Der Mitte Januar frisch gegründete Klubnetz Dresden e.V. lud am vergangenen Sonnabend aus Anlass des Open Club Day zur Clubkultour durch die Landeshauptstadt ein. Eine Klassenfahrt in den „Dresdner Untergrund“. Der Schulterschluss der teils geschichtsträchtigen Institutionen soll für einen stabilen Stand der Clubs in der Dresdner Kulturlandschaft. „Ein historischer Tag“, der tief hinab bis an die Wurzeln der Subkultur führte.
Dreizehn Clubs in fünf Stunden – etwa 40 Teilnehmer*innen nahmen die Herausforderung an diesem lauen Sonnabendmorgen an. Mit dabei interessierte Zugezogene, Stadtteilbeiräte von Linke und Grüne, Vertreter*innen von Amt für Wirtschaftsförderung, Baugenehmigungsamt und Presse, die 2. Bürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) und Mitwirkende aus der Dresdner (Sub-)Kultur.
Der Anlass: Das Klubnetz Dresden ist ein frisch gegründeter ein Verein, dessen Mitglieder Akteure aus der Clubkultur in Dresden sind. Sie wollen ihre Interessen und Kräfte bündeln, um die Szene zu stärken und sich für die Lösung gemeinsamer Probleme einzusetzen.
„Die Dresdner Clublandschaft“, so Christoph Töpfer (ehemalig Sabotage und TBA), „ist ein Schatz. Ein Pfund, mit dem die Stadt wuchern kann.“ Um diesen Schatz näher zu erkunden, organisierte der Verein eine Stadtführung der besonderen Art.
Fast pünktlich um 11 Uhr rollt der Mystery-Doppeldecker-Bus vom Treffpunkt am Kulturrathaus ab. Knautschige Ledersitze, Getränke und Schokoriegel, abgedunkelte Scheiben, hinter denen die vertraute Stadt seltsam fremd vorbeizieht – die Reisegruppe Clubtour macht sich auf ins unbekannte Bekannte.
Erste Station: Jazzclub Tonne. Dank des schaukelnden Busses und der gegenüberseitigen Sitzaufreihung stolpern alle kurzzeitig desorientiert auf das Pflaster gegenüber der Schießgasse.
Den Fluten entstiegen: Jazz Club Tonne
Beim Ausstieg heißt es kurz die Augen in der ersten Frühlingssonne zusammenkneifen, dann geht es abwärts in das schummrige Gewölbe der Jazz Tonne. Einst adliger Partykeller (die Wackerbarth’schen frönten hier als „Gesellschaft wider die Nüchternheit“ dem Suff), ist der Keller wieder Heimatort der Tonne, die 2015 aufgrund eines Wasserschadens ihren Interimsstandort im Keller des Kulturrathauses verlassen musste und an ihren alten Standort zurückkehrte.
Sie ist experimenteller Schmelztiegel von Rock, Pop, Elektro und Jazz und gilt auch aufgrund ihrer Kooperation mit der Musikhochschule als lokale Talente-Schmiede.
Zwischen 110 und 130 Konzerte finden jährlich in der Tonne statt. Je nach Veranstaltung finden sich im Schnitt zwischen 30 und 350 Besucher*innen ein. Zum heutigen Open Club Day steht ein Schallplattenspieler bereit, um mit selbst mitgebrachten Platten die Anlage zu testen.
Flink wuseln die Gäste durch die Türen mit den „Staff Only“-Hinweisschildern. Dafür ist der Tag schließlich da. Schnell hat sich der heißeste Tipp rumgesprochen: Ein Besuch auf den Toiletten, die besonders stilvoll aufwarten. Dann pfeift Pierre Tannert (rauze.de) schon wieder zur Weiterfahrt.
Urgesteine im Wandel: Beatpol & Scheune werden renoviert
Weiter geht es zum Beatpol (bis 2007/2008 Starclub), dem „Club mit der schönsten Patina der Stadt“, wie es Moderatorin Anika Jankowski (Managerin Oh my music-Musikverlag, music:match) treffend formuliert. Das alte Haus blättert jedoch. Ebenso wie in der Scheune 2021 muss das Gebäude in nahender Zukunft brandsicher gemacht werden.
„Der Stadt ist an der Erhaltung des Beatpols gelegen“, versichert Annekatrin Klepsch. Für den Beatpol, der seit 1990 Spielstätte für namhafte Künstler*innen aus dem Rock- und Pop-Spektrum ist, soll eine Ersatz-Location gefunden werden. Im Gespräch sind die ehemaligen Räume des tjg, die allerdings im Vorfeld ebenfalls einer Sanierung bedürfen, so Klepsch.
