Ich muss die Augen zweimal aufreißen. Nein, vorne auf der Bühne stehen nicht vier Herren mit Plateau-Schuhen und schwarz-weiß geschminkten Gesichter. Doch die Melodie stimmt. Der Text auch, na fast: „I was made for … “ Und was singen die da jetzt? „Amore, Chica“? Sind die denn komplett durchgeknallt. Neben mir nur begeisterte Gesichter. Kein Wunder, die sind alle so jung, die kennen das Original gar nicht mehr. Und schon ist Zeit für den nächsten Refrain. Der Sänger reißt die Gitarre hoch und schmettert ins Mikrofon, neben ihm greift eine junge Frau behände in die Tasten ihres Akkordeons. Kiss – wer ist das denn? Here are the Beez.
Ich bin mal wieder bei den Buden. Heute hat es mich auf ausdrückliche Empfehlung der Programmheftverteilerin in das rote Zelt verschlagen. Und liebe Leser, falls ihr das nicht gesehen habt, kann ich nur sagen, Pech gehabt. Es fing ganz brav und zärtlich an, ein netter Countrysong weckte Erinnerungen an „O Brother, Where Art Thou“. Das Publikum schunkelte brav mit. Doch die Berliner Truppe legte nach, mit jedem Song stieg die Stimmung. Das Kiss-Cover habe ich schon erwähnt, den würdigen Höhepunkt feierte der Song „Jolene“, die Melodie, gemopst von Dolly Parton, der Text angepasst auf Berliner Verhältnisse des 21. Jahrhunderts. Der krönende Abschluss: „Ich liebe Musik“ – das Publikum gibt den Klatschweltmeister und singt begeistert mit. Heute Nacht sind „The Beez“ nochmal im Festival-Club zu erleben. Wer das verpasst, kann sich vielleicht noch mit diesem Video trösten, allerdings ohne die herrliche Kiss-Einlage.
Noch etwas benommen taumle ich aus dem Zelt und sehe mich mit einer endlosen Echsen-Schlange konfrontiert. Ach nee, dann vielleicht doch nächstes Jahr. Soll aber Klasse sein und mit einer Drei-Viertel-Stunde Anstehzeit war man gestern sicher drin.
Stattdessen widme ich mich lieber den geistigen Getränken und Beobachtungen. Die Kapelle Romantika spielt auf und mit Staunen und Bewunderung verfolge ich die unglaubliche Harmonie der vier Gitarristen rund um den weiß gewandeten Akkordeon-Spieler. Dieses Zieh-und-Drück-Instrument scheint ohnehin die Buden zu beherrschen, auch am Karussel gibt es die Tonlage an. Doch zurück zu den Beobachtungen. Der Schaubudensommer ist immer auch für die private Schau gut. Es scheint als ob hier alle Neustädter Singles ihr Outfit zu Markte tragen. Herren betonen ihre Bauchmuskeln, glänzen mit gewaschenen Haaren und plaudern charmant. Die Damen kombinieren gern blitzende Unterwäsche mit knappen Trägertops und lächeln Fremden galant zu. Verlegen wende ich mich ab und widme mich lieber wieder den romantischen Klängen rund um die Quetschkommode. Und bin jetzt janz schön aleene ohne Jolene.
wieder klasse geschrieben, allerderdings mit einer dreisten Lüge eingebaut: “ Verlegen wende ich mich ab “
In diesem Sinne
Ali