Seit einigen Wochen politisierte sich der Dresdner Alltag durch Wahlplakate, Wahlveranstaltungen, Wahlversprechen, Wahlkampagnen, Wahlbriefe. Auch nach der Wahl wird es sich wohl noch einige Wochen um die Wahl drehen. Wer hat wen gewählt und warum? Wo sind die Hochburgen? Wer hat gewonnen, wer hat verloren und was nun?
Doch dazwischen doch Eines ein bisschen auf der Strecke – für die Demokratie braucht es Freiwillige, die am Sonntag im Wahllokal Stimmzettel verteilen und danach auszählen. Ein Erfahrungsbericht aus der Radeberger Vorstadt über Zahlendreher und nette Wähler*innen:
Es ist Sonntagnacht, 23.45 Uhr im Wahllokal 12301: In der Schule für Körperbehinderte in der Fischhausstraße sitzen acht Menschen – zwei Frauen, sechs Männer. Man hört vor allem das Klicken von Kugelschreibern. Buntes Papier raschelt von rechts nach links, tippende Finger summieren auf Taschenrechnern. Flüsternde Zahlen schwirren durch den Raum: „10 Stimmen für Kandidat 7, 31 für Kandidat 8“. Ich selbst bin ein Teil davon, notiere Ergebnisse in der Zählerliste und rege mich innerlich über die roten und gelben Wahlzettel auf – viel zu groß, viel zu sperrig, viel zu viele Kandidat*innen pro Partei.
4400 Freiwillige halfen bei der Wahl
Ich hatte mich vor einem Monat als Wahlhelferin gemeldet – genauer gesagt als Beisitzerin. Geködert hatten mich tatsächlich die Plakate : „Wahlhelfer gesucht“. Mitte April wurden noch 1000 Wahlhelfer*innen in Dresden gebraucht, auf 4000 Freiwillige setzt die Stadt Dresden – das ist doch ein Grund für die Demokratie einzustehen, dachte ich mir zu der Zeit.
Sonntagmitternacht sieht das bei mir schon anders aus. Der Enthusiasmus wurde durch Müdigkeit ersetzt. Die Augen werden immer kleiner, die Zahlen immer größer. Aber: Bloß nichts entgehen lassen! Diese bunten Papiere auf den Tischen scheinen so lapidar.
Ein roter Zettel mit drei Stimmen, das scheint so wenig und bedeutet doch so viel: Ein Mensch mit einer Meinung, die gehört werden will. Eine Stimme, die in großer Zahl starke Entscheidungen treffen kann, die die Politik in die jeweilige Richtung lenkt, die über Finanzen und Gesetze entscheidet. Also ja nicht müde werden: Stimme ist Stimme.
7.30 Uhr ging es los
Angefangen hatte das ganze Prozedere Sonntagfrüh 7.30 Uhr. Um die Uhrzeit trafen wir als Wahlhelfer*innen zum ersten Mal aufeinander, wurden in Schichten eingeteilt und vereidigt. Meine Schicht begann um 13 Uhr. Bis dahin waren schon 250 von 808 Wahlberechtigen erschienen, der größte Andrang war nach dem Frühstück zwischen zehn und elf Uhr.
Mittags leerten sich die Reihen. Bis 18 Uhr kontrollierte ich mit Kevin S. die Wahlbenachrichtigungen und teilte die Stimmzettel aus. Natürlich beginnt man irgendwann im Kopf Sozialstudien aufzustellen – da überlegt man: „Der wählt bestimmt diese Partei – sie ist bestimmt links, Mitte, rechts, oben, unten“. Das Beobachten macht irgendwie Spaß.
Das schönste Ereignis war der Moment, als eine ältere Frau mit Mozartkugeln ankommt und sie uns als Dankeschön hinterlässt. Ansonsten habe ich den gesamten Tag nur zweimal Danke gehört – Schade als ob es selbstverständlich wäre und als ob es auch ohne Wahlhelfer*innen gehen würde – geht es eben nicht. Wenn man sich zwischen den Wahlhelfenden umhört, sind die Gründe trotzdem sehr verschieden:
„Ich bin ein sehr misstrauischer Mensch und ja ist halt die Neustadt, da hab ich noch weniger Vertrauen bei den ganzen Hippies.“ Kevin S.
„Ich hatte Zeit und Lust – und irgendwer muss es ja machen“ Peter R.
Digital auszählen statt analog?
Ein anderer Wahlhelfer will nicht, dass die Wahl digitalisiert wird. Und das heißt für ihn: Solange sich genug Freiwillige finden, besteht nicht der Druck, die Wahl zu digitalisieren. Die digitale Wahl diskutieren wir mehrmals während der Auszählung. Die meisten stehen dem ganzen skeptisch gegenüber. Der Tenor ist: Natürlich stecke die analoge Wahlauszählung voller Fehlerquellen, aber eine großflächige Betrügerei sei nicht möglich. Digitalisiert sei das Hacken eines zentralen Punktes viel leichter und schon würde sich das Ergebnis drastisch verschieben. Das leuchtet ein.
