Schiefe Ecke – kurz nach 1 Uhr: ein Motor heult auf, dann knattert ein Auspuff. Dann Stille. Plötzlich Grelles Scheinwerferlicht, mehrere Polizisten halten einen schmächtigen jungen Mann fest. Ein paar Schritte weiter diskutiert ein kleiner Untersetzter mit weiteren Polizisten. Eine Traube bildet sich um den Vorfall, dann verläuft es sich wieder. Die Party muss weitergehen.
Seit Anfang Juni ist die Kreuzung zwischen Rothenburger, Louisen- und Görlitzer Straße wieder zum allabendlichen Treffpunkt geworden. Kaum ein Freitag oder Sonnabend, an dem die Linie 13 noch durchfahren kann. Auch die meisten Autofahrer machen einen Bogen um die Ecke. Für Anwohner sind der nächtliche Lärm und der morgendliche Dreck eine ziemliche Belastung.
Die Polizei hat die Ecke auf dem Schirm, schiebt vor Ort Sonderschichten.
Ein Rundgang mit dem Revierleiter Sven Fischer
Wir sind für 23 Uhr verabredet. Ich komme schon ein bisschen eher. Die Polizei ist mit fünf, sechs Leuten vor Ort. Das Publikum ist jung, steht brav Schlange vor den Spätshops oder versorgt sich an den Bars mit Cocktails aus dem Becher. Die Ecke ist locker gefüllt.
Gezielt sprechen die Beamten Personen an, die sich auf die Gleise setzen. Das wirkt. Die meisten sehen es ein und treten beiseite. Die Bahn kann noch durchfahren. Es wird die letzte bis in die Morgenstunden sein.
Einer der Polizisten wird mir später erklären, dass diese Entscheidung die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) treffen. Jedoch seien die Fußwege inzwischen so voll, dass durchschlendernde Passanten nur noch über die Straße gehen können. Und damit steigt die Gefahr einer Kollision. Er berichtet vom Vorabend, als die Polizei eine Bahn durch das Getümmel geführt hat. „Wenn dann die Leute gegen das Fahrzeug schlagen oder treten, wird das Verletzungsrisiko zu groß.“
Mit Fischer treffe ich mich vor der Scheune. Der Platz hat sich in den vergangenen Monaten verändert. Auf dem einstigen kriminellen Hotspot ist es wesentlich friedlicher geworden, ein buntes Gemisch aus verschiedenen Gruppen sitzt auf den Bänken und der Treppe. Ein Polizeiwagen parkt neben der Tiefgarage. Fischer berichtet, dass die Beamten vom Revier Nord von Kräften der Bereitschaftspolizei unterstützt werden. Insgesamt zähle ich am Abend sechs große und vier kleine Einsatzwagen. Schätze, dass die Polizei mit rund 40 Kräften im Viertel im Einsatz ist.
Wir drehen eine Runde, beobachten das Einfalltor Alaunstraße. Hier gibt es billig Bier und auch schon Cocktails plus Plastebecher. Auch vor den Bars und Imbissen ist voller Betrieb. Dabei haben wir offenbar einen ruhigeren Abend erwischt. Fischer vergleicht mit dem Vorabend, da war es wesentlich voller.
Gäste in Party-Stimmung
Gegen Mitternacht sind wir wieder an der Ecke. Die Polizei hat sich jetzt zurückgezogen, so scheint es zumindest. Die Gleise müssen nicht mehr freigehalten werden. Und schwupps ist die Kreuzung voll. Musik tönt aus diversen Bass-Boxen aber auch von den Bars auf der Görlitzer. Die Gäste sind in Feierlaune. Ich zähle insgesamt acht Jungesell*innenabschiede.
Wir drehen eine weitere Runde, treffen die Kollegen, die den abendlichen Einsatz leiten, am Alaunplatz. Dort ist es dunkel. Schwer zu schätzen, wie viele Leute noch im Park sind, aber viele sind inzwischen zur gut beleuchteten schiefen Ecke abgewandert.
Die Menge an Leuten und vor allem der Alkohol machen den Polizisten zu schaffen. Wenn, wie am Freitagabend mehr als 800 Leute an der Ecke stehen, wird es auch mit Fluchtwegen eng. Zumal sich ja immer wieder irgendwelche Autos durchquetschen und die Straßen auch zugeparkt sind. „Die Flaschen sind ein Problem“, sagt einer der beiden Polizisten. „Die werden schnell zur gefährlichen Waffe.“
Genau in dem Moment bekommen sie einen Funkspruch rein. Verletzter Mann an der Bautzner/Rothenburger. Die Kollegen schicken eine Streife hin. Die muss erstmal suchen, findet den Verletzten dann auf der Hoyerswerdaer. Ob es sich um einen Unfall oder Angriff handelt, bleibt erstmal unklar. „Ohne Glasflaschen hätten wir weniger Probleme“, betont auch Fischer, dem aber bewusst ist, dass ein etwaiges Verbot nur schwer umzusetzen wäre.
