Es muss im Sommer 2009 gewesen sein. Ich lungerte mal wieder beim Schaubudensommer herum, da kam sie vorbei. Alice mit ihren dick umwickelten Beinen, ihrem mürrischen Gesichtsausdruck und einem adretten jungen Mann an ihrer Seite. Offenbar habe ich einen Moment zu lange geguckt, sofort kam eine spitze Bemerkung, ob ich ihr den Liebhaber nicht gönne oder vielleicht einfach nur eifersüchtig sei. Vor Alice war keiner sicher. Sie war ein Teil der Neustadt, sie hatte unser Leben ein ganzes Stück bunter gemacht. Alice Schmitz, die mit bürgerlichem Namen eigentlich Helga hieß, starb im März vergangenen Jahres.
In der Galerie Adam Ziege wird am Freitag eine Ausstellung zu Ehren von Kultur-Alice mit Fotos, Videos, Erinnerungen und einer Installation von Lutz Fleischer, dem Neustädter Künstler und Mode-Avantgardisten eröffnet.
Auf der Website der „Alten Feuerwache“ in Loschwitz gibt es eine schöne Erinnerung an Alice.
Vor ein paar Jahren sind für die Dresdner Verkehrsbetriebe ein paar sehr schöne Werbespots entstanden. Helga Schmitz alias „Alice Wickelbein“ spielte eine wesentliche Rolle in den kurzen Geschichten. Den Text für die Spots schrieb übrigens der Neustädter Autor Jens Wonneberger.
- Eröffnung „in memoriam // Alice Schmitz“ am Freitag, 19. August, ab 19 Uhr in der Galerie Adam Ziege.
Ich kannte die gute Dame jetzt nicht direkt. Aber ein Ereignis ist mir immer in Erinnerung geblieben, als Sie abends an einer Haltestelle eine Gruppe junger Franzosen anmachte, sie sollen sich in ihr Land zurückscheren, dass man hier Ausländer nicht braucht…
Passt zu dem mir bekannten richtig krassem Gemotze von ihr gegenüber Kindern, als sie noch Putzfrau in einer Schule war (Ende der 80er). Von Herz war damals nichts zu spüren.
Personenkult bricht sich immer irgendwie Bahn, manche Menschen brauchen das.
Ich finde es immer ziemlich merkwürdig, wieso ganz normale Bürger hin und wieder posthum plötzlich zu so einer Art Kultfigur hochgejubelt werden, zu der man sogar Ausstellungen veranstaltet. Zu Lebzeiten, wette ich, hat diese Frau nur eine Handvoll Leute wirklich näher gekannt. Ich kannte sie nicht, habe sie nie irgendwo gesehen. Und selbst wenn: Für mich wäre sie eine von vielen Dresdnern gewesen, die regelmäßig Kunstevents besuchen. Ich finde dieses nachträgliche Zurschaustellen einer kranken Frau ziemlich makaber. Zumal, wenn man sich mal umhört, ziemlich schnell nicht mehr viel bleibt von der Aura des Besonderen, die iher nachträglich verpasst werden soll. Das Erste, was vielen zu ihr einfällt, ist seltsamerweise der üble Geruch, den sie ausgestrahlt haben soll.
ich hab sie mal auf der toilette im kaffee europa getroffen und daraufhin geschlagene 45 min dort verbracht, bis mein begleiter in die frauentoilette stürzte, um nach mir zu sehen. kultfigur hin oder her – ich fand mein gespräch mit ihr ziemlich interessant und die begegnung war auf jeden fall ein erlebnis.
Ich überleg gerade, was wohl unangebrachter ist – eine Ausstellung über die Dame zu machen oder Gerüchte über ihren angeblichen Körpergeruch zu verbreiten. Oder vielleicht sich über ersteres aufzuregen und dann letzteres zu tun? *grübel*
Ich lieben Jane…
Ich kannte die alte Dame als Kulturschmarotzer und Schnorrer, und wundere mich immer wieder, wie manche Zeitgenossen zur Kultfigur verklärt werden.
zitat Jane zum „Bautzner Tor“:
„“Kult” war diese [Kneipe] für Leute wie mich und andere Alteingesessene genau deswegen, WEIL die [Einrichtung] älter als 20 Jahre war, WEIL es die [Kneipe] bereits vor der Wende gab und sie sich so lange halten konnte…“
soviel zur genese von (herrlich schrulligem) „kult“. kneipen dürfen laut und stinkig sein; menschen bitte nicht.
ist euch eigentlich die tradition bekannt, nicht schlecht über tote zu reden?
