Das Societaetstheater segelt seit Anfang Mai unter neuer Flagge: Heiki Ikkola, bekannt auf der Bühne durch die Company Cie.Freaks&Fremde, hat die Nachfolge von Andreas Nattermann angetreten und damit das Ruder inmitten der Krise übernommen. Eine Aufgabe, die gleichermaßen Chancen und Risiken birgt.
Heiki Ikkola, neuer „Chef“ des Socie, steht an diesem sonnigen Tag hinter dem Garderobentresen und malt schwarz. Nicht die Zukunft, sondern die Wand. Seit Anfang Mai leitet er das älteste Theaterhaus Dresdens. „Luxuriöser hätte eine Übergabe nicht sein können“, sagt er. Der Wechsel von Andreas Nattermann zu ihm sei kooperativ und einvernehmlich abgelaufen.
„Andreas hat mir auch über die Zeit der Übergabe hinaus seine Hilfe zugesichert.“ Das gegenseitige Verhältnis sei von Vertrauen geprägt und so könnten die Veränderungen, die Heiki Ikkola anstrebt, kommen – wenn da nicht die Haushaltssperre wäre.
Solidarisch mit der freien Szene
„Kulturinstitutionen sollen zwölf Prozent Einsparungen umsetzen“, sagt Heiki Ikkola. „Im Fall des Societätstheater wäre dieser Anteil die Kunst.“ Er habe, sagt er, den Posten als Leiter unter der Maßgabe angetreten, dass ihm zur künstlerischen Gestaltung von Haus und Programm ein Budget von 870.000 Euro zustehe. Die Fixkosten für Strom, Miete, Personal und sonstiges belaufen sich im „Normalbetrieb“ auf 740.000 Euro, sagt Ikkola. Wenn nun 80.000 Euro wegfallen, werde die Kunst wie mit einer Heckenschere weggekürzt.
„Ich zeige mich solidarisch mit der freien Szene“, sagt Ikkola entschlossen. „Für dieses Budget stehe ich als Leiter im Ernstfall nicht mehr zur Verfügung und mache mein Gehalt frei für die Bezahlung der Honorare. Die freie Szene soll diese Krise überleben.“ Weiter führt er aus: „Von allen Seiten hieß es, die Krise überstehe man nur durch Investition. Diese Position vertrete ich auch. Das Dogma, keine Schulden zu machen, muss weg.“
Heiki Ikkola steht am Anfang seines neuen Postens in einer „krassen Situation“. Normalerweise erarbeite man sich in ein bis zwei Jahren einen festen Stand und probiere sich dann an Alternativen. Durch den Shutdown sei es für ihn andersherum. Das Denken und Planen in Zwei-Wochen-Schritten zehre an Nerven und Kreativität. „Dieser Rhythmus zwingt zu Schnellschussgeschichten“, sagt Ikkola und hofft, dass die Abstandsregelungen bis zum Herbst entfallen.
Er kann – selbst bis vor Kurzem noch freier Künstler und jahrelanger Leiter des Puppentheaters im tjg – die Existenznot nachempfinden: „Puppenspieler zum Beispiel machen ihren Jahresumsatz im März, April, Mai und Dezember. Wenn eine zweite Welle käme, stünden sie vor dem Aus.“
Fest verortetes Schaubudenflair
Es kommt also nicht von Ungefähr, dass er dem Puppentheater mit der weiblichen Company Quadriga im Societaetstheater zu einem festen Stand verhelfen möchte. Alle Spielerinnen der Quadriga sind Mütter und selbstständig – ein Modell, das Ikkola neben dem künstlerischen Esprit unterstützenswert findet. Als zweite „Residenzpartnerschaft“ hat man sich für die in New York gegründete Gruppe Post Theater entschieden, die in ihre Darbietungen virtuos neue Medien einfließen lassen und damit einen „schönen fremden Blick“ kreieren. Die Entscheidung hat Ikkola der gesamten Belegschaft am Theater überlassen – „vom Techniker bis zur Bürofrau“, berichtet Ikkola. „Schließlich müssen alle gut miteinander arbeiten.“
Die gewählten Companys und angestrebten künstlerischen Partnerschaften sollen sich durch Internationalität und Diversität auszeichnen. Ikkola möchte über den Tellerrand Dresdens hinausschauen und – um im Bild zu bleiben – ein buntes, verblüffendes Programm in vielen (Körper-)Sprachen servieren. Die entsprechenden Netzwerke in den Mittleren Osten, Afrika und Deutschlands Nachbarländer bestehen dank den Kontakten von Cie.Freaks&Fremde. Pantomime, Tanz, intermediale Konzepte – was bislang durch „Kassenschlager“ finanziert wurde, soll nun mehr Raum bekommen. „Ich bin kein Freund dieser Philosophie: Ich muss das eine anbieten, um mir das andere leisten zu können“, sagt Ikkola. Dies beinhalte den Gedanken, dass sich das, was man an und für sich vertrete und befürworte, nicht allein tragen könne. An die Kunst zu glauben, gehöre zu seiner Vorstellung von Authentizität.
