Auf dem Gelände der Scheune wird emsig gehämmert, geschraubt und getüftelt, denn am Donnerstag öffnet der 22. Scheune-Schaubuden-Sommer seine außergewöhnlichen Pforten. Kitsch und Klamauk, Kritik und Klingel prägen über elf Tage und Nächte den einzigartigen Jahrmarkt der Kleinkünste. Der künstlerische Leiter Helmut Raeder erinnert sich an die Anfänge und empfiehlt in Anbetracht der anstehenden Scheune-Bauarbeiten 2021: „Besucht die Schaubude, solange ihr noch könnt!“
Auf den Wal gekommen
Als vor 22 Jahren der erste Schaubuden-Sommer in Dresden veranstaltet wurde, „wusste kein Mensch in Dresden, was eine Schaubude ist“, erinnert sich Helmut Raeder und relativiert sogleich: „Außer vielleicht Menschen mit Kenntnis von Lorenzkirch.“ Denn dort ist das älteste sächsische Volksfest verortet. Helmut Raeder ist von frühester Kindheit an ein Freund von Volksfesten. Zuckerwatte, Geisterbahn, Absurdes, Groteskes, der Duft der weiten Welt. Zu seinen eindrucksvollsten Erlebnissen in diesem Metier gehört „der Wal“ in Lauchhammer.
Eine nahezu mythische Erfahrung, die sich besonders olfaktorisch einprägte und die alle, die sich vor 50 bis 60 Jahren auf die Reise in den Bereich der Jahrmarktsbegeisterung begaben, verbindet. „Wenn man sich mit Interessierten über diese Zeit unterhält“, sagt Helmut Raeder „taucht irgendwann dieser Wal auf.“
In Lauchhammer stand ein Zirkuszelt, berichtet Helmut Raeder bildhaft, aus dem ein unangenehmer Gestank drang. Über dem Eingang lockte ein Schild: „Kommen Sie, staunen Sie: Der Wal“.
Und das war es dann auch, was Zuschauer*innen erwartete: Ein lebloses, präpariertes riesiges Original-Exemplar. In diesem Moment mögen alle Sinneseindrücke und Emotionen in Helmut Raeder versammelt gewesen sein, aus denen auch der Schaubuden-Sommer besteht: Die Faszination, der Schauder, die Spannung, das Gruseln, das Traumhafte, das Monströse, das Unperfekte und die Illusion. Der Wal.
Schnapszahlen und Glückszahlen
Nun, bald bläst er wieder. Auf über die Jahre verkleinertem Terrain, aber nicht weniger exzentrisch, überraschend und umwerfend, als man ihn kennt. Der Weiße Wal Schaubuden-Sommer taucht auf aus den glitzernden Julinächten und lockt zur Schnapszahl mit einer neuen Mischung. „Und jetzt kommt’s, ihr Lieben“, leitet Helmut Raeder den Ausblick auf das diesjährige Programm ein. Über die Hälfte der 40 Companys mit 80 Künstler*innen (ohne Bands) ist zum ersten Mal vertreten.
Die magischen 13 Buden bieten also Niedagewesenes und Ungesehenes. Da wären Die Gräfin, kettenrauchende Kult-Oma aus Stuttgart, der knochenklappernde Teatro-Meister Matita mit seinem depressiven Panda, der dadaistische Ping-Ponger Johannes Dullin, der preisgekrönte Mind-Hacker Yann Yuro, Cia.Kimani, ein weibliches Duo aus Spanien, das wortlos tanzend die Besessenheit des Körperkults thematisiert und die morbide charmanten kinetischen Objekte von Anushka Babushka im Niemands Garten.
Bis in die Puppen
…wird im Anschluss an den Budenzauber wieder getanzt. Zu melancholischem Montagsblues mit Brother Grimm, Post-Punk mit Short Paris, aufschüttelndem Hip-Hop-Balkan-Beat mit Oansno oder lokalen Schrittmachern wie Ezé Wendtoin.
Das diesjährige Programmheft erleichtert die Orientierung für Besucher*innen mit körperlicher Beeinträchtigung, indem mittels Symbolen angegeben ist, ob die Programme er akustisch oder visuell wahrnehmbar sind. „Für die komplett zugängliche Gestaltung des Geländes fehlen uns leider erstens die Mittel und zweitens die Mittel“, bedauert Pressemitarbeiterin Dana Bondartschuk. Jedoch hoffe man, den Zugang mit dieser Maßnahme zu erleichtern.
Der erste Sonntag des Schaubuden-Sommers, der 14. Juli, ist Familien und Kindern gewidmet. Ab 15 Uhr öffnen die Schaubuden mit Zuckerwatte, Eseln, großer Magie und kleinen Tricks.
Die Schatten großer Ereignisse
In zwei Jahren steht voraussichtlich die Sanierung der Scheune an. Damit ist die Verortung des Schaubuden-Sommers in der Schwebe. „Das ist natürlich ein Thema, das uns die ganze Zeit beschäftigt“, sagt Helmut Raeder. Der Schaubuden-Sommer in der gewohnten Form könnte also auf die Zielgerade zugehen. „Alles hat seine Zeit“, so Raeder. Wann und wie ein neuer Ort bezogen werden könnte, steht noch in den Sternen. Mit dem Bau der neuen Sporthalle hatte das Schaubuden-Areal bereits Verluste zu verzeichnen. Hier rollte (oder stand, je nach technischem Versagen) lange Zeit die Krankenhausbett-Achterbahn des großen Jim Whiting, erinnert sich Helmut Raeder.
Auf dem verbliebenen Platz habe sich die Konzeption des vergangenen Jahres bewährt, so das Orga-Team, und werde deshalb beibehalten. Wiedergänger haben also eine gute Chance auf Orientierung im Irrgarten der Unmöglichkeiten – Frischlinge dürfen sich auf verdrehte Köpfe und turbulenten Erfahrungsaustausch freuen.
Der XXII. Schaubuden-Sommer
- 11. bis 21. Juli 2019
- Gelände geöffnet ab 18 Uhr, 3 Euro Obolus für die Platzgestaltung durch Spacke, Muriel & César und die Musik auf dem Platz und nach Mitternacht
- Einzelticket 5 Euro, Dreierticket 12 Euro, ermäßigt für Kinder 2 Euro (abends 5 bis 12 Jahre, Familiennachmittag 2 bis 12 Jahre)
- einzelne Schaubuden kosten nur 1 Euro, Aushänge beachten
- am 19. Juli um 18 Uhr gibt es eine zusätzliche musikalische Lesung des Buchmagazins „Stadtluft Dresden“ mit Cornelius Pollmer, Amac Garbe und Ju von Dölzschen geben
- hier geht es zum Programm