Es geht wieder auf die andere Elbseite, in die Neustadt. Die Reisegruppe darf den Mini-Kellerclub „Koralle“ von außen bestaunen, bevor es fußläufig in die Scheune geht.
Diese und die nächste Saison sind Schaubudensommer, Gastronomie und Konzerte noch gesichert – ab Ende 2021 allerdings wird der alte Kasten auseinander genommen und grundsaniert. Für zweieinhalb Jahre wird das Gebäude nicht nutzbar sein. „Wir ziehen pünktlich zu unserem 70. Geburtstag aus“, sagt Romy Jaehnig, Geschäftsführerin des Scheune-Vereins. Für die Zeit der Überbrückung ist ein mobiles Konzept in Koopertion mit anderen Einrichtungen vorgesehen.“Wir denken über eine Anlaufstelle auf dem Scheunevorplatz nach“, so Jaehnig.
Wie dies gelöst wird, steht noch nicht endgültig fest. Container stehen zur Debatte. Problematisch steht es um den Schaubudensommer nach der Sanierung. Dann könnte es an einer geeigneten Fläche mangeln. Romy Jaehnig sieht die Zustimmung der Anwohner*innen als Problem: „Hier um die Scheune sind die Anwohner an den Trubel gewöhnt.“ An einem anderen Ort sei mit Beschwerden zu rechnen.
Ines Sommer betreut das Bauvorhaben: „Es wird noch viele Diskussionen geben, weil die Bürgerinnen und Bürger eingeladen sind, ihre Ideen zur Gestaltung der Fassade einzubringen.“ Sie äußerte sich zufrieden über den Fakt, dass der Stadtrat sich für die zweite und damit kostenintensivere, aber auch nachhaltigere Version zum Umbau entschieden hatte. So seien die nächsten 70 Jahre anschließend gesichert, räumte ihr Kollege ein.
Beat- und Bildungsorte: Groovestation und Ostpol
Dass die Groovestation als Waschsalon und „Punkerschuppen mit Hunden“ angefangen hat, lässt sich heute nur noch erahnen. Klaus Körner erzählt die Geschichte seines Clubs, der Konzertsaal, Dancefloor, Jugendbegegnungsstätte und Geschichtsort in einem ist.
„Die Angst, irgendwann wegen Anwohnerbeschwerden schließen zu müssen, begleitet mich seit 25 Jahren“, sagt er. Das Überleben als Club sei ein ständiger Kampf und eine Herzensangelegenheit: „Das grenzt im Prinzip schon an Selbstausbeutung“, konstatiert er. Klaus Körner ist Eigentümer des Clubgeländes und der zugehörigen Einfahrt. Zu potentiellen Mietern der Wohnungen in Hörweite der Groovestation sucht er das Gespräch, erklärt den Club und seine Bedeutung und wirbt für Verständnis.
„Clubs sind Orte der Begegnung, die ihren Platz im innerstädtischen Bereich verdient haben“, sagt er. „Das ständige Aushandeln gehört dazu.“ Er sieht die Groovestation über ihre Bedeutung als Vergnügungsort hinaus als Stätte der politischen Debatte, des Austauschs und der internationalen Beziehungen an. Bei aller Professionalisierung habe die Entwicklung stets zusammen mit dem angehörigen Freundeskreis stattgefunden, so Körner.
Weiter geht es in den Ostpol, ein Club mit musealem Charakter. Für die Inneneinrichtung durchstöberten die Betreiber alte Ferienheime und Dorfkneipen. Herausgekommen ist Kuschelatmosphäre in Senfgelb und Erbsengrün. Relikte aus den ehemaligen Wohnungen sind die Kachelöfen in den Club-Räumen. Über dem Ostpol mit Tresen, Wohnzimmer und Tanzdiele, befinden sich Proberäume und Ateliers, z.B. das von Theatermalerin und -plastikerin Annekatrin Härtel, deren Diplomstück der Grüne Bogenschütze auf dem Balkon des Ostpols ist.
„Eigentlich wollten wir nur auf ein Bier in den Ostpol …“
„… und dann war es plötzlich morgens um zehn im Sektor-Zelt.“ Ein Nachtschwärmerzitat mit Kultcharakter, auf dessen Route sich nun auch der Mystery-Bus mit seinen Insass*innen macht. Die Sitzplätze wurden mittlerweile häufig gewechselt und es entspinnen sich Gespräche. Melancholische über Partyhopping jenseits der 30 („Mehr als zwei Clubs schaffe ich nicht mehr“), euphorische in Bezug auf den herannahenden Abend („Wir könnten gleich hier bleiben …“) und konstruktive über Lärmschutzverordnungen.