Punkt 18 Uhr wird das Wahllokal geschlossen
Etwa 525 von 808 Personen hatten im Wahlbezirk 12301 gewählt. Ab jetzt wird es spannend: Begonnen wird mit der EU-Wahl – die einfachste von allen Wahlen. Eine Stimme – ein Strich, nicht kompliziert. Trotzdem verzählen wir uns am Ende. Eine gültige Stimme wird gesucht – das sei ganz normal, wie mir die anderen Beisitzer erklären. Um 21 Uhr geben wir die Ergebnisse der EU-Wahl telefonisch durch. Die Wahlvorsteherin meint: „Ich sag euch, wir kommen hier nicht vor ein Uhr raus!“ Und tatsächlich um 0.30 Uhr zählen wir immer noch. Die Wahl des Ortsbeirats zieht sich in die Länge, und auch wenn es heißt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – irgendwann sind auch wir mit den Nerven am Ende.
Während der Auszählung haben wir immer mal wieder das Thema Betrug angesprochen. Das möchte man doch eigentlich gar nicht wissen, oder? Von meiner Seite kann ich sagen: An bestimmten Stellen in der Auszählung kann die Wahlfälschung möglich sein, aber großflächig wäre die Auswirkung für diese Arbeit viel zu gering. Und der Wahlvorstand arbeitet sehr konsequent. Über ungültige Stimmen wird in der Gruppe nochmal gemeinsam diskutiert und demokratisch abgestimmt. Oft schaut man den anderen über die Schulter, alles wird doppelt und dreifach gezählt. Kurz nach zwei sind wir dann endlich draußen.
Die Bilanz des Tages:
- Immer schön Danke zu den Wahlhelfer*innen sagen und am besten Obst oder eine Tafel Schokolade vorbeibringen. Kaffee ist auch nicht schlecht. Wahlbestechung funktioniert sowieso nicht. Danke sagen, reicht auch schon, das muntert auf und zeigt: Demokratie ist nicht selbstverständlich.
- Wider Erwarten wurde ich ziemlich enttäuscht: Es gibt gar keine Verpflegung! Aber 70 Euro Dankesgeld und eine Urkunde vom Innenminister – Vielleicht könnte man da nochmal drüber nachdenken?
- Ungültige Stimmen nerven, aber wenn sich jemand dafür entscheidet, dann freuen sich die Wahlhelfer*innen auch über Bilder oder kleine Kommentare. Die werden aber nur die Freiwilligen lesen. Ein Kommentar an Horst Seehofer wird wohl nicht an ihn weitergeleitet.
- Jedem Wahlberechtigen erzählen, wie schön es ist, als Wahlhelferin zu arbeiten. Es macht auch wirklich Spaß, man lernt neue Menschen kennen, hat das Gefühl, was Gutes gemacht zu haben und vertraut oder misstraut, je nachdem, der Wahl weniger. Die nächste Wahl naht ja schon in drei Monaten – Auch dafür werden noch Wahlhelfer*innen gesucht. Viel Spaß!
Weitere Informationen zur Wahl:
- Alles zum Thema Wahlhelfer: www.dresden.de/wahlhelfer
- Ergebnisse Stadtbezirksbeiratswahl Neustadt
- Ergebnisse Stadtratswahl Dresden
Korrektur 28. Mai 2019
In der ersten Fassung des Textes war von 40 Euro Dankesgeld die Rede, das gilt für normale Wahlen, in diesem Fall gab es wegen des höheren Aufwandes 70 Euro. Ist nun im Text korrigiert. Außerdem wurde im Anschreiben an die Wahlhelfer*innen darauf hingewiesen, dass eine Verpflegung nicht möglich ist.
Ätsch, wir waren schon um Mitternacht fertig mit Zählen! ;-)
Liebe Grüße aus dem Hecht
Jenny
Danke für deine Mühe und stellvertretend natürlich auch danke an alle anderen Wahlhelfenden!
Danke, Luisa!
Tipp an alle: Briefwahl ist sehr entspannt, lustig und der sonnige Sonntag bleibt frei.
In meinem Wahllokal standen die Leute ab morgens Schlange…. der letzte hat 18.30Uhr das Wahllokal verlassen. Die Stimmenauszählung war wirklich sehr aufwändig und anstrengend! Ich bin berufstätig und musste 0.30Uhr als Wahlhelfer aufhören, damit ich heute morgen bei meiner Arbeit im Krankenhaus arbeitsfähig bin. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei von drei Wahlen ausgezählt. Über 800 Wahlzettel pro Wahl waren zu zählen…. diese Stimmenzahl bestimmte auch den Zeitaufwand! Es war uns allen im Raum klar, dass das bis mindestens 3.00Uhr gehen wird.
Musste die Stadtbeiratswahl wirklich mitten in der Nacht ausgezählt werden? Kann man das nicht am folgenden Tag machen?
@Ines: Diese Überlegung führt nun auch die Stadtverwaltung. Gleich mehr dazu im nächsten Artikel.
Ach, Kevin S. ich vertraue den Hippies auch nicht… Und schon gar nicht gendernden Autorinnen
Danke sagen für den Erhalt einer rückständigen Wahldurchführung? Sicher nicht.