vergessenen rituale wie kümmerling-kreise-trinken gepflegt. die großen tische eigneten sich hervoragend dafür.

    das schnitzel mit bratkartoffeln war nicht nur schmackhaft, sondern das beste der neustadt.

    und es war nicht so schmuddelig wie im goldenen hufeisen.

  3. Dort habe ich Skat spielen und „trinken“ gelernt. Danke für den Artikel, habe lange nicht mehr daran gedacht.

  4. Hm. Diese Geschichte kommt mir irgendwie bekannt vor. Lief die nicht schon mal in deinem Blog, Anton? Vor vielen Jahren?

  5. der klügere gibt nach. vielleicht würde es ansonsten heute kein geflüster geben. auch dem wirt sei dank.

  6. Wusst ich doch gleich, dass ich das schon mal gesehen hatte. Schöne Geschichte in jedem Fall, die alte Erinnerungen weckt. Die gute alte Neustadt…

  7. Der Kellner hat den Jungs von Dekadance, die dort Ihren Mittagstisch Einnahmen, und Limo bestellt hatten,
    Schlurfend, denn so ging er immer, Bier auf den Tisch gestellt, mit dem Kommentar: Verarschen kann ich mich alleine!

  8. Ich habe einige meiner schönsten Jahre (1970-1974) in Dresden als Student verbracht und in der Gerokstraße gewohnt.
    Nachdem wir unsere täglichen „Arbeiten“ verrichtet hatten, sind wir meistens auf „ein“ Bier in die Alaunstraße gegangen.
    Dabei war die Konzertklause unser Stammlokal.
    Die erwähnten Schnitzel mit Bratkartoffeln waren wirklich die Besten in ganz Dresden.
    Für Stimmung hatte jeden Abend Heino Wittfeld mit seinem Einmann-Orchester gesorgt und sowjetische Armisten, die zur Stammkundschaft gehörten, haben oft dazu gesungen.
    Ich vermisse diese Zeit sehr.
    Auch im Goldenen Hufeisen, wo es zu dieser Zeit wirklich noch sehr preiswerte Gerichte mit Pferdefleisch gab, war immer etwas los.
    Ich erinnere mich daran, daß einmal das Inventar zerschlagen wurde und die Bedienung in Form einer Kellnerin an den Beinen durch die Kneipe geschleift wurde.

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