Zwei Jahre sind seit dem letzten Stück des Kaleidoskop-Theaters vergangen – nun stehen die Mimen des Inklusions-Theaterprojekts mit ihrem neuen Stück Nächster Halt! wieder auf der Bühne des Projekttheaters. Ein Erlebnis, das an allen Nervenenden berührt.
Da steht sie, die zarte Elsbeth (Elaine Köhler), vor ihrem Ritter Benno (Sebastian Kolb) mit dem weichen Haar, dem man wegen seiner Sanftheit den Krieg, aus dem er gerade zurück kehrte, gar nicht zutrauen will. Das frisch verliebte Pärchen ahnt die dramatischen Wendungen ihrer Beziehung noch nicht und dass ihr Schicksal der Mordgrundbrücke zu ihrem Namen verhelfen soll … Die Sage der Familien von Clohmen und von Birken gibt den Auftakt dieses in Episoden portionierten Theaterabends. Erzählerin ist Lydia Schubert, die als „alte Dame“ in ihre erste Rolle an diesem Abend schlüpft und mit ihrer tragischen Liebesgeschichte Sitznachbarin Lisa-Marie Möbius als pampige „Jugendliche“ erweichen kann.
Mit der DVB reist das Publikum des Kaleidoskop-Theaters durch die Geschichte der Stadt. Endstation Gegenwart. Von der Mordgrundbrücke zu komischen Vögeln in der Neustadt, die für diebische Elstern gehalten werden. Das Märchen-Motiv zieht sich ebenso wie das kokette Knicken von Klischees durch das Stück. Ein greller Junggesellinnenabschied geht á la Emil & die Detektive auf Ganovenjagd und folgen dabei einem vermeintlichen Handydieb, der schnell verdächtigt ist: Er fällt als Sonderling auf und möchte auf ein Festival im Alaunpark. Das Urteil ist schnell gesprochen – haltet den Dieb!
Beklemmend wird es mit der DDR-Version des Märchens Dornröschen, in dem die kleine Aurora von Tante Margot, gespielt von Andrea Wenzel, zu Dummheit und Ahnungslosigkeit verflucht wird. Die gute Patin Hilde lässt sich nicht einschüchtern: „Dummheit ist keine Schande und gegen Ahnungslosigkeit kann man etwas tun.“ Letztlich ist guter Rat teuer, als Aurora an ihrem 16. Geburtstag plötzlich vom Rock’n’Roll in den Lipsi-Schritt verfällt und königsblau auf der heimischen Couch sitzt und Akten einordnet …
Gesellschaftskritisch, augenzwinkernd, hingebungsvoll emotional, unschlagbar cool ist das Schauspiel. Das Stück ist kein starres Korsett, das die Schauspieler*innen erfüllen müssen, sondern ein maßgeschneidertes Kostüm, in dem sie sich bewegen und entfalten.
Es ist die Energie der Darbietung in ihrer Unmittelbarkeit, die den Funken schon nach wenigen Minuten auf die Zuschauer*innen überspringen lässt. Das Publikum fiebert hörbar mit, es juchzt und seufzt, es klatscht, stöhnt auf und lacht.
Die individuellen Akzente der Darsteller*innen sorgen für unberechenbare Momente ureigener Komik, die von den Socken haut, weil sie fernab von intendiertem Klamauk schlichtweg passieren. Regelmäßigen Szenenapplaus erntet hier Klaus Wagenbreth in seinen diversen Rollen. Gleichwohl verdeutlicht das Spiel nachfühlbar Situationen des Drucks, der Bedrohung, der Unsicherheit, der Unfreiheit und spricht von der Hoffnung und den Möglichkeiten, diese zu überwinden. Unterdrücktes Schniefen ist zu hören, als auf der Beamerleinwand Szenen der Friedlichen Revolution mit Aufnahmen der Parade der Vielfalt überblendet werden: Gegen Ahnungslosigkeit lässt sich etwas tun …
Das achtsame, konzentrierte Zusammenwirken aller Beteiligten bildet einen sicheren Raum, indem anfängliche Nervosität bald verflogen ist und Abweichungen vom Skript zu Improvisation erwachsen. Die Mimen sind so eng mit ihrer Rolle verzahnt, dass sie nicht aus ihr fallen, sie höchstens in weiteren Facetten ausgestalten.
Die Schauspieler*innen erobern sich wahrsten Wortsinne an diesem Abend die Bühne des Projekttheaters und darüber hinaus das Publikum bis in die letzte Reihe. Spielend nehmen sie die Hürden der Separation und lassen mitempfinden, wie ein Miteinander auf Augenhöhe, mit Leichtigkeit und Respekt Freude abstrahlen kann. Szene für Szene.
„Nächster Halt!“ Das neue Stück des Kaleidoskop-Theaters
- Projekttheater, Louisenstraße 47, 01099 Dresden
- nächste Vorstellungen am 6., 7., 13. und 14. Dezember jeweils um 19 Uhr
- Mehr Informationen auf der Vereinsseite unter www.columba-palumbus.de
- Rollstuhlfahrer*innen werden gebeten, ihre Teilnahme anzumelden. Das Theater ist nicht barrierefrei, bei der Überwindung wird jedoch gern geholfen.