Narziss:
Wenn du richtig gelesen hättest, wäre dir vielleicht aufgefallen, dass das mit dem unangenehmen Geruch nicht MEINE Aussage war, sondern dass ich dort die Worte anderer wiedergab. Bevor du also andere unberechtigterweise vernichtender Kritik unterwirfst, fang doch einfach mal bei dir selbst an ;)
Allgemein ist es erstaunlich, wie viele Leute offensichtlich unter einer Lese-Einordnungsschwäche leiden. Mein Kritikpunkt war weder die Frau selbst noch ihr Körpergeruch, sondern die Fragwürdigkeit solcher Ausstellungen, wenn man bedenkt, dass ein kranker Mensch, den eigentlich kaum jemand wirklich kannte, im Nachhinein so zur Schau gestellt wird – als sogenanntes „Dresdner Original“.
Ich denke, sie war normaler als die meisten derer, die sie jetzt demonstrativ in den Vordergrund schieben. Das heißt nicht, dass ich den Machern irgendwas unterstellen oder Schelte üben will – es ist schlicht und ergreifend meine Meinung: Ich hätte es nicht so gemacht. Jeder kann es aber so machen, wie er es für richtig befindet.
Jane:
„…den eigentlich kaum jemand wirklich kannte…“ –> sehr viele kannten sie und davon mochten sie auch viele.
nur weil du „gehört hast“, die frau hätte unangenehm gerochen, gibst du das in öffentlichem raum wieder? eieiei… du solltest es als volontierende „journalistin“ besser wissen. beweisende recherche und so…
abgesehen davon war sie tatsächlich ein „original“, auch wenn du sie nie irgendwo gesehen hast, was ich nicht recht verstehe. es gab sogar eine postkarte mit ihr.
du wohnst doch in der neustadt, oder..?
Narziss’s Beschreibung von „Kult“ – „herrlich schrullig“ fiel mir immer als erste Beschreibung für Helga a.k.a. Alice Schmitz ein, allerdings ohne das „herrlich“ ;)
Ich „stufe“ Alice in die Rubrik „Neustädter Originale“ ein, ohne Wertung in gut oder böse.
Ich erzähle mal ein paar Anekdoten, weil hier offenbar viele wenig eigene Erfahrungen mit ihr hatten …
Als ich sie das erste Mal, Januar/Februar 2002, kennengelernt habe, war sie in der Yenidze … und ja, ich vermute, dass sie ist kostenfrei reingekommen war und das indische Essen hat sie auch für „umme“ haben wollen und auch bekommen – so weit ich mich erinnere. Aice konnte sowieso keiner etwas abschlagen ;)
Ich fand das damals irgendwie witzig und kam mit ihr auch ins Gespräch, vermutlich hat sie mich angesprochen – vielleicht war ich auch einer ihrer „Liebhaber“, wie jenen, mit dem du, Anton, Alice gesehen hattest ;)
Sie fragte dann wie ich nach Hause komme – lange Rede, kurzer Sinn: ich fuhr Alice nach der Veranstaltung nach Hause, da sie auch in der Neustadt wohnte. Mit im Auto zwei Freundinnen, eine davon Französin – Resentiments gegenüber Franzosen kamen von ihr damals nicht (@ martin ;) … was nicht heißen soll, dass sie nicht manchmal so drauf gewesen sein konnte.
Ich habe sie dann in den nächsten 6 Jahren mindestens 20 Mal irgendwo getroffen und rund 15 mal sind wir ins Gespräch gekommen – ja, ich gebe es zu manchmal bin ich einem Gespräch aus dem Weg gegangen, da ich nicht immer in der Laune war und sie meist nach Hause gebracht werden wollte (einmal habe ich auch einen plus-Einkaufwagen 500-800 Meter nach Hause geschoben – sie stand schon beim Projekttheater :).
Ja, manchmal dachte ich „Da haste was Gutes getan, Menschen geholfen und so …“ und manchmal dachte ich sei ein schlechter Mensch, weil ich einfach keinen Bock an dem Tag hatte ;)
Interessanterweise sah ich sie später, so ab 2006/07 eher als tragische Person an, denn was ich immer so toll fand, dass sie sich unter junge Leute mischte und überall&nirgendwo auftauchte, hatte einen Haken bzw. Grund. Sie erzählte ab und an, dass ihr zu Hause einfach die Decke auf den Kopf fallen würde und dass sie deshalb soviel draußen sei – meist ja auch bis nach Mitternacht (eher untypisch für Menschen Ü70)… naja, das Haus, in dem sie gewohnt hat, hatte wohl auch einen Alterdurchschnitt jenseits der 70 und so richtig wohl hat sie sich dort auch nicht gefühlt, zumindest erzählte sie ab und an umziehen zu wollen. Nach und nach bekam ich allerdings auch den Eindruck, dass sie ein Mensch ist, dem man es schwer recht machen kann … insofern.