Der Bus erreicht den Elektro-Club objekt klein a, das vor Kurzem vom Groove-Magazin auf Platz 2 der beliebtesten Clubs in Deutschland gewählt wurde – auf Platz 1 steht der Berliner Club Berghain. Das oka stemmt zwei bis drei Veranstaltungen im Monat, etwa 1.000 Menschen gehen monatlich ein und aus. Ein Kollektiv von mittlerweile rund 100 Leuten organisiert Konzerte, Lesungen, Kino, Kinderdisco, Podiumsdiskussionen und natürlich Techno-Partys.
Via Crowdfunding wurde die Finanzierung der legendären Lambda-Anlage ermöglicht. Das marode Fabrikgebäude baute das Kollektiv in Eigenleistung aus. Probleme haben sie, wie nahezu jeder Club in der Straße E, mit Lautstärkebeschwerden. „Die kommen häufig aus Hellerau“, berichtet Felix Buchta. „Die Leute hören meistens eine Freetek in der Heide und schreiben uns das zu.“ Belastend seien auch die Mietpreise.
Die illegalen Partys in der Heide, so Christoph Töpfer, seien auch dem Umstand geschuldet, dass es im Stadtgebiet keine Freiflächen für Non-profit-Veranstaltungen gebe. Deshalb weiche man in die Natur aus, was der Umwelt nicht zuträglich sei. Er teilt die Vision eines Kulturschutzgebietes im Industriegelände und spricht sich, wie viele Mitstreiter*innen für einen Nachtbürgermeister als Mittler und die Aufhebung der Sprechstunde aus.
Sommerbetrieb im Freien nach 22 Uhr – davon träumt auch Paula-Betreiber Steffen Gläser. Als Betreiber mache lasse man sich Gutachter und Anwälte viel Geld kosten, um dann letztendlich in Anbetracht von Lautstärkebeschwerden den Kürzeren zu ziehen – im Industriegelände, wo Firmen teilweise nachts Maschinen betreiben. Die Wirtschaftlichkeit der Clubs stehe auf der Kippe und damit ihr Potential. Dieses Problem hat auch der Sektor Evolution, der auf einer Freifläche einen Outdoor-Floor in Form eines Zirkuszelts betreibt.
Das Anliegen des Klubnetz-Vereins ist deshalb, an einem Strang zu ziehen, was Lösungen betrifft. Erich, Mitinitator, erläutert: „Obwohl die Clubs natürlich auch in Konkurrenz zueinander stehen, sollen sie sich austauschen und zusammenarbeiten, was ihre gemeinsamen Interessen angeht. Auf diese Weise ist es auch für die Stadt leichter, nachhaltige Regelungen zu finden.“
Immer alle an einen Tisch zu holen sei schwierig. Es sollen jedoch noch viel mehr Clubs zur Teilnahme eingeladen werden. Durch die Kenntnis anderer Formate entstehe die nötige Sensibilität für die Bedürfnisse anderer Clubbetreiber.
Gallische Dörfer: Chemiefabrik und Kleinvieh
Die Frühlingssonne ist mittlerweile in Frühlingsregen übergegangen. Wir passieren Altes Wettbüro und das ehemalige TBA unterm Bahnhof Neustadt, bis der Bus um die Petrikirche kurvt. Beim Eintritt in die Chemiefabrik zeigt sich an aufgeklappten Mündern, wer lange nicht mehr hier war: Die gute alte Chemo ist gediegen saniert. Rauchverbot und Applaus-Preis dotiert mit 40 000 Euro haben der ehemaligen Baracke ein neues Gesicht gegeben.
Betreiber Andi führt durch die Räume. Ein Anbau, in dem sich bald eine zweite Bar befinden soll, wurde aus privaten Mitteln finanziert. Im Kühlschrank steht kein Sterni mehr, sondern Lößnitz und Urquell. Die dicke Haut aus Stickern und Edding sind im Kicker- und Barbereich aber erhalten geblieben.
Die letzte Station stellen das Kleinvieh/Partyreihe Klub Neu und die ehemalige Showboxx dar. Hier kommt im Bus die Frage auf: Handelt es sich um Eventlocations oder Clubs …? Fakt ist: Zu kämpfen haben auch sie. Das Kleinvieh ist zwischen Hotelneubauten eingeklemmt ein letztes „Gallisches Dorf“, wobei doch hier mit der Showboxx, dem dienstältesten Elektro-Clubs Dresden, die Szene mitbegründet wurde.
