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Frühsommer 1945 (Teil 3)

Dresden in der Zeit vom Mai bis zum Juli 1945. Eine Zeit der Einschnitte in alle Lebensbereiche der Bewohner dieser Stadt. Zerbombte Stadtviertel, Tausende Tote im Februar 1945, hungernde Menschen, im Krieg verlorene Männer, zerstörte Infrastruktur, am Boden liegende Wirtschaft, eine auf den Menschen lastende Kriegsschuld und Verbrechen der Herrschenden des Dritten Reiches, Unsicherheit überall. Die folgenschwere Nazi-Diktatur endete und die nächste Diktatur wird still und leise vorbereitet – Dresden im Frühsommer 1945.

Rechts gegen links

Das sei nicht politisch gemeint, sondern geografisch. Rechte Elbseite gegen linke Elbseite, Neustadt gegen Altstadt. Ein Fußballspiel, ein historisches Spiel. Nie zuvor und auch danach gab es meines Wissens ein derartiges Zusammentreffen beider Elbseiten. Tage vor dem Termin war das Spiel in aller Munde. Wer kam in die Auswahl der jeweiligen Stadtseite? Wo sollte das Spiel stattfinden? Letzteres war schnell gelöst. Es war der Sportplatz in Löbtau, Stollestraße.

Die Altstädter in rot, die Neustädter in schwarz-weiß. Foto: Tageszeitung von 1945
Die Altstädter in rot, die Neustädter in schwarz-weiß. Foto: Tageszeitung von 1945

An der Organisation und am Spiel beteiligten sich die damals und teilweise noch heute bekannten Fußballgrößen, Deutsche Meister und Nationalspieler wie Helmut Schön, Richard Hofmann, Herbert Pohl und Heinz Hempel. Am Sonntag, den 17. Juni 1945 um 14.30 Uhr war es soweit.

Das Ganze wurde natürlich politisch hoch gehängt und ausgeschlachtet. Dabei die neue Stadtprominenz mit dem Stadtkommandanten, Oberst Gorochow und Oberbürgermeister Friedrichs an der Spitze, natürlich auch als Redner. Hunderte Zuschauer verfolgten dann das Match. Die Altstadt lief in Rot auf, die Neustadt in Schwarz-Weiß. Es gab nur ein Problem. Die oben genannten Starspieler traten allesamt für die Altstadt an – ein großer Nachteil für die Neustädter Mannschaft.

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In der Tageszeitung hieß es: „Ihre bestechende Technik und Strategie verschafften der Altstadt von Beginn an ein Übergewicht. Die Neustädter vermochten für sich, dank des größeren Eifers, bis zur Halbzeit ein Unentschieden herausholen, erlagen aber mehr und mehr dem besseren Stehvermögen des Gegners.“

Zur Halbzeit stand es 1:1. Was heißt, dass sich die Neustädter von den großen Namen in der Gegnermannschaft nicht beeindrucken ließen. Nach der Pause machten sich die Erfahrungen der Starspieler bemerkbar. Am Ende siegte die Altstadt mit 6:1. Links gewann also. Ein Omen?

Im Vorfeld dieses Spiels des Jahres wurde übrigens in der Melanchthonstraße eine neue Stadtbehörde geschaffen: das Sportamt. Der Amtsleiter sah seine vordringlichste Aufgabe in der Säuberung des Sports von Nazigrößen und -strukturen, in der Beseitigung von Verfilzungen und in der Aktivierung ehemaliger Arbeitersportler, nachzulesen in der Tageszeitung, der Zeitung der Roten Armee und einzigen zugelassenen Zeitung in Ostsachsen.

