Dieser schwülwarme 5. August 1899 trieb dem Dresdner Oberbürgermeister Gustav Otto Beutler den Schweiß so auf die Stirn, das sein Taschentuch plitschnass war. Kein Schatten weit und breit auf der Carolabrücke. Warum musste die von allen geschätzte Königin Carola auch an diesem Tag Geburtstag haben. 66 Lenze zählte sie.
Sie selbst zog sich ins kühle und waldumgebende Jagdschloss Rehefeld zurück. „… ist dieser Tag doch zugleich der Sterbetag ihres Vaters, des Prinzen Wasa“, schrieben die Dresdner Nachrichten entschuldigend. Und der Oberbürgermeister stand schwitzend am linken Neustädter Zugang zur Brücke, weil Ihrer Majestät zu Ehren zwei neue Skulpturen das Bild der Stadt bereichern sollten. Ins Werk gesetzt hatte das Ganze sein Amtsvorgänger Paul Alfred Stübel.
Dresdensia und Carola
Linkerhand auf dem ersten Landpfeiler der Königin-Carola-Brücke erhob sich das historistische Monument aus Bronze auf einem Sandsteinsockel in einer Gesamthöhe von sechs Metern. Bildhauer Hans Hartmann-McLean ließ die idealisierte Dresdensia auf einer Bank sitzen, in der Hand die Stadtchronik und ihr Gesicht dem Bildnis der Königin Carola zuwenden.
Eine Putte reicht der Königin eine Blumenranke. Der Autor Ernst Arnold war von dieser Skulptur wenig angetan. In der Zeitschrift Dresdener Kunst und Leben schrieb er: „… ist meiner Ansicht nach die künstlerisch minder wertvolle, wie wohl sie an sich, besonders ihres Zweckes wegen, die hauptsächliche, die tonangebende ist.“ Gerade nochmal am Gerichtsverfahren wegen Majestätsbeleidigung vorbeigeschlittert.
Zu meckern hatte er trotzdem einiges. Das betraf vor allem die Gesichtszüge der Dresdensia. Mit ihrer langen geraden Nase und dem langen Hals erschien sie ihm etwas absonderlich, altdresdnerisch, weil „heutigen Tages unter unseren Dresdnerinnen kleine, zierliche Stumpfnasen und rundere kindliche Gesichter über kürzerem Hals überwiegen“. Zudem habe die Figur eine „allzu höfisch unnahbare Miene aufgesetzt, die gar nicht zum Wesen unserer Königin passen will“. Auch „sähe das Mieder der Dresdensia von der anderen Brückenseite betrachtet, wie ein Schnürleib aus“. Die geschätzte liberale Leserschaft des Blattes hielt ob solcher Obszönitäten den Atem an.
Flussgott der Elbe
Die andere Gruppe erhielt das sakrosankt des Redakteurs. Ernst Arnold hielt sie für die künstlerisch wertvollere. Und da machte er einen für mich fantastischen Kunstgriff. Er setzte die beiden Brummen am Albertplatz (Stille Wasser und Stürmische Wogen) in Beziehung zu den Skulpturen am Neustädter Brückenaufgang. „Hie Thor, da Kopf.“
Diese Figurengruppe um den Flussgott vom Bildhauer Oskar Rühm, gegossen in der Dresdner Gießerei Albert Bierling, ließ gleich Neustädter Witzbolde auf den Plan treten. Sie erzählten süffisant, „ehe dem Rühmschen Flussgotte das Ruder in die Handgegeben wurde, zeige der mit seinem ausgesteckten Zeigefinger den Neustädtern, die ohnehin so gut wie nichts in ihrem Stadtteile kauften und ihr schönes Geld in altstädtische Geschäfte trügen, zum Überfluss noch den Weg, den sie zum Schaden der Neustädter Kaufleute nur zu gut kannten und nur zu oft beträten.“
Zu Recht zählte Arnold die beiden Standbilder zum plastischen Zierrat der Neustädter Elbseite.
Neidisch schaute Oberbürgermeister Beutler auf die Kinder und Jugendlichen, die unterhalb der Brücke im Elbewasser plantschten. Gestern noch tummelten sich zwischen der Albert- und der Carolabrücke die Soldaten der Dresdner Garnison zur Abnahme der großen Schwimmprobe. Begleitet von Booten mussten die Schwimmer oberhalb der Albertbrücke ins Wasser springen und 2000 Meter elbabwärts durch das Ziel jenseits der Carolabrücke schwimmen. Auch wenn zur Hauptprobe Drillichanzug, Helm, Tornister und Festgewehr anzulegen waren, war dies noch besser, als in dieser schwülen Hitze im schwarzen Anzug auf der Brücke zu stehen.
Die meisten Dresdner, ganz gleich, ob rechtselbisch oder linkselbisch zu Hause, vergnügten sich sowieso da, wo es kühl war oder bei der „liederlichen Woche“, wie die Vogelwiese genannt wurde. Die Skulptureneinweihung ging ihnen am Allerwertesten vorbei.
Ein künstlerischer Parkour
Die Fortsetzung dieser künstlerischen Stadtgestaltung fand später auf der Altstädter Seite statt. Zum Zeitpunkt der Enthüllung der beiden Skulpturen am 5. August 1899 standen am gegenüberliegenden Elbufer nur zwei Sandsteinsockel. Erst 1907 kamen auf ihnen die von Friedrich Offermann geschaffenen Sandsteinfiguren „Nereide“ oder die ruhige Elbe und „Triton“, die stürmische Elbe (das ist der mit der Keule). Ein schöner künstlerischer Reigen.
Beim Neubau der Carolabrücke Ende der sechziger Jahre wurden die Sockel von Nereide und Triton zu einem Drittel zugeschüttet. Schon 1946 wurden die Bronzetafel und Bronzekronen, die sich am Sockel befanden, entfernt.
Das Ende
Das fand mit einer gewaltigen Explosion am Abend des 7. Mai 1945 statt. Einheiten der Waffen-SS sprengten vor ihrer Flucht in Richtung Westen zwei Bögen der Stromöffnungen sowie die zwei Vorlandbögen auf der Neustädter Seite, um die anrückende Rote Armee aufzuhalten, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits am Albertplatz befand.
Ob die beiden Bronze-Skulpturen zuvor eingeschmolzen wurden oder durch die Explosion zerstört oder später beseitigt wurden, ist mir nicht bekannt.
Die heutige zweite Carola-Brücke, entstand zwischen 1967 und 1971. Zu DDR-Zeiten war sie nach Rudolf Friedrichs, dem ersten Dresdner Oberbürgermeister und ersten sächsischen Ministerpräsidenten nach 1945 benannt. Sie war in der DDR die Spannbetonbrücke mit der größten Stützweite, eine ingenieurtechnische Meisterleistung.
Der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb hat die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universtätsbibliothek durchstöbert. In loser Folge berichten wir über wichtige geschichtliche Ereignisse in der Neustadt.