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Der verdeckte Killer (Teil 5)

Die Spanische Grippe in Dresden 1918 bis 1920

Corona hat uns heute im Griff. Vor 100 Jahren gab es Ähnliches: die „Spanische Grippe“. Zwischen 25 und 50 Millionen Todesopfer forderte sie weltweit, mehr als der Erste Weltkrieg mit seinen 17 Millionen Toten.

In mehreren Folgen möchte ich die Wirkungen der Pandemie zwischen Krieg und Revolution, zwischen Hunger und Tanz auf dem Vulkan in den gesellschaftlichen Schichten darstellen. Sie werden staunen, welche Parallelen es zur Pandemie 2020 gibt.

Behelfskrankenhaus zu Zeiten der Spanischen Grippe im Jahre 1918
Behelfskrankenhaus zu Zeiten der Spanischen Grippe im Jahre 1918

Der Rat der Stadt Dresden zog die Reißleine

In der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober 1918 erließ er nach längeren Überlegungen und Dränger der Öffentlichkeit unter Leitung von Oberbürgermeister Bernhard Blüher einen Erlass. Damit wurde auf die außerordentliche Zunahme der Erkrankungs- und Todesfälle der Spanischen Grippe in der Residenz reagiert. Anders als heute kamen die Maßnahmen in der Regel nur von den Kommunen, so dass es in noch größerem Maße einen Flickenteppich unterschiedlicher Verordnungen und Verbote im Deutschen Reich gab.

Nachdem das Königlich-sächsische Kultusministerium alle Schulen und Kindereinrichtungen bis zum 2. November 1918 geschlossen hatte, nachdem schon Gesundheitsämter einige Klassen und Schulen in Quarantäne schickten, folgte also endlich die Stadt mit dem sofortigen „Verbot aller öffentlichen Konzerte und Vorträge und alle sonstigen, mit größeren Menschenansammlungen verbundenen öffentlichen Versammlungen in geschlossenen Räumen“. Den Erlass veröffentlichten die Dresdner Neuesten Nachrichten in ihrer Ausgabe vom 25. Oktober 1918.

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Darunter fielen auch alle Vorstellungen in den Theatern, im Zirkus Sarrasani, in den Kinos und Varietés. Ausnahme bildeten die Gottesdienste in den Kirchen. Das rief große Proteste in der Bevölkerung wegen dieser Extrawurst hervor. Offen blieben aber die Kneipen und Restaurants. In diesen wurden jedoch Veranstaltungen jeglicher Art untersagt.

Zuwiderhandlungen wurden nach § 327 des Reichsstrafgesetzbuches bestraft. Dieser Paragraph befasste sich mit Anordnungen gegen die Verbreitung ansteckender Krankheiten. Wer sich diesen Anordnungen der Behörden fahrlässig widersetzte, wurde, wenn damit ein Schaden entstanden sei, mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Kam dadurch ein Mensch zu Tode, dann musste der Besitzer der Kneipe oder des Restaurants oder jedweder anderen Einrichtung für ein bis drei Jahren hinter Gittern.

In diesen Tagen verzeichnete die Allgemeine Ortskrankenkasse Dresden bis zu 400 neue Krankheitsfälle. Vorzugsweise waren nun Personen im Alter zwischen 10 und 30 Jahren betroffen. Da es keine allgemeine Meldepflicht gab und damit keine exakte Statistik, konnte man nur eine hohe Dunkelziffer annehmen. Auch die Todesfälle, die gewaltig zunahmen, konnten wegen der Vermengung mit anderen Krankheiten (wie heute auch) nicht immer eindeutig der Spanischen Grippe zugewiesen werden.

