Kabelsalate, schiefe Perspektiven, Graffiti an Altbauten, Chaos in der Ordnung oder andersrum, zumindest das Unfertige –das mag der Heilerziehungspfleger und Künstler Rodrigo. Vielleicht malt er deshalb die Neustadt so gern. Vielleicht weil hier die Straßen noch nicht fertig, die Häuser verschroben, und der Mut in der Luft liegt.
Denn den Mut, so Rodrigo, hat er in der Neustadt kennengelernt. Damals, als er seine weißen Hemden wegschmiss. Und vor einem Jahr, als er beschloss nach Südamerika auszuwandern. Der Mut, der in der Neustadt liegt, weil Menschen hier einfach Bars eröffnen, Musiker werden oder verrückte Ideen zum Leben erwecken.
Als ich Rodrigo Fuentealba treffe, steht er kurz vor seiner Abreise. Das also ist der ominöse Maler, der seit einigen Monaten auf Instagram Zeichnungen und Fotos von der Neustadt postet und jetzt nach Südamerika zieht. Doch nicht etwa Stress und Hektik liegen in seinen Augen, sondern ein glückliches Lächeln umspielt seine Lippen.
Während unseres Gesprächs zeigt er hin und wieder auf Gebäude oder Straßen, die er schon gezeichnet hat oder gern noch zeichnen würde. Das Gestrüpp am Café Neustadt, die Bäckerei am Martin-Luther-Platz.
Rodrigo Fuentealba kam vor ungefähr 30 Jahren nach Dresden. In Chile aufgewachsen, wollte er nun Karriere machen in der Stadt, in der seine Mutter geboren wurde. Mit dem Wunsch nach einem Ingenieursstudium, obwohl er Mathe nicht mochte, zog er nach Dresden und lernte die Neustadt kennen. „Das war für mich eine ganz andere Welt“, so Rodrigo. Skinheads, Punks, und andere Lebensstile rüttelten den Studenten wach und er beschloss, lieber etwa Pädagogisches zu machen.
Nebenbei studierte er Kunst an der Abendschule. Den Mut, dann auch hauptberuflich selbst Kunst zu machen, hat er aber nicht gehabt. Mit Kindern und eigenem Haus rückte so das Hobby immer weiter in den Hintergrund.
Corona und die Zeit
Doch dann kam Corona und damit die Zeit zurück. Die Zeit durch die Straßen und Häuserschluchten zu schlendern, sitzen zu bleiben, zu betrachten, zu zeichnen. Besonders in der Nacht begab sich Rodrigo mit seinem Skizzenbuch auf die Erkundung und malte manchmal bis 3 Uhr morgens. Von vielen seiner Lieblingsorte gibt es gleich mehrere Bilder: Die Scheune, die soziale Ecke oder die schiefe Ecke, wie Rodrigo sie nennt, oder die Augustusbrücke. Er liebt es, die Neustadt zu zeichnen, dabei hat er hier nie gewohnt, nur gelebt. Seine Zeichnungen sind die eines Außenstehenden, der die Neustadt gut kennt.
Während wir das hier lesen, ist Rodrigo schon längst auf einem anderen Kontinent. All seine Zeichnungen von der Neustadt waren wie eine Art Tagebuch. „Ich habe eine Abschiedsrunde gedreht und die Plätze mit Erinnerungen gefüllt.“ In Südamerika möchte er sich mit seiner Familie neu erfinden – als Selbstversorger und als Maler.
Identität über das Zeichnen
Dresden zu zeichnen, sieht er auch als Teil seiner Identitätsfindung. „Ich habe oft gedacht, ich bin kein waschechter Dresdner und kein waschechter Latino.“ Die Mutter aus Dresden, der Vater aus Chile, aufgewachsen in Santiago de Chile, geformt während der Wendezeit in der Dresdner Neustadt. Identität gefunden, irgendwo dazwischen, oder immer noch auf dem Weg der Erfindung.
Doch noch zum Mut gefunden
Warum er nun jetzt den Mut gefunden hat, den er damals noch nicht hatte, weiß er selbst nicht. „Vielleicht wenn der Widerstand zu groß wird. Vielleicht aber auch einfach die Lebenserfahrung.“ Mit seinen Bildern zumindest hinterlässt uns Rodrigo einen mutigen Abschiedsgruß mit dem Versprechen, irgendwann zurückzukehren und vielleicht mehr zu zeichnen.
Wo gibt es seine Bilder?
- Momentan erreicht man Rodrigo nur über Instagram, dort hat man auch Einsicht in sein kreatives Schaffen: www.instagram.com/tusilagofarfara