Blumen für die Polizei
Dann eine herrliche Szene. Neben uns am Alaunplatz steht eine Gruppe junger Leute, plötzlich tritt ein junger Bursche heran mit Blumen-Postkarten in der Hand. „Ich wollte nur mal danke sagen, dass sie für uns da sind.“ Die Polizisten sind etwas irritiert, gerade hatten wir noch über Respekt gesprochen und ob der in der Vergangenheit etwas abgenommen habe.
Das wollen sie nicht bestätigen, aber: „Wenn wir vor Ort sind und jemanden kontrollieren, dann werden wir gefilmt und es wird genau beobachtet, was wir tun.“ Die Ereignisse von Stuttgart oder Frankfurt sind auch Dresdner Polizist*innen bekannt.
Wir sind zurück an der Ecke, es ist inzwischen halb Zwei. Das Publikum scheint ausgetauscht. Die jugendlichen Eckensitzer sind überwiegend weg. Der Anteil an Männern hat erheblich zugenommen. Einer trommelt wild, eine große Gruppe johlt und tanzt dazu. Corona-Astandsregeln interessieren hier keinen.
Sven Fischer fragt mich: „Sollen wir da dazwischen gehen, was passiert dann?“ Und er gibt selbst die Antwort: „Das wäre unverhältnismäßig“. Ein wenig später unterhalten wir uns mit einer Flaschensammlerin, die am heutigen Abend eine Ausbeute von rund 120 Stück zu je 8 Cent eingesammelt hat. Fischers Kollegen haben mal überschlagen, am Wochenende werden an der Ecke rund 125 Kästen eingesammelt.
Dann dröhnt der eingangs erwähnte Motor. Ein Mann im schwarzen Mercedes-SUV muss unbedingt über die volle Kreuzung fahren. Da die Massen nicht weichen, lässt er den Motor aufheulen. Dafür bekommt sein Wagen eine Bierdusche. Er springt raus, will auf den Spritzer losgehen. Doch wie aus dem Nichts ist die Polizei vor Ort und trennt die Raufbolde.
Fischer kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das haben seine Kollegen mustergültig gelöst, er zeigt aber auf die umstehende Traube. „Sehen Sie, es wird genau beobachtet, was wir hier machen.“
Stadtgesellschaft gefragt
Er ist mit dem Verlauf an dem Abend ziemlich zufrieden. Er gibt aber zu bedenken, was für ein personeller Aufwand dahinter steht. „Wenn nun am nächsten Tag noch ein Fußballspiel ist, dann können wir die Bereitschaftspolizisten nicht schon am Abend einsetzen“, sagt er und fordert, dass Stadtverwaltung und Gesellschaft hier stärker einwirken müssen.
Dafür hat er sich auch kürzlich im Kriminalpräventiven Rat der Stadt vor Amtsvertretern und Politikern stark gemacht. „Das Thema ist jetzt im Rathaus angekommen“, ist er sich sicher. Nun müssen Lösungen gefunden werden.
In lauen Sommerabenden, auch um Mitternacht, war ich und werde auch wieder mit Touristen die Rothenburger, Louisen und Görlitzer Straße aufsuchen, abseits des LEGO Neumarktes. Und das schöne ist, es ist auch Dresden. Nie wurde ich und meine Gäste belästigt. Es ist einfach eine andere Welt. Ich vergleiche es einmal mit Speakers’ Corner in London. Natürlich überlege ich mir mit wem ich dahin komme. Aber auch mit inzwischen siebenundsechszig Jahren in den Knochen bin ich mit den Beatles und Rolling Stones aufgewachsen. Solange es einfach nur Party Treff ist, friedlich bleibt, nicht institutionell mißbraucht wird, ist die im Beitrag dargestellte Anwesenheit der Polizei zu begrüßen. Und der Ausfall der Linie 13 ist vertretbar (übrigens verkürzt sich dadurch für mich die Fahrzeit nach Pieschen). Aber einen Wunsch habe ich doch noch…kauft in den Läden, Bars, Gaststätten, Gallerien, Boutiquen ein … meidet das Hand zu Hand Geschäft Geld für Drogen in dunklen Ecken. Ohne die vielfältigen kleinen Angebote ist die äußere Neustadt nicht mehr BRN, sondern wäre wieder die graue Rothenburger aus den sechziger Jahren.
