Die Arbeiten des Künstler- und Liebespaares Muriel & César sind zum optischen Aushängeschild des Schaubuden-Sommers geworden. Über dem Platz schweben jährlich, fein wie Spinnweb und dennoch stabil wie Angelsehne, geisterhafte Netze, sich im Wind bauschende Figuren, verhüllte Lichter in einem windgehauchten Tanz.
Muriel und César sind dem Schaubuden-Sommer über viele Jahre verbunden. Jedes Jahr im April kommt das Paar nach Dresden. Weinfest Radebeul, Karl-May-Fest, Weihnachtsmarkt Radebeul tragen ihre Handschrift. Muriel und César haben jeweils Familie in Deutschland und Chile, deshalb leben sie ein halbes Jahr hier, das andere da.
Die beiden lernten sich in Santiago de Chile kennen, als sie noch sehr jung waren, im Jahr 1972. „Die erste große Liebe, weißt du“, erzählt César. „Das hat nur ein Jahr gehalten.“ Ihre Wege trennten sich. Muriel Cornejo arbeitete unter dem Regime von Pinochet in Chile als Straßentheaterkünstlerin.
Unter ärmlichen Verhältnissen lernte sie, kreativ aus dem Wenigen zu gestalten, was gegeben war. Später kam sie ans etablierte Theater und vertiefte ihre Kenntnisse. Ihr Wissen und ihre Erfahrung umfassen ein breites Repertoire: Puppen, Requisiten, Regie, Schauspiel, Maske.
César Olhagaray, seines Zeichens Graffiti-Künstler, verschlug es in die DDR. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) und startete Street-Art-Projekte mit Kindern in der Johannstadt. „In der DDR gab es jede Woche ein Volksfest“, erzählt César. Dort malte auf große Stoffbahnen, weil Kunst auf Wänden verboten war.
Stoff für eine Kitsch-Serie
Im Jahr 1982 lernte er Helmut Raeder kennen. Es ergab sich eine fruchtbare Zusammenarbeit. Bis zur Wende experimentierte man im Rahmen der Kollektive Feste Feiern und Spieltour mit Raum, Malerei, Skulptur und Theater. Mit dem Mauerfall verlegte sich Helmut Raeder auf stationäre Projekte, eines davon der Schaubuden-Sommer. Doch wo war Muriel?
„Wenn du Stoff für eine kitschige Serie haben willst …“, setzt César an. Auf einer Reise nach Chile 1984 begegnete er Muriel wieder – doch er war verheiratet. Eine Beziehung kam also nicht infrage. Zehn Jahre später kam er erneut nach Chile – doch jetzt war Muriel verheiratet. Erst nach 30 Jahren waren beide füreinander frei und fanden sich als Paar, erzählen sie.
Im Jahr 2001 kam Muriel nach Deutschland. „Wir haben ein tolles Team gebildet“, stellt César fest. Im Anschluss an sein HfBK-Studium zog César zum Studium an der Humboldt-Universität (1988-90) nach Berlin. Hier wohnten er und später Muriel, bis sie ihren Lebensmittelpunkt 2014/2015 nach Dresden verlagerten.
Ihr Beruf ist das Spektakel: Großfiguren für Umzüge und Straßentheater, Objekte aus Recyclingmaterialien, die Gestaltung von Festival-Plätzen. In Chile wirken sie an den großen, bunten selbstverwalteten Carnavals-Umzügen mit.
In Chile bauten Muriel & César eine sechs Meter hohe bewegliche Salsatänzerin mit klimpernden Augen und einen Esel, für den elf Personen nötig waren, um ihn zu bewegen. Ihre größte statische Figur war zehn Meter hoch.
„Einfachheit ist der größte Reichtum“
Die Figuren fertigt Muriel mit Césars Hilfe aus Weidenruten. Sie sind leicht und stabil. Fallen sie zu Boden, hüpfen sie wie Bälle. „Muriel hat ein System entwickelt“, erklärt César. „Ein weibliches System. Es gibt nur Kurven, Gegenkurven, Spiralen und Schlingen. Kein 90 Grad, keine Parallelen, Vierecke. Sie erschafft Gewebe, sie baut Nester. Ich mache alles eher eckig. Und meine Spezialität sind die Seile.“ In ihrem Atelier in Omsewitz lagern Berge an Stoffen. „Muriel kennt sich durch ihre Arbeit am Theater sehr gut aus“, sagt César. „Wir machen viel aus Recycling-Materialien.“
In einem Monat entstand die grinsende Schlange, die sich am Himmel über dem Schaubuden-Sommer windet. Auch die 16 zylinderförmigen transparent-weißen Schirme, die über dem Gelände flattern, entstammen den Händen von Muriel & César. „Wir machen alles handwerklich. Wir verwenden kein Metall, keine komplizierten Techniken“, beschreibt César das Konzept. „Einfachheit ist der größte Reichtum.“
Wenn der Sommer in Dresden sich dem Ende entgegen neigt, brechen Muriel & César wieder gen Chile auf. Hier haben sie Familie, mit der sie Zeit verbringen – und natürlich den Carnaval. Im Frühjahr dann beehren sie wieder das Elbtal für die Umsetzung fantastischer Fantasien.