.
Ihre Wohnung war auch naja … was erzähle ich da jetzt? … sagen wir’s so: durch ihr Beinleiden und die damit verbundene „Medizinsammlung“ etc. hatte sie etwas Krankenhaus-Flair. Was mir irgendwie auch ihren „Ausgehdrang“ erklärte …unabhängig davon, ob sie gern „unter jungen Leuten“ war – das war sie sicher, doch wahrscheinlich häufig gewisserweise gezwungenermaßen statt weil sie es auch so wollte.
Persönlichere Geschichten von ihr lasse ich mal weg – das gehört nicht hierher, doch mein Bild veränderte sich mit den Jahren etwas.
Jedenfalls hat sie mindestens fünfmal erwähnt, dass sie mit Johann Wolfgang von Goethe Geburtstag – 28.8. – hat, dieses Jahr könnte sogar sozusagen ihr 80. sein.
Ebenso oft erwähnte sie auch, dass sie Goethe eigentlich gar nicht so mag … das fand ich beim ersten Mal witzig, nach dem fünften Mal habe ich mich wieder mehr für Goethe interessiert – auch gut, danke Alice ;)
Im Sommer 2008 hatte ich sie dann mal auf der Görlitzer getroffen und irgendwie „Spendierlaune“ und sie gefragt, ob sie etwas zu trinken aus’m ABC haben möchte. Ja, sie wollte – dumme Frage auch bei Alice ;) … eine große Cola. Die Geschichte, die sich dann anschloss, lasse ich bewusst weg. Jedenfalls hat mir das Ereignis mehrere Tage zu denken gegeben. Hinterher fand ich Alice immer noch schrullig, doch mir fiel auf, dass sie selten wirklich freundlich war … ich war plötzlich wohl irgendwie mehr auf ihre weniger angenehme Seiten gestoßen. Vielleicht war es auch der von mir selbst beeinflusste Mitleidsfaktor, der dann wie weggeblasen war. Plötzlich sah ich sie wie einen „normalen Menschen“, Beinleiden, Schrulligkeit, immer mal einen flotten Spruch etc. mal hin oder her.
Wenn ich mir das jetzt so überlege, erinnert sie mich irgendwie an die Geschichten, die man erzgebirgischen Dichter Arthur Schramm nachgesagt hat :) … natürlich mehr Alice-Style sozusagen.
Alles in allem, weiß ich jetzt, warum ich mich seit 2010 immer mal fragte „Tja, die Alice hast du auch schon lange nicht mehr gesehen … ob sie überhaupt noch lebt?“
Auch wenn man geteilter Meinung über sie sein kann, für mich hat sie dennoch einen gewissen Kult-Status … und ein „Neustädter Original“ blieb sie für mich auch nach den vielleicht weniger netten Erlebnissen.
Insofern, möge sie in Frieden ruhen … und wer an Wiedergeburt glaubt, hat sie vielleicht sogar schon wieder gesehen :)
danke micha,
auch ich habe alice oft in der neustadt getroffen. meist nach einem kinoabend in der schauburg,tagsüber oftmals, wenn ich in zeitnot war. aber ein plausch ging immer, meist mit ihren einkaufsbeuteln schon in meiner hand. und die konnten schwer sein :D sie war immer für ein streitgespräch gut, hatte ihre eigene meinung und hat die auch vertreten, da halfen nicht immer argumente dagegen. manchmal in schrullig-lustig, manchmal so, dass mir die worte wegblieben. auch ich hab so manchesmal die flucht gesucht und hatte dann ein schlechtes gewissen… aber ein wenig selbstschutz musste manchmal sein ;) nicht immer war man in stimmung und hatte soviel zeit… für mich gehört sie auch zu den „kult“figuren der neustadt, auch wenn sie „nur zugezogen“ war und unter kult wohl jeder was anderes versteht. aber als sie 2010 irgendwie nicht mehr da war hab ich die erste zeit gedacht, dass ich wohl nur zu falschen zeiten an den falschen orten in der neustadt unterwegs bin, dass ich sie nicht mehr sehe… und irgendwann las ich den artikel auf der seite feuerwache loschwitz… und diese woche schau ich mir die ausstellung an und werde mich an die lustig-schrullig-schönen gespräche mit ihr erinnern. die anderen blende ich einfach aus, sofern mein erinnerungsvermögen das nicht schon getan hat ;)
und jane, wenn du gar nicht weißt, von wem hier die rede ist, dann spar dir doch einfach mal einen kommentar. kommen bestimmt auch wieder artikel, bei denen du weißt, wovon die rede ist
Achja, noch einer … wer Alice nicht kannte und sich fragt, was warum wie usw., der könnte es wenigstens musikalisch versuchen, z.B. mit einer eigenen Coverversion von „Who the f*** is Alice?“ – das im Grunde auch nur eine Coverversion einer Coverversiojn war ;)
Vielleicht wird ja damit nochmal jemand „berühmt“ oder Kult oder oder … ;)
Am Sonntag, 28.8.2011,
wäre Alices 77. Geburtstag.