Gibt es noch mehr Nachbarn und Gewerbetreibende, die wie ich die derzeitigen Zustände als zunehmend unerträglich empfinden und die sich hier wieder wie vor 5…10 Jahren normal zu Hause fühlen wollen?
Wenn ja, dann meldet Euch doch mal unter SchiefeEcke[at]web.de, um uns gemeinsam, kreativ, konstruktiv, friedlich und sachlich zu engagieren, damit sich an der Situation etwas ändert. ([at] durch @ ersetzen)
@ Gerald: „Und der Ausfall der Linie 13 ist vertretbar.“
Ach ja? Hast du mal als Rollstuhlfahrer versucht, von der Liststraße zum Alaunplatz zurück zu fahren? Oder von der Bautzner über das Assieck bzw. die Alaunstr. bis zum Alaunplatz???
Hallo Ecki, oh ja, lass uns dort Blumen pflanzen und sie aller halben Stunden großflächig beregnen – nach dem Vorbild in der Kunsthofpassage!
@Anton
Dachte das wäre die soziale Ecke? So wie du sie immer nennst. :D
Die Ecke hat viele Namen.
@Anton:
Ja, die Kreuzung hat viele Namen.
,Asoziale Ecke‘ wäre wohl am angebrachtesten.
Oder kann man ein Verhalten als sozial bezeichnen, dass es einer Krankenschwester oder Altenpflegerin durch das Blockieren der Straßenbahn verwert nach Spätdienstende nach Hause zu kommen?
Oder die die Oma die vom Enkel kommt auf die Straße zu treiben?
Oder wie @Anett schon sagte…
Mal ganz von Corona abgesehen.
Hamburg hat übrigens für genau solche Fälle jetzt eine Lösung gefunden.
@Timur, das ist sicherlich der gebräuchlichste Name. Vor allem in der Abkürzung. Möglicherweise führt der aber auch dazu, dass manch Zeitgenosse sich animiert fühlt, sich entsprechend unsozial zu verhalten.
Dieses möchte ich nicht unterstützen und vermeide daher den Begriff.
Dass von Dir beschriebene Verhalten würde ich passender als egoistisch bezeichnen.
@Anton:
Egoisten erwarten sich eher einen persönlichen Vorteil aus ihrem Verhalten.
Die Mensch*innen (!) an der Ecke handeln entgegen dem sonst eigentlich üblichen sozialen Standards – also asozial.
Du darfst die Kreuzung natürlich aber auch ‚Egoistische Ecke‘ nennen, auch ein schöner bezeichnender Name.
@Timur: Das ist ja lieb von Dir, dass Du mir erlaubst, wie ich die Kreuzung nennen darf. Zum Thema „asozial“ empfehle ich mal einen Blick ins LTI oder auch diesen Beitrag im Deutschlandfunk. Ich hatte mich früher auch nicht damit beschäftigt, empfinde aber die unreflektierte Verwendung dieser Bezeichnung als ziemlich schwierig.
Wenn Du schreibst: „Die Mensch*innen (!) an der Ecke handeln entgegen dem sonst eigentlich üblichen sozialen Standards“ – dann liegst Du falsch. Sie treffen sich, schwatzen miteinander, trinken gemeinsam, lachen, tanzen alles übliche soziale Standards. Was erheblich abweicht, ist das Ignorieren der Ruhezeiten, der StVO und Standards von Ordnung und Sauberkeit – ich würde das nun nicht als soziale Kernkompetenzen ausmachen.
Aber dennoch, wenn Du gern Assi-Ecke oder asoziale Ecke sagen möchtest, dann sei Dir das hiermit erlaubt, da bin ich genauso großzügig wie Du.
Musste ich doch direkt mal auf Wikipedia nachschauen….
„Ein mit sozialer Kompetenz verwandter Begriff ist die soziale Intelligenz als „Fähigkeit, andere zu verstehen sowie sich ihnen gegenüber situationsangemessen und klug zu verhalten“.[5] Soziale Intelligenz in dieser weiter gefassten Bedeutung wird mittlerweile nicht mehr allein dem Menschen zugesprochen, sondern auch z. B. zusammen mit Menschen oder in Gruppen zusammenlebenden Tieren wie Primaten, Hunden, Hauskatzen[6] oder Ratten.“
Hallo Anton,
im Allgemeinen denke ich, dass je weniger wir uns über diese im Vergleich geringfügigen Überdehnungen der Ordnung alterieren, umso mehr können wir üben, weltoffen und großstädtisch zu denken. DVB und Polizei haben hier meinen Respekt.
Im Besonderen möchte ich mich
**entrüsten**,
dass du den Kommentar von ‚oha‘ freigeschalten hast.
