Als Reaktion auf den Ausbruch dreier Inhaftierter aus dem Abschiebungsgefängnis an der Hamburger Straße will die Landesdirektion schärfere Sicherheitsvorkehrungen treffen. Ein gegenteiliges Interesse hegt die Abschiebehaftkontaktgruppe: Sie zweifelt die Notwendigkeit des Gefängnisses per se an. Denn: Hinter den Mauern sitzen Menschen nicht, weil sie eine Straftat begangen haben.
Abschiebehaftkontaktgruppe – ein Wort, das es mit Staat und Bürokratie aufnehmen kann. Dass es sie in Dresden gibt, ist dem Bau des Abschiebungsgefängnisses in Dresden geschuldet, das 2018 in Betrieb ging.
Dieses Jahr wird die Institution der Abschiebungshaft 101 Jahre alt. Sie wurde 1919 während der Weimarer Republik in Bayern eingeführt, um die massenhafte Abschiebung jüdischer Menschen umzusetzen. Ein fragliches Jubiläum, denn hinter Gittern sitzen keine Straftäter, sondern Menschen, bei denen die Behörden Fluchtgefahr sieht. Jörg Eichler und Albrecht von der Lieth sind überzeugt: „Ein Grund zur Inhaftierung findet sich immer. Man kann es dem Gesetz nicht recht machen.“ Die Frage nach dem Umgang mit Schutzsuchenden sei eine brisante gesellschaftspolitische.
Traumatische Erfahrung Haft
Die beiden Männer engagieren sich neben Job und Familie ehrenamtlich in der Abschiebehaftkontaktgruppe. Sie ist ein Zusammenschluss von Vereinen und Privatpersonen, die sich für die Rechte der Inhaftierten einsetzen. Das Credo: Die Erleichterung des Verwaltungsakts Abschiebung rechtfertigt nicht die Beschneidung des Grundrechts Freiheit. Die Größe der Gruppe schwankt zwischen 15 und 20 Mitgliedern, die zumeist einen beruflichen Bezug zum Thema Flucht und Migration haben.
Sie nehmen Kontakt zu Betroffenen auf und informieren über Handlungsmöglichkeiten. Da Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden müssen, überkommt der Zugriff die Betroffenen meist völlig unerwartet. Eichler und von der Lieth sprechen von einem hohen psychischen Druck, dem die Inhaftierten ausgesetzt sind. Die Folgen sind Stress, Angstattacken, immer wieder Selbstmord.
Einzelne Aussagen können zur Verhaftung führen, z. B. wenn eine Person äußert, nicht in das Land zurück zu wollen, aus dem sie geflohen ist. Vergangenes Jahr sei ein Mann von seinem Arbeitsplatz auf der Baustelle geholt und direkt zum Frankfurter Flughafen verbracht worden. Als er sich im Blaumann auf der Gangway mit dem Abflug nicht einverstanden zeigte, weil er wenigstens einen Teil seiner Sachen mit sich nehmen wollte, lieferte das den Grund für die Inhaftierung, beschreiben die Männer ein Beispiel.
„Die Beamten gehen an die Haustüren und klingeln – wenn niemand öffnet, ist das ein Grund für den Antrag Abschiebungshaft. Möglicherweise war die Familie nur einkaufen. Die Beamten interpretieren es aber als Widerstand gegen die Abschiebung“, so Eichler. Durch die Inhaftierung werden Familien und Freundeskreise zerrissen – ein Vorgehen, das sich traumatisch auswirken kann.
Vorwurf: Mangelnde Transparenz
Die Abschiebehaftkontaktgruppe übernimmt für die Betroffenen die Funktion eines Beistandes und Vermittlers: Sie beantragt Akteneinsicht und Dolmetscher, setzt sich für eine Anhörung der Betroffenen vor Gericht ein, klärt sie über ihre Rechte auf, besucht Betroffene.
„Zuerst einmal müssen wir mit ihnen Fragen klären wie: Was ist überhaupt passiert? Wo bin ich?“, so von der Lieth. In zähen Verhandlungen hat die Gruppe erreicht, jeden Mittwoch ab 16 Uhr Beratungen an der Hamburger Straße anzubieten. Die Landesdirektion steht einer Kooperation nur zögerlich gegenüber.
