Im Atelier „Das zweite Leben der Dinge“ auf der Fritz-Reuter-Straße verwandeln zwei Frauen Scherben und Knöpfe in Schmuckstücke mit Erbstück-Potenzial.
Winzige Kolibris aus Angelködern, barocke Stecker aus zerscherbeltem Sonntagsgeschirr, schimmernde Perlen aus Meer geschliffenem Glas – in ihrem kleinen Atelier auf der Fritz-Reuter-Straße hauchen die Schwestern Nadia Zobel und Anja Jurkenas wenig beachteten Schätzen ein zweites Leben ein.
Ein besonderes Faible haben die Frauen für Knöpfe, die als vielgestaltige „Zuhälter“ durch die Modegeschichte führen. „Wenn Knopf-Phobiker das eine Ende des Spektrums sind, sind wir das andere“, sagt Anja Jurkenas.
Frauen mit Knöpfchen
Schon in frühester Kindheit war Omas Knopfkiste für sie ein verheißungsvoller Ort. Ein Faszinosum auch die vielen unscheinbaren Artefakte in Straßenrillen und Gehwegritzen vom Schneckenhaus bis zur Münze. „Wir wurden als Kinder nie gedrängelt weiterzugehen“, erinnert sich Anja Jurkenas. „Unser Vater war auch ein Jäger und Sammler. Wir wurden mit dem Grundgedanken erzogen, dass alles von Wert sein kann, je nachdem, wie man es betrachtet.“
Dieser rote Faden zog sich später durch ihr Kunststudium und ist immer noch Inhalt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Für ihren Broterwerb entschied sich Anja für Knopf-Geld und begann Schmuck zu produzieren. Ihre Schwester Nadia stieß hinzu und brachte „die kaufmännische Komponente“ mit ein. Vor knapp sechs Jahren hatten die beiden ihren ersten Stand auf der BRN.
Push the button!
Während Anja „nichts zweimal machen kann“ und eher einzelne Fundstücke bearbeitet, liegt Nadias Leidenschaft in der filigranen Bearbeitung von Perlmutt- und Glasknöpfen. Sie werden mit einer Glasschleifmaschine in Form gebracht und in ihre jeweiligen Fassungen eingepasst. Manchen verhilft sie mit hauchdünnem Pinsel zu slawischer Farbenpracht. Die aufgetragene Glasfarbe wird mit UV-Licht gehärtet.
Ein „Knopf im Ohr“ ist seitdem kein Privileg traditionsreicher Stofftiere oder Agent*innen mehr. Als zierendes Treibgut der Sub-Geschichte werden sie spazieren getragen. Die besonders seltenen und betagten Knöpfe aber – zum Beispiel durch Intarsien veredelte – bleiben unangetastet zur Betrachtung im Schmuckkästchen.
„Glasknöpfe an der Kleidung sind der Erfindung der Waschmaschine zum Opfer gefallen“, erklärt Anja Jurkenas. Sie hielten der neuen Gangart nicht stand. Seitdem sind sie nahezu verschwunden. Eine (glühend) heiße Fährte führt nach Jablonec (Gablonz) an der Neiße. Die Stadt ist für ihre Glasindustrie bekannt, unter anderem für ihre Knopfdrückerei. Heute wird sie nur noch vereinzelt betrieben. Die alten Werkstätten sind zu Museen geworden.
Knopfdrücker-Bande von Jablonec nach Augsburg
Die Arbeiter saßen an einem glühend heißen Ofen, in dem das portionsweise Glas geschmolzen wurde. „Die Glasmasse bekam mit der Hitze eine Bonbon artige Konsistenz und wurde in Formen gedrückt“, erklärt Anja. „Es war eine sehr monotone Arbeit“, ergänzt Nadia. Die zierlichsten, klarsten Muster erhielt man mit Stahlformen, deren Herstellung wiederum eine ganz eigene Kunst war.
Nach dem Krieg wurden zahlreiche Sudetendeutsche aus der Region vertrieben und mussten ihre Betriebe zurücklassen. In der Nähe von Augsburg gründeten sie Neugablonz, wo die Glasdrückerei jedoch auch nicht mehr wirtschaftlich betrieben wird. Die historischen Glas-Knöpfe sind ein begehrtes Gut.
Knopf-Arbeit mit besten Knopf-Noten
In einem großen hölzernen Triptychon glänzen sie, die Ohrringe und Spangen aus Knopf-Arbeit. Noch mehr als für alberne Wortspiele bietet sich der Knopf in seiner Formenvielfalt für die Verwendung als Schmuck an. Jedes Stück hat seine Geschichte. „Eine Zeit lang habe ich die Geschichten hinter den Ohrringen auf kleine Zettel geschrieben und mit ausgestellt“, erzählt Anja. Eine sehr aufwendige Arbeit bei der schier unüberschaubaren Vielzahl der Exemplare.
„Einmal haben wir aus den Scherben eines Polterabends Scherbenketten für die Brautleute gemacht.“ Besonders eindrücklich ist ihr eine Reise nach Kamerun im Gedächtnis geblieben. „Die Menschen dort sind Meister im Sachen-Reparieren und Recyclen.“
Das Triptychon im Laden ist portabel und fungiert auf Lastenrad oder im Kofferraum eines eigens umgebauten Kleinwagens als Verkaufs-Stand. Aber Verkauf und Präsentation auf Märkten fällt derzeit flach. Den direkten Kontakt zur Kundschaft, den ganzen Tag reden und verkaufen vermisst – bei aller Herausforderung – besonders Nadia.
Um die Krise zu überbrücken, haben die Schwestern auf Baustellen gearbeitet. Mittlerweile haben sie sich wieder auf die Feinarbeit im Atelier verlegt. Ein großes Ziel für das neue Jahr sind für Anja Jurkenas aus Draht gefertigte Insekten. Die Schmeissfliege als Juwel der anderen Art. Die andere Perspektive als Chance für die Dinge.
Das zweite Leben der Dinge
- Fritz-Reuter-Straße 15, 01097 Dresden
- Geöffnet Dienstag bis Freitag von 12 bis 16 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung: 0163 2698815
- Der Schmuck wird auch im Manjana auf der Bautzner und im Kleinod am Körnerplatz verkauft
- www.daszweitelebenderdinge.de
- Onlineshop auf Etsy