Dass der Mensch immer mehr erkennt, dass auch er nur ein evolutionär entwickeltes Geschöpf mit vergleichbar gewachsenen Sozialmustern wie bei anderen Arten und damit mit diesen auf Augenhöhe und nicht als Gottes Einzigartiges dasteht, ist hier nicht Gegenstand des Zitats.
‚oha‘ benutzt das Zitat, um die Menschen an der schiefen Ecke in menschenverachtender Nazisprache zu diffamieren.
Ich bin ganz erschüttert.
Wahrscheinlich findet oha das auch noch witzig.
Lass dir sagen oha: Dein Witz ist entgleist. Du musst mehr denken, bevor du schreibst. Vielleicht musst du auch mal in dich hineinsehen, ob und wie rassistisch du bist. Hast du vielleicht auch Ansätze zu Gewaltvorstellungen? Wünscht du den Menschen an der schiefen Ecke vielleicht auch Schmerz? Hoffentlich bist du nur ein kleines Dummerchen, das noch lernt mit seinem Palaver umzugehen. Ansonsten bist du ein Fall für den Verfassungsschutz!
Wenn Du schreibst: „Die Mensch*innen (!) an der Ecke handeln entgegen dem sonst eigentlich üblichen sozialen Standards“ – dann liegst Du falsch. Sie treffen sich, schwatzen miteinander, trinken gemeinsam, lachen, tanzen alles übliche soziale Standards. Was erheblich abweicht, ist das Ignorieren der Ruhezeiten, der StVO und Standards von Ordnung und Sauberkeit – ich würde das nun nicht als soziale Kernkompetenzen ausmachen.
Wenn Fremde, alkoholisierte, nachts in die Säuglingsstation, die Moschee oder das eigene Schlafzimmer kommen oder auch nur in den Garten, wo man mit seinen Enkeln zeltet…
und
„Sie treffen sich, schwatzen miteinander, trinken gemeinsam, lachen, tanzen“ … ist das dann auch sozial akzeptabel?
@Jan: Bitte? Warum die ganz große Keule?
Oha hat wortwörtlich Wikipedia zitiert.
Hallo Brezinova,
natürlich kann man auch auf der Straße schlafen, Blumen Pflanzen oder beten. Wird auch selten verboten, weil es eben öffentlicher Raum ist. Im Unterschied zu… richtig: privatem!
Unabhängig davon gilt auch und vor allem im öffentlichen Raum das Gebot von Rücksichtnahme und angemessenem Verhalten.
@Březinová:
„Ignorieren der Ruhezeiten, der StVO und Standards von Ordnung und Sauberkeit – ich würde das nun nicht als soziale Kernkompetenzen ausmachen.“
Da haben die Mitbewohner(und auch innen) bestimmt viel Spaß mit Dir.
Und der zuständige Kammerjäger erst…
(Über totgefahrene Kinder und Omas wegen der StVO-Ignoranz verkneife ich mir Späße)
@Jan
Du scheinst echt Probleme zu haben.
Wäre es dann nicht so, dass Du auch beobachtet werden müsstest, da Du mit mir schreibst!?
Mein Mitleid hast Du! Kannst mich ja anzeigen, nachdem Du vom Arzt gekommen bist.
@Anton Du hast es echt nicht leicht.
@Jan
Bin aktiviert! Werde der Sache nachgehen, habe ja sonst nichts zu tun.
Sie könnten mich bei den Ermittlungen unterstützen, indem Sie kurz schildern, zu welchem Zeitpunkt die Sache mit den Gewaltphantasien losging…
Zur Sache:
An der Ecke nehmen sich die einen die Freiheit, die Strasse zu blockeren und missachten dabei die Freiheit anderer sich auch von a nach b zu bewegen… Wenn einer auf der Strasse mit dem Auto fahren möchte oder muss wird er angemacht und mit Bier bespritzt…
Ist das normal?
Hier wird eine Happeningkultour gelebt, auch in der Hoffnung dass die Polizei einschreitet, um den Weg freizumachen… „Ich habs gefilmt, ich war dabei!!! Schau mal wie böse die Polizei ist…“
Hier wird Toleranz gefordert, aber rücksichtslos gehandelt.
(Wasser predigen und Bier trinken…)
„Es lebe der Egoismus. Erst ICH, dann ICH, dann nix. Wer was dagegen hat ist Nazi…“
„Die STVO gilt nur für die anderen, also für die Nazis…“
Hamburg hat auf der Reeperbahn den Straßenverkauf von Alkohol zwischen 20 und 6 Uhr wegen Corona verboten.
Ganz schön spießig.
Oder ein Vorbild?
Nicht nur auf der Reeperbahn…
Interessanter Beitrag im Deutschlandfunk.