Neben praktikablen, im Laufe der letzten Jahre hochgezogenen Neubauten und alten Häusern mit der Kombination aus hohen Decken, Verzierungen und Dreck, die gemeinhin unter dem Begriff Altbau-Charme läuft, gibt es in der Neustadt noch eine ganz andere Möglichkeit zu wohnen. Der Wagenplatz „Schotter und Gleise“ beherbergt rollende Domizile und versteckt sich nahe dem Bahnhof hinter der Blauen Fabrik. Wie das Leben dort so aussieht, erzählt Teresa.
Die Frage nach dem Wesentlichen
Teresa ist Medizinstudentin, Yogalehrerin und Filmemacherin. Seit einem Jahr lebt sie in ihrem Bus. Der Grund dafür sind nicht etwa finanzielle oder sonstige Probleme, sondern eine freie und bewusste Entscheidung. Eine Entscheidung, sich von überflüssigen Habseligkeiten zu befreien und auf das Wesentliche zu reduzieren.
Materiell gesehen umfasst dieses Wesentliche für die Menschen auf dem Wagenplatz wenige Dinge. Gerade das Nötigste an Möblierung, Kleidung und sonstigem Besitz. Auch alltägliche Verrichtungen sind keineswegs selbstverständlich. Der Strom kommt von Solarzellen auf dem Autodach oder wird mit eigenem Stromzähler über die benachbarte Hanse3 bezogen.
Trinkwasseranschluss gibt es keinen; das Wasser muss von außerhalb hergeschleppt werden. Toiletten gibt es in Form von Dixie-Klos, die regelmäßig geleert werden. Das Wäschewaschen wird im Waschsalon, bei Freund*innen oder in der eigenen Wohnung erledigt, die einige der auf dem Wagenplatz Lebenden zusätzlich haben. Dort kann dann auch die eigene Körperhygiene betrieben werden; für Hartgesottene gibt es direkt vor Ort zwei Regenwasserduschen.
„Hier zu leben, gibt einen ganz neuen Blick auf den Umgang mit Ressourcen“, erklärt Teresa. Man lebe bewusster und nachhaltiger, durch den wenigen Innenraum außerdem naturverbundener. Was außerdem eine große Rolle spielt: die Gemeinschaft. Man trifft sich auf dem Gelände, hilft sich gegenseitig, kocht im Sommer gemeinsam in der Außenküche.
Selbstbestimmung in mehreren Hinsichten
Einmal in der Woche gibt es ein Plenum, in dem besprochen wird, was gerade so ansteht. Organisatorisches, Aufräumaktionen, Bewerbungen für einen Stellplatz oder neue Projekte. Oft werden Veranstaltungen wie Konzerte, Open-Air-Kino und Diskussionen geplant und teilweise selbst auf die Beine gestellt.
Die Selbstverwaltung funktioniert bisher richtig gut. Zum Beispiel hat sich die Gruppe, die insgesamt aus 20 Menschen besteht, Internet besorgt und angefangen, Gemüse anzubauen. Problematisch bei der Planung ist die mangelnde Sicherheit bezüglich des zukünftigen Bestehens des Wagenplatzes. Denn wie so vieles, dessen Wert nicht mit Geld gemessen werden kann, wird er momentan eher geduldet als unterstützt.
Eigentlich gehört das Gelände einem Großunternehmen. Wie es in nächster Zeit genutzt werden soll, entscheidet der Stadtrat. Teresa setzt sich, sozusagen als eine Vertreterin des Platzes, dafür ein, ihn als alternativen Wohnraum zu erhalten. Ihr Engagement richtet sich vor allem darauf, mit den Menschen in Kommunikation zu treten; das Konzept vorzustellen und Klischees entgegenzuwirken.
Verlottert und versifft?
„Die meisten Leute denken immer noch, nur verlotterte und versiffte Hippies leben so.“ Im Gegenteil sei die Durchmischung aber sehr bunt. Auf dem Platz wohnen Studierende, Schneiderinnen, Ingenieure, ein Altenpfleger, eine Psychologin, eine Sozialarbeiterin, ein Arzt und Selbstständige. Ab und zu auch Gäste, für die extra eine Jurte gebaut wurde.
Die Taktik, politisch aktiv zu werden und Vorurteile und Befürchtungen zu zerstreuen, zeigt bereits Erfolge: Der Antrag der Grünen und der Partei auf Erhalt des bestehenden Wagenplatzes und Schaffung von mehreren neuen wurde in der Stadtbezirksbeiratssitzung angenommen, nun gilt es den Stadtrat zu überzeugen.
Im besten Falle wird er dafür sorgen, dass Dresden ein Frei-, Kultur- und Wohnraum erhalten bleibt. Immerhin ist Schotter und Gleise der einzige Wagenplatz hier, andere Städte sind da schon weiter (Leipzig zum Beispiel, mit 17 Stück). Mal sehen also, was die Zukunft bringt für diesen Ort und seine weder verlotterten noch versifften Menschen.
„Auch alltägliche Vorrichtungen sind keineswegs selbstverständlich.“
Ich war eben aus was vorrichten (Im Bad).
Doppelt hält besser:
„Das Wäschewaschen wird im Waschsalon, bei Freunde oder in der eigenen Wohnung erledigt, die einige der auf dem Wagenplatz Lebenden zusätzlich haben.“
Der letzte Satz fast den Beitrag doch hervorragend zusammen. Ein feiner Einblick in die Persönlichkeit einiger Bewohner.
Vielen Dank für den freundlichen Hinweis, ist korrigiert. Verrichtungen sind natürlich gemeint.
Ich habe mich bemüht, ähnlich viele Fehler wie Elisabeth einzubauen. Ist aus faßt geglückt. Hihi.
Nur ein kleine Hinweis, der Garten an der Hanse3 gehört nicht zum Wagenplatz.
Wir sind ein eigenständiges Projekt „Am Grünen Gleis“ und eigentlich ist daran zur Zeit nur eine Person vom Wagenplatz direkt beteiligt.
@bob mag Äppel…
Was ist falsch daran an beiden Lebensformen teilzuhaben? Warum müssen Menschen sich für ihre Art zu leben rechtfertigen? Bei der Stasi hätte es das nicht gegeben! Und bei unserem geliebten F….. auch nicht!
Bevor ich es vergesse: Auch meine Waschmaschine steht den Menschen vom Platz zur Verfügung. Kontakt über Frank.
Bei der zweiten „Partei“ soll es sich wahrscheinlich um Die PARTEI handeln, nu? Das i. btw. ´ne Abkürzung. Also keine Scheu und ruhig richtig schreiben ;)
Ich bin nämlich sehr k-l-u-k.
„Eigentlich gehört das Gelände einem Großunternehmen. Wie es in nächster Zeit genutzt werden soll, entscheidet der Stadtrat.“
Zum Glück entscheidet der Stadtrat ( noch? ) nicht über mein Eigentum.
Könnte Dir aber auch passieren, wenn zum Beispiel eine Straße gebaut wird.
In dem Fall hier geht es um einen Bebauungsrahmen, den der Stadtrat festlegen wird, wenn die Einigung mit dem bisherigen Eigentümer vollzogen ist.
@Dieter Schmitz
Godwin’s Law in Vollendung. Ganz, ganz großes Kino.