Es gab auch Widerstand und Kritik gegen den Erlass

Dieser kam vor allem von Seiten der Inhaber der schon damals recht zahlreichen privaten Theater in der sächsischen Residenz und vom Chef des Zirkus Sarrasani. Das ohne Übergang sofort wirksame Verbot brachte diese Einrichtungen in besonderer Bredouille. Einnahmen brachen weg. Auch zahlten sie aus Kulanz ihren zahlreichen Angestellten das Gehalt und den engagierten Künstlern die Gage weiter. Das ginge aber nur für kurze Zeit. Dann wurden auch die Staatlichen Stellen darum gebeten, „in Erwähnung zu ziehen, dass die Theater in den jetzigen schweren Zeiten durch ihre Darbietungen ganz wesentlich zur Zerstreuung und Unterhaltung des Publikums beitrügen“, so in den Dresdner Nachrichten zu lesen. Sowohl der Rat der Stadt Dresden als auch Kreishauptmannschaft und das Ministerium des Innern beschieden diese Eingaben auf Rücknahme der Verbote negativ.

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Also war jetzt Schluss mit der urkomischen Posse von Direktor Thymian „Schwindelmeier & Kompagnie“ im Thalia-Theater auf der Görlitzer Straße, mit dem „Weißen Rössl“ im Alberttheater, mit dem neuen Programm des Humoristen Harry Heinz Neumann im vornehmen Trocadero des Zirkus Sarrasani am Carolaplatz. Schluss war auch mit den täglichen Künstlerkonzerten im Parkhotel Weißer Hirsch. Der Vortrag „Freimaurertum und Vaterland“ in der Loge zu den drei Schwertern und Asträa zur grünenden Raute, zu der auch Nichtmitglieder und extra genannt „Damen“ freien Eintritt gehabt hätten, waren dem Verbot zum Opfer gefallen.

Kritik richtete sich an das städtische Gesundheitsamt, weil es „Massenansammlungen von Menschen wegen großer Ansteckungsgefahr verbietet, der Jahrmarkt aber abgehalten wurde“, so die Dresdner Neuesten Nachrichten. „Man schloss die Schulen und gab so gerade den Kindern die Gelegenheit, sich zu Hunderten auf den Jahrmarkt zu begeben.“ Gegen das Abhalten von Gottesdiensten in den Kirchen wandte sich diese Zeitung. „So begreiflich es ist, dass man den religiösen Trost jetzt nötiger braucht denn je – die Gefahr des Zusammenseins Tausender, die zum Teil von Krankenbetten kommend den Keim der Seuche weitertragen, erscheint uns als ausschlaggebend für jede Anordnung.“

Hingewiesen wurde auch auf die vollbesetzten Straßenbahnen. Daher der Appell: „Wer es vermeiden kann, unterlasse es, sich in schon überfüllte Straßenbahnwagen einzudrängen.“

Und der Krieg lag in den letzten Zügen

Doch die Kriegsparteien gaben nicht nach. Und so startete Kaiser Wilhelm Zwo sein letztes Aufgebot. Am 27. Oktober 1918 war in den Dresdner Neuesten Nachrichten unter der Überschrift „Hunde an die Front!“ zu lesen: „Bei den gewaltigen Kämpfen im Westen haben die Hunde durch stärkstes Trommelfeuer die Meldungen aus vorderster Linie in die rückwärtigen Stellungen gebracht. Hunderten unserer Soldaten ist das Leben erhalten, weil die Hunde ihnen den Meldegang abnahmen.“ Natürlich war nicht jeder Handtaschen-Wauwau der werten Damen der gehobenen Gesellschaft als Frontkämpfer geeignet, sondern eher „Schäferhunde, Dobermänner, Rottweiler, Jagdhunde, Leonberger, Neufundländer, Bernhardiner Doggen und Kreuzungen aus diesen Rassen, die schnell, gesund, mindestens ein Jahr alt und von über 50 Zentimeter Schulterhöhe sind.“

Natürlich würden die Hunde von Fachdresseuren, wie es im Artikel hieß, ausgebildet und „im Erlebensfalle nach dem Kriege an ihre Besitzer zurückgegeben“. Es wurde aber gleich irgendwelchen Geldgierigen das Tor zu den Kriegskassen verschlossen. Man erwartete, dass die Hunde patriotisch kostenlos zur Verfügung gestellt werden. „Also Besitzer: Eure Hunde in den Dienst des Vaterlandes!“

Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.