Davon wurde die Residenzstadt Dresden auch damals, 1913, nicht verschont. Die Dresdner Volkszeitung, das Hausblatt der hiesigen Sozialdemokratie, hatte fast täglich diesbezügliche Meldungen auf ihren Seiten.
Hier ein paar Beispiele:
Rasende und rücksichtslose Radfahrer
Die gab es nicht wenige. So fuhren am Postplatz, Ecke Sophienstraße ein unbekannt gebliebener Mann und ein am Terrassenufer wohnender Knabe mit ihren Rädern zusammen. Wild rudernd suchte der Junge im Fallen mit seinen Armen irgendwo Halt. Den fand er in Bruchteilen einer Sekunde im Kleid einer vorübereilenden gutbürgerlichen Dame. Durch das Festhalten wurde sein Sturz ein wenig abgebremst und die Verletzungen waren harmloser. Leider nicht bei der Dame. Sie schrie auf und das umstehende Publikum schaute verschämt bis entsetzt, denn der Knabe hat sie in seinem Fallen vom Rad bis auf die Unterwäsche entblößt. Der eigentliche Verursacher des Zusammenstoßes machte sich in diesem Wirrwarr aus dem Staub.
Kutsche contra Straßenbahn
Nicht ganz so glimpflich verlief ein Unfall auf der Marienbrücke. Dort ließ ein Grundbesitzer mit seiner zweispännigen Wagonettkutsche aus dem Umland gemütlich in Richtung Innenstadt traben. Da es in seinem Herkunftsort Ullersdorf keine Straßenbahn gab, nahm er die hinter ihm herankommende Tram nicht wahr. Es kam wie es kommen musste. Pferdekutsche und Bahn berührten sich. Dabei verhakte sich das Geschirr der Kutsche. Der Herr Gutsbesitzer wurde vom Wagen geschleudert und erlitt einen schweren Schädelbruch. Im bedenklichen Zustande, so die Zeitung, wurde er ins Krankenhaus Friedrichstadt gebracht. Was aus den Pferden wurde, entzieht sich unseren Kenntnissen.
Polizei erwischt Diebe
Dass eine so reiche Landeshauptstadt, wie es Dresden damals war, auch allerhand dunkles Gesindel anzog, galt als gegeben. Manchmal hatte die Ordnungsmacht aber auch Glück. So gelang es einem aufmerksamen Gendarmen auf der Wettiner Straße an einem Abend im Juli 1913 gleich zwei Wiederholungstäter dingfest zu machen. Er bemerkte zunächst, dass in dem Tante-Emma-Laden von Händler Tappert etwas nicht stimmte und erwischte inflagranti zwei junge Männer, die gerade dabei waren, den Besitzer um Hochprozentiges zu erleichtern und sich die Taschen mit allerlei Nippes zu füllen. Dabei handelte es sich um zwei Arbeitslose, einen Anstreicher und einen Schreiber. Heraus kam noch, dass sie kurz zuvor einem Zigarrenladen auf der Annenstraße einen Besuch abstatteten und aus diesem ein paar der teureren Exemplare mitgehen ließen.
Billigprodukte aus Asien
Nicht erst heutzutage kommen illegal gefälschte und gesundheitsgefährdete Produkte über diverse Kanäle an naive Kundschaft. Damals waren es ausgestopfte japanische Hühner und Entenküken. Die staatlichen Aufsichtsbehörden warnten eindrücklich die Bevölkerung, denn diese vermeintlich „süßen und niedlichen“ Spielzeuge für Kinder waren reichlich mit Arsenik bearbeitet worden, deren Rückstände hoch riskante Folgen verursachen konnten.
Kindstötung
Selbst- und Kindestötungen und deren Versuche gab es leider damals reichlich. Die monatlichen Polizeistatistiken wiesen sie aus. Die Ursachen lagen meist in Beziehungssituationen, in sozialen Ausweglosigkeiten und in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. So fand man an der Bahnstrecke Dresden – Großenhain – Cottbus die Leiche eines frisch geborenen Kindes. Da DNA-Tests noch unbekannt waren, fand man die Mutter des Babys nicht. Die Polizei vermutete, dass eine Reisende von der Geburt im Zug überrascht wurde und das Kind zum Fenster hinausgeworfen hatte.
Technik verhindert Selbsttötung
Einen Selbstmord verhinderte ein schnell reagierender Straßenbahnfahrer auf dem Postplatz. Eine in Striesen wohnende Frau warf sich auf dem gut frequentierten Platz plötzlich vor die Bahn. Die städtischen Verkehrsbetriebe hatten aber vorgesorgt, da Unfälle, auch durch Auf- und Abspringen leichtsinniger, meist jugendlicher Fahrgäste und Selbsttötungen reichhaltige Störungen im Betriebsablauf verursachten. Der Fahrer der Bahn bremste jedenfalls sofort und setzte eine technische Fangvorrichtung in Betrieb. Dadurch wurde die Absicht der Frau verhindert. Sie erlitt nur leichte Verletzungen. Ob der Straßenbahnfahrer eine psychische Betreuung bekam, ist nicht bekannt, darf jedoch bezweifelt werden.
Reinheit des Bieres
Die Gesundheitsbehörden der Stadt, damals nannte man sie „Wohlfahrtspolizei“, kontrollierten die Einhaltung der Vorschriften bei Lebensmitteln, die Hygiene in Gebäuden und Kneipen sowie die Produktion in diesbezüglichen Unternehmen. Im ersten Halbjahr waren 24 Dresdner Brauereien und Biergroßhandlungen dran. Dabei ging es vor allem um das Flaschenbier. Insgesamt 45 Revisionen wurden hinsichtlich der gründlichen Flaschenreinigung, der ordnungsgemäßen Beschaffenheit der dazu verwendeten Geräte und Maschinen sowie der Räume vorgenommen. Zur Freude der reichlich „Hopfenblütentee“ trinkenden Kundschaft war alles im grünen Bereich.
Frauenpower
Wer meint, dass damals Frauen rechtlos und Männer brustschwellende Machos waren und alles durften, irrt. Es gab schon eine Reihe von Gesetzen, die die Staatsmacht hart durchgreifen ließ. So wurde ein 28 Jahre junger Mann aus Gittersee verhaftet, weil er sich Frauen gegenüber schamlos verhalten hatte. Er entblößte sich in bis dato zwei bekannte Fälle in Potschappel (die Stadt Freital existiert erst seit dem 1. Oktober 1921 durch die Vereinigung mehrerer Gemeinden im Plauenschen Grund) und am Steigerbusch.
Sieh immer nach, was auf dem Teller liegt
Vorsicht sollte man auch beim Essen walten lassen. Unachtsamkeiten, mit den Tischnachbarn quatschen, eifrig saufen und nicht darauf achten, was man in den Mund steckt, können zum Verhängnis werden. So erging es in dem Schmiedemeister Gräfe aus Zauckerode. Er besuchte einen Verwandten, der in Deuben ein Gasthaus hatte. Zum Bier reichte der Wirt selbst eingelegte Rollmöpse. Ohne nachzudenken stopfte sich der leutselige Schmiedemeister einen dieser köstlichen Heringsröllchen in den Mund. Dabei vergaß er, dass kleine Holzpflöckchen die Rolle zusammenhielten. Diese Pflöckchen stellten sich in seinem Hals quer. Gräfe erstickte jämmerlich. Er hinterließ sechs Kinder als Vollwaisen, seine Frau starb kurz vor diesem Ereignis.
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.