Die drei Punks staunten nicht schlecht, als sie gestern am Carolaplatz entlangschlurften. Am Sarrasani-Brunnen hatten sich rund 150 Senioren und vier jüngere Personen eingefunden. Eine Demo? Thügida auf Abwegen oder Günther Zieschong in der Nähe? Nichts dergleichen. Der Hobby-Historiker Christoph Pötzsch hatte zur Stadtführung eingeladen. Thema: „Die Innere Neustadt“.
Für fünf Euro soll es eine gut zweistündige Stadtführung geben. Da ich diesen Teil der Neustadt leider viel zu stiefmütterlich behandle, kam mir die Führung ganz gut zupass. Mit einem solchen Andrang hatte ich jedoch nicht gerechnet. Bei anderen Stadtführungen durchs Viertel ziehen in der Regel 20 bis 30 Leute herum. Und dann das Alter der Teilnehmer. Auf einmal fühlte ich mich richtig jung. Zwei Damen waren sogar mit Rolator dabei. Doch die Rentner erwiesen sich als ausgesprochen vital. An fast jeder Station waren sie wieder vor mir da.
Die Menge macht Pötzsch nix aus, denn der weißhaarige Herr ist mit einer guten Stimme gesegnet und dank mitgebrachter Klappleiter war er stets gut zu sehen und zu hören.
Innere Neustadt
Die Innere Neustadt ist, grob gesehen, der Bereich zwischen Albertplatz und Goldenem Reiter, auch als Barockviertel bekannt. Die Gegend hieß früher mal Altendresden. Nach einem großen Brand im 18. Jahrhundert wurde sie neu aufgebaut und als „Neue Stadt bey Dresden“ bezeichnet, daraus wurde dann praktischerweise „Neustadt“. Zu der Zeit war an die „Äußere Neustadt“, also das Gründerzeitviertel rund um die Alaunstraße noch nicht zu denken. Da war schlicht Wald.
Sarrasani-Brunnen
Während mir diese historischen Fakten schon bekannt waren, überrascht Pötzsch dann mit interessanten Details. Am Treffpunkt erzählte er von dem einstigen Zirkusgebäude, das im Krieg zerbombt wurde und natürlich die unglaubliche Nilpferd-Geschichte. Das Tier war dem Bombenangriff entkommen aber in den Trümmern eingeklemmt. Beherzte Dresdner hatten das Tier gefüttert. Doch dann musste der Dickhäuter an die Sowjetmacht ausgeliefert werden. Nur hatte der Zirkus-Chef das Tierchen schon vorher ausgetauscht. In Dresden befand sich nicht mehr das legendäre dressierte Nilpferd, sondern eines, dass nichts weiter als fressen konnte.
Kunstgewerbe-Museum
Zack weiter zum nächsten unterschätzen Haus. Mal im Ernst, wer war denn je freiwillig im Volkskunstmuseum? Dieses Gebäudeensemble unmittelbar an der Köpckestraße, auch Jägerhof genannt, ist jedoch das älteste Baudenkmal in der Neustadt und vielleicht Dresdens wichtigstes Renaissance-Gebäude. Denn das Schloss drüben auf der anderen Elbseite, so erklärt Pötzsch, ist ja nur Neorenaissance. Gut, schreiben wir also den Jägerhof mal auf die Zu-Besuchen-Liste.
Schiller im Bade
Nach einem kurzen Abstecher zum Kügelgenhaus, dem Societaetstheater und der Dreikönigskirche stehen wir nun vor der großen Schiller-Statue am Jorge-Gomondai-Platz. Geschaffen von Selmar Werner im Jugendstil wurde diese überlebensgroße Dichter-Statue 1914 enthüllt und nun laufen die Leute täglich hektisch dran vorbei. Der Bildhauer war übrigens ein Schüler von Robert Dietz, der wiederum für die beiden Brunnen „Stürmische Wogen“ und „Stille Wasser“ verantwortlich war.
Unvermeidlich: Kästner
Keine Neustadt-Stadtführung ohne Erich Kästner. Pötzsch lud die Gruppe in den Vorgarten des Museums ein, rezitierte einige Gedichte und las aus „Als ich ein kleiner Junge war“. Dann strömen die Massen weiter zur Königsstraße, erfahren etwas über den Rebecca-Brunnen und über den Apotheker Franz Ludwig Gehe, der im 19. Jahrhundert der größte Pharmazeut Europas war. Dann gibt es einen Abstecher in eine Tiefgarage. Denn unter der Königstraße 14 kann man, wenn einem die Tür aufgeschlossen wird, ein Stückchen Stadtmauer sehen. Nach zwei Stunden sind wir alle vollgestopft mit Informationen und werden am Goldenen Reiter entlassen.
Historisches Dresden
Zwei Neustadt-Führungen hat Christoph Pötzsch in diesem Jahr geplant. Die andere findet am 3. September statt. „Da geht es um Literatur und das Bildungsbürgertum“, berichtet er. Eigentlich ist Pötzsch Jurist, „auf dem Weg in den Ruhestand“, wie er sagt. Er hat bereits mehrere Bücher zur Stadtgeschichte veröffentlicht. Das Geld aus den Eintrittsgeldern kommt Projekten wie Grabsteinpflege und der Errichtung von Gedenktafeln zugute.
- Weitere Informationen unter: www.historisches-dresden.de
danke Anton, das war richtig gut, weil meist nicht im Focus!
So unterhaltsam wie schon die Führung war auch dieser Beitrag.
Schön,dass du das hier weitergegeben hast, wenn man bei der Arbeit festsitzt bist du unser Input. Gut zu wissen
Sehr interessantes und unterhaltsames „Geflüster“ –
großes Danke :)
ps.: nur ganz am Rande: Sarrasani eher mit 2 r – oder?
Stimmt natürlich. Peinlich. Wird korrigiert.
Oh. Da konnte ich Wissenslücken schließen und Halbwissen korrigieren. Danke für’n Artikel.