Auch hier das Problem: Lautstärkebeschwerden. Und ein Streifen Rasengrün direkt am Elberadweg, das laut EU-Vogelschutzverordnung nicht mehr für die charakteristischen Holz-Liegen genutzt werden darf – zumindest nicht gewerblich.
Die wohl anspruchsvollste Clubtour des Jahres endet am Kulturrathaus. Die letzte Frage Anika Jankowskis „Wer war heute in einem Club, in dem er noch nie war?“ wird von allen mit Handzeichen beantwortet. Blicke hinter die Kulissen und in die Lebenswelten von Betreibern haben ein genaueres Bild davon gezeichnet, dass es in Clubs nicht nur um Rausch und Ekstase geht, sondern dass hier Freiräume des Denkens und Fühlens, des Träumens und damit der Identitätsstiftung geschaffen werden. Eine Vielzahl von Gewerben baut an Orten der Utopie und wirkt – zum großen Teil aus purem Engagement – an demokratisierenden und politisierenden Prozessen mit. Anika Jankowski wiederholt ihre Anfangsworte: „Ein historischer Tag“ sei der Open Club Day in Dresden. Es fühlt sich tatsächlich so an.
Die Fahrt war für viele eine Klassenfahrt zu den Bausteinen der eigenen Biografie: Zu Orten unvergesslicher Abende, Begegnungen und Gespräche. Zu Horten der Charakter- und Herzensbildung, der Lebens- und Schaffensfreude. Zu Heimaten und Zufluchten. Draußen wird es schon wieder dunkel. Alle Gäste purzeln fertig und übersatt an Eindrücken aus dem Mystery-Bus. Eine richtig gute Clubtour eben.
Klubnetz Dresden e.V.
Nachtrag/Korrektur
In der ersten Version hatten wir geschrieben, dass es schon nächstes Jahr eng wird für den Schaubudensommer. Die Sanierung der Scheune beginnt aber erst Ende des Jahres. Der Schaubudensommer ist also dieses und nächstes Jahr sicher. Wir haben den Text oben angepasst und bitten um Entschuldigung.
„Amt für Baugenehmigung“, was für eine wunderbare Eigenkreation.
Damit soll wahrscheinlich das Amt für Hochbau und Immobilienverwaltung gemeint sein.
^nee, Nixmerker, es ist das andere Amt gemeint, was über allen steht und daher maßgeblich ist, unter Führung von Ursel, also Urselamt.
Philinchen darf gern Eigenausdrücke nutzen, das paßt scho. Die Details sind für kreative Gemüter ohnehin abseitiges Fremdland.
Eine sehr schöne Bus-Runde, die auch zeigt, daß die Clubszene vom reichen Brachen- & Barrackenportfolio des Landeshauptdorfes gut profitiert.
Wie die Bilder zeigen: leider nur wieder „kleiner Verteiler“ an die immergleichen Nasen aus Polit- und Amtsmief. Ottonormalarsch bleibt gekonnt exkludiert, Otto oder Ottilie darf nur piefig DVB-BUS fahren.
Wünsche mir die Party-Tram wieder zurück, und daß Lab15 verfallsbedingt enteignet wird und in neue (private u./o. kommunale) Handhabe kommt. Mahlzeit.
@ nepumuk
als ex-mieter auf dem LAB 15 gelände kann ich dir sagen: Vergiss es!
da kommt die Stadt niemals ran. Der Typ hat Mafiöse struckturen hinter sich. Wir kämpfen trotz anwalt seit Jahren um unsere Kohle….Das ist ein Korrupter………
Ja, ich weiß. Deshalb gerade top geeignet für Enteignung. Mafia braucht Ruhe und Sichtschutz. Also bissel auufmischen, mal Hallo sagen und Entwignungsverfahren einfach durchziehen. Rechtlich eigentlich gut begründbar wegen „ruinöse Vernachlässigung von Denkmalsubstanz“ etc. Völlig wurscht, ob solche „Eigentümer“ noch real da sind, ob die noch gesehen wurden oder wie auch immer. Die kommen nicht, und der Staat machts im Grundbuch klar. Ist es leider kein Ort im städtischen Fokus, aber sehr hübsch und wertig. Weiß auch nicht, was die Denkmal-, Liegenschafts- und Bauaufsichtsbehörden so den lieben Tag machen. Die Stadt fungiert hernach nur als Mittler zu seriösen Entwicklern, die Kassen sind voll, und hier drängt ernsthaft die Zeit. Es geht um den drohenden Verlust eines der schönsten Industriebauten – auch aufgrund Nichttuns der Behörden.