Bewerbung in letzter Minute
Seit 2006 hatte Andreas Nattermann die Leitung des Theaters inne. Heiki Ikkola ist mit seiner Company seit 2007 zu einem Stammgast am Societaetstheater geworden.“Ich kenne jede Klinke und jede Ecke“, sagt Heiki Ikkola. Mit Cie.Freaks &Fremde verwandelte er das Haus einmal im Monat in die „Freakstadt“. Die Company fasste hier Fuß, gestaltete mit. Als die Suche nach einem Nachfolger losging, hat er lange mit sich gerungen, erzählt er. „Ich habe die Bewerbung in letzter Minute geschrieben und abgeschickt.“
Der Wechsel vom freien Künstler zum Theaterleiter war ein gewichtiger – im Auge hatte Ikola auch die Zukunft seiner Company. Wer weiß, wie es um die „Residenten“ unter einer anderen Leitung gestanden hätte … Seiner Erfahrung bei Ko-Leitung des Schaubudensommers an der Seite von Helmut Raeder wird es zu verdanken sein, wenn dieses berauschende Flair aus weiter Welt, Groteske und Zirkuszelt sich zukünftig auch im Socie entfaltet.
„Ich möchte einen magischen Ort schaffen, den die Menschen lieben“, beschreibt Heiki Ikkola seine Vision. Die Idee für die Eröffnung nach Corona steht schon: „Wir machen ein Theatermuseum!“, so Ikkola. „Wir inszenieren einen Blick auf die Geschichte des Theaters aus der Perspektive eines Außerirdischen oder Zeitreisenden.“ Besucher*innen sollen einzeln oder in paarweise durch das Haus gehen. Jede*r Künstler*in bekomme Platz für eine Mini-Performance oder eine Installation auf diesem Parcours. „Aus der aktuellen Situation müssen wir einfach was machen“, sagt Ikkola und meint dies wirtschaftlich wie künstlerisch. Prinzipiell will Ikkola die Interaktion zwischen Bühne und Zuschauerraum verstärken, um Resonanzen anzuregen und Theater lebendiger zu machen.
Es darf reiben, kratzen, und knistern im neuen Socie-Programm. Zum Beispiel, wenn Philipp Hochmaier und die Elektrohand Gottes Schiller raven.
Spielplan-Highlights im Societaetstheater
- Le Parcours – Das lebendige Theatermuseum im Societätstheater. Ein Theaterrundgang mit künstlerischen Hindernissen, mit Ariel Doron, Katja Erfurth, Tobias Herzz-Hallbauer, Anne Klein, Sabine Köhler, Florian Mayer, Oda Pretzschner und anderen Künstlern.Termine: 6., 7., 10., 11., 12., 13., 14., 17., 18., 19.6. und 20. Juni. Beginn 19 Uhr, dann alle 20 Minuten. Dauer: ca. 1 Stunde. Letzter Rundgang 20.40 Uhr
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- weitere Infos im Spielplan