„Wir haben schließlich erreicht, dass wir die Beratung nicht Punkt 17 Uhr abbrechen müssen“, sagt Eichler. Er bemängelt die Transparenz der Einrichtung. „Die JVA bietet sogar einen Tag der offenen Tür an. In das Abschiebegefängnis gibt es keine Einblicke.“ So seien gewisse Abläufe nicht überprüfbar und würden auch nicht hinreichend kommuniziert – z. B. ob die Inhaftierten verständlich und umfangreich über ihre Rechte aufgeklärt werden, kritisiert Eichler.
Das Abschiebungsgefängnis in Sachsen ist eines von fünf Spezialgefängnissen in Deutschland. Das größte befindet sich in Büren. Als der Bundesgerichtshof vor sechs Jahren beschloss, dass Abschiebungshäftlinge nicht in gewöhnlichen Hafteinrichtungen untergebracht werden dürfen, konnten in Sachsen keine Inhaftierungen mehr vorgenommen werden.
Die Abteilung für Abschiebehaft in der JVA (Justizvollzugsanstalt) Dresden wurde geschlossen. Sachsen mietete in dieser Zeit Haftplätze in anderen Bundesländern an. Für knappe zwölf Millionen Euro baute der Freistaat schließlich ein Gefängnis eigens für Abschiebehäftlinge – ein Bau, der für die salopp so titulierte „Wohlfühlhaft“ eingerichtet sein und auch Familienzusammenführungen erlauben soll. Derzeit bestätigt die Landesdirektion allerdings den Mangel an weiblichem Personal, wodurch keine Frauen aufgenommen werden können. Insofern seien auch die Unterbringungsmöglichkeiten für Familien begrenzt, sagt der stellvertretende Pressesprecher Gunter Gerick.
56 Beamte auf sechs Häftlinge
Alle 56 Sollstellen und fünf Verwaltungsstellen sind voll besetzt – im Gegensatz dazu beträgt die Anzahl der Inhaftierten zum Stand 27. Januar 2020 nur sechs bei 24 Haft- und 34 Ausreisegewahrsamplätzen. Im vergangenen Jahr berichtet die Landesdirektion von 137 Neuzugängen. Laut Klientenakten, die der Abschiebungshaftkontaktgruppe vorliegen, entstehen 239,40 Euro Kosten pro Person pro Tag, die von den Inhaftierten getragen werden müssen.
Hinzu kämen noch Verwaltungsgebühren. Da die Betroffenen meist aber nicht über die nötigen Mittel verfügen, bliebe der Freistaat auf den Kosten sitzen. „Das Abschiebegefängnis dient der Symbolik und der Abschreckung“, sagt Eichler. „Von Effizienz kann nicht die Rede sein.“
Die Abschiebehaft-Kontaktgruppe beziffert die jährliche Zahl der Abschiebungen in Sachsen auf rund 2.000. Die Kosten für eine Abschiebung liegen durchschnittlich bei 2.500 Euro. Albrecht von der Lieth: „Da Deutschland neben eigenen Kosten auch auf Frontex als Durchführungsorganisation zurückgreift, diese allerdings wiederum auch durch deutsche Mittel betrieben wird, sind die genauen Kosten nicht so einfach zu bestimmen.“ Teuer, unnötig, unmenschlich, so lautet das Fazit der Abschiebehaftkontaktgruppe.
Eichler: Beschlüsse werden zu schnell durchgewunken
„Besonders in Sachsen herrscht am Gericht nicht genug Sensibilität beim Thema Abschiebung“, schildert Jörg Eichler seine Erfahrungen. Die Beschlüsse würden vor dem Amtsgericht zu schnell durchgewunken und zu selten angezweifelt. Wie überall gebe es auch am Gericht Trends. In Sachsen sei dieser gegen die Beschuldigten ausgerichtet. „In Sachsen wird nur eine Handvoll Urteile als rechtswidrig erklärt“, führt Albrecht von der Lieth an und mahnt vor einer hohen Dunkelziffer Fehlurteile.