Daher gibt es eine kleine Feier ihr zu Ehren
am Sonntag zwischen 15 und 22 Uhr.
Wir freuen uns auf euer Kommen
in der
Galerie Adam Ziege
Louisenstr. 87
01099 Dresden
@ moni
Ich sehe es ähnlich wie du – offenbar hatten wir ja auch ähnliche Erfahrungen mit Alice-Helga.
Ich denke, man sollte Menschen nicht bewerten, auch wenn’s manchmal schwer fällt – hab‘ da auch viel gelernt, auch mit/über/durch Alice.
Ich denke, dass sie in ihrer Art einfach ein Original war. Das Wort „Kult“ passt auch nicht, Alice hatte ja keine Fans in dem Sinne, sondern sorgte irgendwie für Gesprächsstoff – entweder direkt (weil sie selbst erzählte) oder weil man sie erwähnte.
Ich hatte auch Jahre lang eine Postkarte von ihr bei uns an der WG-Pinnwand hängen; ganz einfach wohl, weil ich sie „anders“ empfand und später weil immer mal WG-Besucher fragten „Wer is’n das?“ … naja, und dann erzählt man eben die eine oder andere Geschichte.
Ansonsten gebe ich dir recht, man sollte wohl – egal welche Person es betrifft – die schönen Erlebnisse nicht vergessen. Die vielleicht weniger schönen helfen dabei, gar keinen „Kult-Status“ für irgendeine Person erst aufzubauen :)
@ AZ
Danke für den Hinweis … hab’s vorgestern auch gesehen bzw. nachgerechnet, als ich ein Bild von Alice im Café Komisch sah.
Entweder ich hatte mir ihr Alter nicht richtig gemerkt, oder bin mit den Jahren durcheinander gekommen oder sie hat sich mal 3 Jahre älter gemacht als sie wirklich war ;) … da letzteres bei Frauen meist wegfällt (ja, Klischee, ich weiß ;)), wird’s wohl mein Gedächtnis gewesen sein.
Kurzer Nachtrag … Ein Lesen des eingangs schon von Anton verlinkten Artikels „Kleine Erinnerung an Alice Schmitz“ auf den Seiten der Feuerwache Loschwitz kann ich nur empfehlen.
Hallo,
mal ein paar Worte zur Ausstellung.
In dem Sinne ist keine direkte Kunstausstellung. Es ist wohl eher eine Erinnerung für die Menschen, die Alice kannten.
Was auffällt ist, wie lange sie schon in Dresdens Kulturlandschaft unterwegs ist und wie sich diese in den letzten 20 Jahren verändert hat.
Es wäre schön, wenn man mehr Material zu den von ihr besuchten Ausstellungen sammelt und versucht mit diesem Material einen Querschnitt der letzten 20 Jahre in Dresden zu machen.
Das fände ich um ehrlich zu sein interessanter als die Ausstellung gerade.
Es war ca. 1996, ich neu in Dresden und bei einer Lesung in Originalsprache. Plötzlich tut sich die Tür auf, Alice kommt rein und poltert los: „Man versteht ja gar nichts.“ Oder bei ner Lesung im Kästner-Museum, es ging um Kindesmisshandlung. Alice: „Das ist ja traurig, das können Sie doch nicht so schreiben.“ Autor: „Bin ich Rosamunde Pilcher oder was?“
Ich habe sie nicht genau gekannt, war aber über ihren Tod betroffen. Für mich ein Zeichen, in Zukunft besser hinzugucken, wer sich hinter kratzbürstigen Mitbürgern verbirgt,wenn es meine Kräfte erlauben.