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Geschichtsstoffe – Das Modehaus Bettina Kletzsch., Vol. 5

Bettina Kletzsch verwertet Lebensmittelverpackungen zu Art-Couture und bahnt DDR-Zeltstoff einen Weg auf die Straßen der Gegenwart. Auf außergewöhnliche Weise führt die studierte Modedesignerin mit dem „Modehaus Bettina Kletzsch“ die Familientradition in fünfter Generation weiter.

Stoffdrucke, aufgebracht mithilfe von industriell gefertigter Wurst-, Käse- und Keksverpackungen
Stoffdrucke, aufgebracht mithilfe von industriell gefertigter Wurst-, Käse- und Keksverpackungen

Geschichte neu aufgerollt

„Was? So bunte Zelte gab es in der DDR?“ Ein Kommentar zu einer Gürteltasche, verschenkt vergangenes Wochenende, gefertigt von Bettina Kletzsch aus DDR-Zeltstoffen in den leuchtenden Farben türkis, orange und blau. Die Taschen sind das Initial für Bettina Kletzschs Schaffen als Chronistin der Stoffe. Gemeinsam mit ihrer Schwester besichtigte sie vor Jahren eine alte Fabrik in Bretnig unweit ihrer Heimatstadt Großröhrsdorf und entdeckte dort einen Stapel Zelte.

Die Formulierung „etwas neu aufrollen“ bekommt unter diesem Aspekt einen persönlichen Mehrwert.

Mit den Zeltbahnen, die Bettina unbedingt weiterverwenden wollte, begann vor etwa drei Jahren die Weiterführung des Konfektionshauses Kletzsch und Sohn, gegründet 1847 in Bischofswerda von Gottlob Heinrich Kletzsch, als „Modehaus Bettina Kletzsch“.

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Original Kleiderbügel des Konfektionshauses Kletzsch und Sohn

Stoff für die Zukunft

Der Fund führte zu einer Rückbindung vom Studienort Bielefeld an die Heimat  und bedeutete den Beginn Bettinas selbstständiger Arbeit: Stoff der Vergangenheit liefert Stoff für die Zukunft. Einen Atelierplatz fand sie nach anfänglichem Pendeln zwischen Großröhrsdorf und Dresden, wo sie für das tjg arbeitete, auf der Louisenstraße im ehemaligen Louisenkombinaht, heute „oui“.

Regenfester Hut aus Folie

Bettinas Großvater arbeitete als Steuerberater für die genannte Fabrik. Die Tochter und Enkelin nähert sich der Familienchronik über textile Zeugnisse an, beschäftigt sich mit der Historie der Betriebe, die mit ihren eigenen Wurzeln verknüpft sind. Betriebe, die seit vielen Jahren im ländlichen Raum um ehemalige Kreisstädte still verfallen.

Upcycling 2.0

„Ich möchte die Geschichte der Stoffe positiv weitererzählen“, erklärt Bettina Kletzsch. So sei sie schon zu etlichen anderen „Stofffindern“ mit Fabrik-Familienhistorie in Kontakt gekommen. Was tun mit meterweise Vergangenheit? Die Zukunft schneidern! Im selben Stil verfährt Bettina mit Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff. In der Serie Regenwurst und Bogenkäse dienen ehemalige Behältnisse für Käse- und Wurstscheiben als Druckvorlage für Muster auf selbst geschneiderten Kleidern, Pullovern und Hosen. Upcycling 2.0, nennt es Bettina.

„Ich möchte einen neuen Blick auf Wiederverwertbarkeit lenken“, sagt sie. Im Rosenwerk gibt sie Plastikbügelworkshops. Aus Folien, die einst meterweise Paletten umhüllten, entstehen regenfeste Hüte, aus Plastiktüten werden Schnürsenkel-Nadeln. „Die Menschen beschäftigen sich mit der Textur des Materials und seiner Verwendbarkeit“, sagt Bettina. „Das eröffnet neue Denkräume.“

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Sprechende Stoffe

Bettina Kletzsch  sensibilisiert für den Verschleiß von Dingen, die von ihren Herstellern nur eine einzige Funktion zugesprochen bekommen haben, z.B. die der Verpackung. Ihre bunten Gürteltaschen aus Zeltbahn rufen  Erinnerungen wach. „Stoff spricht nicht nur über die Farbe, sondern auch über die Haptik an“, sagt Bettina. Man kommt ins Gespräch und ins Sinnieren. Ihre Wurst- und Käsedruck-Kleider hängen auf Bügeln des Konfektionshauses Kletzsch aus Bischofswerda. Hölzerne Zeitzeugen, ein Stück Identität in einem Kontext zwischen Boutique und Museum.

Bettina hilft, Stoffe und Materialien im wahrsten Wortsinne weiterzutragen: Polsterstoffe, Sicherheitsgurte, Verpackungen. Zu Müll gewordene Produkte werden wieder Gebrauchsgegenstände und transportieren die an sie angelegten Erinnerungen und Erfahrungsräume weiter. Sprechende Stoffe.

Sweater der Serie „Untersetze Ellbogen“

Modehaus Bettina Kletzsch