„Die Richter müssen mehr hinhören“, fordert Jörg Eichler. Er beruft sich auf Statistiken, nach denen angezweifelte Klagen vor dem Bundesgerichtshof zu 80 Prozent als rechtswidrig eingestuft werden. Bis zu dieser Instanz gelangen die wenigsten Fälle. Meistens läuft das Feststellungsverfahren noch, wenn die Abschiebung längst stattgefunden hat. Den Betroffenen fehle es an Möglichkeiten und Mitteln, sich ihr Recht zu erstreiten – besonders nach der Abschiebung, wenn sie mit einer Vielzahl anderer Probleme konfrontiert sind. „Politisch streiten wir für die Abschaffung der Abschiebungshaft“, so Eichler und von der Lieth. „Sie ist menschenunwürdig.“
Dresdner Kontaktgruppe für Menschen in Abschiebungshaft
- Sächsischer Flüchtlingsrat Sachsen e.V., Dammweg 5 , 01099 Dresden
- www.abschiebehaftkontaktgruppe.de
- kontakt@abschiebehaftkontaktgruppe.de
Mensch Philine!
Jetzt hat Dir der grosse Meister mal ein paar Zeilen mehr zu einem ernsten Thema geschenkt. Und was macht er? Er schafft es nicht mal „Abschiebehaftkontaktgruppe“ in der Überschrift vernünftig zu trennen.
Perlen vor die Säue…….
Vielen Dank für den Hinweis, hab ich gleich mal geändert.
Was bedeutet die Aussage „Ein Grund zur Inhaftierung findet sich immer. Man kann es dem Gesetz nicht recht machen.“? Werden die Menschen willkürlich in die Abschiebegefängnisse gebracht oder gab es zuvor Entscheidungen/Urteile, die eine Abschiebung begründen? Dabei geht es nicht um die Frage, ob der/die Betroffene dem zustimmt (was wohl eher selten der Fall sein wird), sondern ob es auf Basis der geltenden Gesetze und Regelungen entschieden wurde. Liegt dies vor oder auf welcher Basis wird entschieden, wer in ein Abschiebegefängnis kommt?
Was wäre die Alternative, wenn es solche Einrichtungen nicht mehr gibt? Was ist der Plan B, wie können Abschiebungen dann durchgeführt/sichergestellt werden? Wenn diese grundsätzlich nicht mehr erfolgen sollen, was wären die Auswirkungen?
Was hat das jetzt mit der Neustadt zu tun? Nur weil die „Aktivisten“ auf dem Dammweg sitzen? Na hoffentlich verlegt nicht die AfD ihren Sitz in die Neustadt, sonst müsste der liebe Anton demnächst auch über deren Aktionen hier fortlaufend berichten?
„„In Sachsen wird nur eine Handvoll Urteile als rechtswidrig erklärt“, führt Albrecht von der Lieth an…“
Eine Behauptung, die ohne Vergleichszahlen nichts wert ist.
Und sächsischen Richtern pe se rechtswiedrige Urteile zu unterstellen, ist schon ganz schön grenzwertig.
Was mich aber interessiert, wie „…zwischen 15 und 20 Mitgliedern, die zumeist einen beruflichen Bezug zum Thema Flucht und Migration haben.“ zu verstehen ist.
Berufsflüchtlinge?
Oder Personen, denen durch den Vollzug des Rechts ihre Klientel abhanden kommt?abhanden
“Der Mensch ist gut! Wenn er noch besser wäre, wär er zu gut für die bescheidne Welt. Auch die Moral hat ihr Gesetz der Schwere: Der schlechte Kerl kommt hoch – der Gute fällt.“
Aus dem Gedicht “Der Mensch ist gut“ von Erich Kästner
Danke Philine, Danke Erich!
Danke für den Artikel! Ich kenne zumindest einen der Interviewten und bewundere das Engagement und die Kraft, mit der die Kontaktgruppe agiert (und viele andere Initiativen in diesem Bereich auch). Und ich kenne auch Betroffene, die von dieser erbärmlichen und rassistischen Asylrechtsk***e systematisch fertiggemacht werden – Leute, die in ihrem „Herkunftsland“ weder Chancen noch Perspektiven haben.
Die freie Wahl des eigenen Lebensortes sollte eigentlich zu den fest verbrieften Menschenrechten gehören aber ich fürchte, davon sind wir noch weit entfernt.