Teil 2: Unter der Fuchtel des königlichen Hofes
Die Krone verlor im Laufe der Zeit an Glanz. Nach Eröffnung der zweiten Semperoper am 2. Februar 1878, stand das Kronjuwel der königlichen Residenz in der Altstadt. Das Musiktheater wanderte vollends auf die andere Elbseite.
1894 kaufte König Albert Grundstück und Gebäude vom Aktienverein in der Neustadt. Beide Theater standen unter der Fuchtel des königlichen Hofes. Dieser hatte wenig Interesse, das Alberttheater immer wieder den Anforderungen anzupassen, Geld reinzustecken. Auch ließ sich die königliche Familie immer weniger sehen. Ein Schattendasein war wohl die Zukunft.
Das änderte sich erst, als der König einen Glücksgriff tat, ob wissentlich oder zufällig ist nicht bekannt und den Grafen Seebach zum Hoftheaterintendanten berief.
Dresden soll Weltstadt werden und die Neustadt will ein Stück vom Kuchen
Nach der Reichsgründung wollte Dresden unbedingt Weltstadt werden. Dafür reichten aber Kunstsammlung, Semperoper und Alberttheater nicht. Auch das Umfeld um diese Leuchttürme müsste erstrahlen, wenn man den Gästen aus nah und fern imponieren möchte. Man brauchte Varietés, Tanzklubs, gute Hotels, eine Verkehrsinfrastruktur.
Die Satirezeitschrift „Der Calculator an der Elbe“ bemerkte bissig zu dem Weltstadt-Ansprüchen des Hofes und der Stadtverwaltung: „Leben wir in einer Residenz und Großstadt oder in Krähwinkel?“ Kam man abends nach der Vorstellung aus dem festlich beleuchteten Alberttheater, dann zog es die meisten Besucher zur Straßenbahn, um schnell nach Hause zu kommen.
Die Umgebung, also die Antonstadt, die heutige Äußere Neustadt, war kein Ort zum nächtlichen Vergnügen etwas gehobener Art. Die verqualmten Bierkneipen mit ihren Suffköppen hatten zwar bis tief in die Nacht geöffnet. Aber da trauten sich der biedere Bürgersmann mit Gattin oder der weitgereiste Tourist nicht rein. Dort gabs nicht mal Sekt. An Champagner war gar nicht zu denken.
„Woanders, wie in Krähwinkel, ist es wohl noch Mode, daß die Bevölkerung punkt 10 Uhr die Schlafmützen über die Köpfe zieht, und daß Gesellschaften und Vereine nur bis 1 Uhr tanzen dürfen und um diese Zeit von der Polizei ins Bett gejagt werden.“, so der Calculator.
Klavierspielen war nach 10 verboten, Tanzveranstaltungen gab es nur sonntags und montags. Auch die teuren Etablissements mit ihren Unterhaltungsprogrammen, wie die Victoriasäle in der Altstadt, mussten abends 10 Uhr schließen, sonst drohten saftige Strafen seitens der Stadtbehörden. Aber das änderte sich bis zur Jahrhundertwende.
1888 warb ein gewisser Herr Alfred Oehlschlägel mit seinem Restaurant hinter dem Alberttheater. Zuvor gab Herr Kahnt an gleicher Stelle eine diesbezügliche Offerte ab.
Nach der Jahrhundertwende hatte man sogar einmal den Plan, die Eschebach-Villa neben dem Theater nach englischem Vorbild zu einem Klubhaus für gutbetuchtes Publikum umzufunktionieren. Und was auch nur wenige wissen: Die Neustadt hatte sich um die Ansiedelung des Hygienemuseums beworben. Beide Vorhaben scheiterten im Stadtrat bzw. an Rückzügen privater Investoren.
Großes Theater ums Theater
Große Aufregung herrschte zu Beginn des Jahres 1903. Ungeheuerliches war vom königlichen Hofe zu vernehmen, „wonach das Neustädter Königliche Schauspielhaus kassiert und der Betrieb in nur ein Haus, in das Altstädter, gelegt werden soll“, so empörten sich die Neuesten Nachrichten und machten auch gleich den Schuldigen aus.
„Es gäbe am Hofe eine stille, aber emsige Partei, welche diesen Plan verfolge. Daß es diese Partei gibt, bezweifeln wir keinen Augenblick. Leider sind in Deutschland dunkle reaktionäre Unterströmungen gegenwärtig an der Tagesordnung.“ Dahinter stecke nur König Georg, der kein Theaterfreund sei. Er habe, so die Zeitung, „die hohen Zuschüsse zu den Theatern (mehr als eine Viertel Million Mark) satt“ und denke an Entlastung.
Zudem bräuchte das Neustädter Theater erhebliche Mittel, um die inzwischen „verschlissenen maschinellen, ankleideräumlichen und zuschauerlichen Verhältnisse zu verbessern.“ Trotzdem glaubte die Zeitung nicht, dass der König das Alberttheater „wegdecretiren“, also einfach so die Schließung anordnen, könnte. „Es müsste schon niedergerissen werden.“
Eine Ungeheuerlichkeit. Das gutbürgerliche Theaterpublikum war empört. Doch die Neuesten Nachrichten hatten wohl Bauchkribbeln ob der kochenden Volksseele und beschwichtigten den Revoluzzereifer. „An der streng konservativen Gesinnung des Monarchen scheitern hoffentlich die Dunkelmänner, welche das Theater in Dresden unterminieren möchten. König Georg zählt nicht zu jenen Naturen, die aus Stimmungen heraus etwas wichtiges preisgeben.“
Ehe die Revolution richtig Fahrt aufnehmen konnte, war sie auch schon wieder zu Ende. Zwei Tage später schrieb das Hausblatt des Hofes, das Dresdner Journal: „… sind wir doch von maßgebender Stelle noch ausdrücklich zu der Erklärung ermächtigt worden, daß diese Nachricht in ihrem vollen Umfang unwahr ist.“ Ein Beispiel für Fake-News und Verschwörungstheorien anno 1903!
- Teil 1: „Ein Fest der Architektur und ein Hochamt der Monarchie“
- Teil 2: „Unter der Fuchtel des königlichen Hofes“
- Teil 3: „Veränderungen lagen in der Luft“
- Teil 4: Der aufhaltsame Abgesang
Der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb hat die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert. In loser Folge berichten wir über wichtige geschichtliche Ereignisse in der Neustadt.