Was Corona mit mir macht (Folge 4) – subjektiv, kritisch, widersprüchlich und optimistisch
Ganze Felsbrocken hörte man am Mittwoch Abend in den Buchhandlungen der Neustadt, bei Richters, beim Stü, in der Pusteblume, im Lesezeichen, in den Thalia-Filialen sowie in der Filiale der Städtischen Bibliothek auf der Königsbrücker zu Boden krachen: Felsbrocken der Erleichterung.
Als Autor freue ich mich darüber natürlicherweise besonders, zumal mein fertiges Buch in der Druckerei zur Endfertigung liegt und auf die Kundschaft in den Büchereien wartet. Sektkorken oder zumindest der Deckel einer Flasche Bier ließen ihren bis dato verschlossenen Inhalt ins Freie in den kleinen Boutiquen. Vielen kleinen Läden dürfen endlich wieder öffnen, wenn auch unter erschwerten Bedingungen.
Auch die Friseure dürfen wohl ab 4. Mai wieder an die Mähnen ihrer Kunden. Mein Schopf wartet sehnsüchtig darauf. Der Versuch der Selbstbearbeitung war, naja, eben nur ein Versuch. Ich bin gespannt, wie mein Friseur mir bei diesen hygienischen Auflagen gegenübertritt. Vielleicht im Ganzkörperkondom? Und, was viel wichtiger ist, hat er die Durststrecke überlebt?
Des einen Freud ist des anderen Leid oder wie meine Oma sagte: Allen Recht getan ist eine Kunst, die niemand kann. Meine Stammkneipe – bleibt geschlossen. Mein Biergarten – bleibt geschlossen. Meine Schauburg – bleibt geschlossen. Das Projekttheater auf der Louise – bleibt geschlossen. Carte Blanche – bleibt geschlossen. Puppentheater Böhmel – bleibt geschlossen. Sankt Pauli Theater – bleibt geschlossen. Nix mit der Bunten Republik, nix mit den Filmnächten am Elbufer, nix mit dem CSD, nix mit dem Stadtfest, nix mit dem Neustädter Frühling am Goldenen Reiter, nix mit Sankt Pieschen.
Schon das Schreiben dieser Hiobsbotschaften ließ mir die Tränen schießen.
Oh, wie vermisse ich mein gepflegtes Bier, meine mal blödsinnigen als auch die tiefsinnigen Gespräche mit Freunden und Unbekannten. Welch einen Genuss bereitete mir nachts halb vier der Verzehr einer Pizza auf der Alaunstraße als alkoholsaugender Begleiter auf dem Nachhauseweg. Jetzt werde ich doch noch sentimental. Vielleicht nicht ohne Grund. Zumindest beschleicht mich eine komische Ahnung, dass das Partyviertel Äußere Neustadt das ominöse Jahr 2020 nicht überleben wird. Ich möchte diese Situation um des lieben Herrgott Willen nicht herbeireden. Ein Stück besondere Heimat, ein Stück Dresden, was seines Gleichen sucht, geliebt und gehasst, könnte verloren gehen. Könnte.
Darüber wurde am Mittwoch nicht gesprochen. Gesprochen wurde auch nicht über die vielen freiberuflichen Künstler aller Genre, die DJ, die Eventorganisatoren, die privaten Theaterleute, Kneiper, Kellner, Köche usw. Ja, gut, einige konnten ein paar Zuwendungen beantragen. Aber die decken weder die fixen Ausgaben für Mieten, Strom, Wasser und für das ganz einfache Überleben.
Bleibt noch Hartz IV. Ja, stimmt, das ist demütigend. Ich weiß, wovon ich rede.
Und es bleibt noch die Hoffnung, dass irgendwann dieser unsichtbare Killer unseres Zusammenlebens sein böses Werk getan hat und das sowas wie Normalität eintritt. Wer sein Leben als Zauberer, Sänger, Musiker, Komiker, Schauspieler, Travestiekünstler sieht, wird auch nicht umschulen wollen. Wohin auch. Zumal es absehbar auch in allen Wirtschaftsbereichen tiefgehende Veränderungen geben wird. Veränderungen, die wahrscheinlich mit einer gewissen Verarmung und größerer sozialer Differenzierungen einhergehen werden. Das beweist, dass das Soziale einen, wenn nicht den höchst gewichtigen Stand in der Gesellschaft hat. Etwas, was in den vergangenen Jahrzehnten verdeckt wurde.
Damit beende ich diese aktuelle, ganz persönliche Kolumnen-Reihe. Doch das Thema verlasse ich nicht. Ab der kommenden Woche nehme ich Sie wieder mit auf Zeitreise. Diesmal zwischen 1918 und 1920, als hier in Dresden, neben den Kriegsfolgen, auch eine Pandemie wütete: Der verdeckte Killer – die Spanische Grippe. Bei der Sichtung der Materialien traten Dinge zutage, die mich erstaunten, die Ähnlichkeiten zu heute aber auch Unterschiedlichkeiten aufwiesen. Es wird spannend.
Bleiben Sie gesund.
Heinz Kulb
d’accord. zorry für den stress