Am Pranger

Am frühen Morgen des Freitags, den 15. Juni 1945 eilte ein Mann in Richtung Neustädter Bahnhof. Trotz der sich anbahnenden sommerlichen Hitze nach dem Ende der Schafskälte hatte er einen Mantel an, dessen Kragen hochgeschlagen war. Ein breitkrempiger Hut machte ihn scheinbar unkenntlich. Tags zuvor hatte ihn die Tageszeitung geoutet. Geoutet mit vollem Namen und Adresse: Richard Förster, Görlitzer Straße 29, II Stock, seines Zeichens Zahlstellenleiter bei der Sächsischen Versicherungsbank.

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Was war los? „Herr Förster hat bis heute noch nicht erfahren, dass Parteigenosse Hitler verschwunden ist, dass die Parteidienststellen ihre Läden schlossen und dass die Frist des ‚tausendjährigen‘ Nazireiches um ist. Oder er nimmt die Niederlage Nazideutschlands nicht für voll. Jedenfalls steht auch heute noch unter seinen Beitragsrechnungen, die er nach wie vor emsig an seine Kundschaft verschickt, der nicht mehr ganz zeitgemäße Gruß ‚Heil Hitler‘.“

Förster hatte aus Sparsamkeit und akutem Papiermangel die alten Vordrucke weiter benutzt.

Umerziehung der vielen Pg´s, der Parteigenossen, die „einfachen Mitglieder“ der NSDAP, war an der Tagesordnung. Auffällig beim Blick in die Zeitung, dass nicht etwa die Produktionarbeiterinnen und Arbeiter angegangen wurden. In der Öffentlichkeit konzentrierte man sich zunehmend auf den Mittelstand, den Handwerker, höhere Angestellte, Beamten, Unternehmersgattinnen, Großbauern, Fuhrunternehmer. Ihnen unterstellte man, Nazis zu sein (was auch oft stimmte), Schieber von Lebensmittel und Industriewaren, Hehler von Schmuggelware, Arbeitsscheue, die zu zarte Hände für Aufräumarbeiten hätten, raffgierige Beamte, die in die eigene Tasche wirtschafteten. Häme wurde über diese Menschen ausgeschüttet.

Dabei scheute sich die Tageszeitung der Roten Armee nicht, Nazivokabular zu benutzen. Es ging um den „Kampf gegen Volksschädlinge“, wie die Mehrzahl der oben Aufgeführten genannt wurden. Aus Verwaltung, Schulen und der Justiz wurden die Pg´s entlassen. Erster Schritt der Umerziehung: Schaufel in die Hand, Trümmerbeseitigung. Die Tageszeitung am 4. Juli 1945: „…, dass sich jene Frauen am arbeitsfreudigsten zeigen, die schon immer in Arbeit standen. An ihnen müssen sich die Frauen und Töchter der Beamten- und Bürgerkreise ein Beispiel nehmen. Sie müssen sich alle innerlich umstellen und auf vermeintliche Vorrechte verzichten.“ Die Bevölkerung wurde aufgerufen, „sich verdeckt gebende Nazis und Volksschädlinge“ den Behörden zu melden.

Freudige Nachricht

Für alle Bierliebhaber kam sie am 27. Juni. „Das Waldschlößchen arbeitet wieder!“, titelte euphorisch die Tageszeitung. Naja, nicht unter Volldampf, nur ganz bescheiden und in beschränktem Maße. Bier blieb also neben Schwarzgebranntem und Zigaretten weiterhin Bückware und Schwarzmarktwährung. Die Brauerei ließ mitteilen, dass man hoffe, zum Jahresende die volle Kapazität der Vorkriegszeit zu erreichen, vorausgesetzt, es gäbe bis dahin genügend Ersatzteile, Kupferkessel, Mitarbeiter, Hopfen, Malz …

Unter der Rubrik „Frühsommer 45“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken aus der Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert.

Ein Kommentar

  1. „Die Altstadt lief in Rot auf, die Neustadt in Schwarz-Weiß.“

    Wäre mal eine schöne Möglichkeit Dresden wieder zu vereinen so ein Fußballspiel.

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