„Es gibt eigentlich nichts, was in diesem Laden noch nicht passiert ist. Außer einer Geburt“, sagt Chef Norman Sharp rückblickend auf 30 Jahre Zentralohrgan.
„Dreißig Jahre – das klingt nicht nur wahnsinnig, das ist wahnsinnig!“, fasst Platten-Chef Norman Sharp sein Jubiläum zusammen. Es fällt in ein wahnsinniges Jahr. Eigentlich wollte das Zentralohrgan gemeinsam mit der Bar Hundert den Sechzigsten begehen.
Nach Konzerten und „weiterer Lärmbelästigung in Form von DJs“ wäre die Party-Karawane „zu einer Uhrzeit, zu der die Nachbarn für gewöhnlich die Polizei rufen“ von der Louisenstraße in den Keller auf der Alaunstraße umgezogen. Hätte, wäre …
Blättern im Poesiealbum der Erinnerung
2020, das Jahr des Konjunktivs. Es kommt als unerhörtes Ereignis mit in die Chronologie schräger und berührender Ereignisse aus dem traditionsreichsten Vinyl-Laden der Neustadt. „Der (wahrscheinlich) jüngste Kunde war schätzungsweise fünf und erwarb ‚Das Flattergespenst in der Gartenlaube‘. Die älteste war nach eigenen Aussagen 95, und wollte Gesangsnoten für ihre Enkel erwerben, damit die ihr dann vorsingen können – woraus zwar leider nichts werden konnte, sich aber ein köstlicher Plausch ergab“, blättert Norman Sharp im Poesiealbum der Erinnerung.
Und da war da noch das Project Pitchfork-Konzert im Panzerhof, zu dem Rammstein als Vorband gastierte. Organisiert wurde es von Heiko Wolfram, der Kartenverkauf lief über das Zentralohrgan. „Damals war die Feuershow noch nicht TÜV-geprüft“, erzählt Norman. „Die Leute aus der ersten Reihe erkannte man an den Brandlöchern im Pullover.“ Rammstein, unbekannte Underdogs, spielten Project Pitchfork an die Wand und verkauften ihre erste Platte ‚Herzeleid‘ wie blöd, berichtet Norman. „Die waren ja damals mit ihrer teutonischen Art noch als Neonazis verschrien. Die CD bekam man nirgends.“
Legendäre Auftritte, prominenter Besuch
Legendäre Auftritte, komische Begebenheiten drehen sich wie eine Platte um das Zentralohrgan. Hast du noch eine, Norman? „Vielleicht die, wo ich frühmorgens ohne Ladenschlüssel vor der Türe stand, und mich nach kühler Abwägung (ein Tag Umsatzverlust vs. eine neue Fensterscheibe beim Glaser Damm) zum Einbruch in den eigenen Laden entschloss. Bond-mäßiger Zugang über verschneite Dachfirste und Abstieg am Schornstein zu verstecktem rückwärtigen Klofenster.“
In den Laden kommen mittlerweile die Enkel der Stammkundenschaft ihre Platten kaufen. „Hier wurden Ehen gebunden und entzweit, Leute sind am Tresen umgefallen“, zählt Norman auf. „Das einzige, was wir noch nicht hatten, war eine Geburt.“ Norman Sharp hat nicht nur den Überblick über Neuerscheinungen, sondern auch den Einblick in die Musik-Geschmäcker der hereinschneienden Musiker-Prominenz. „Es ist schon lustig, was die Leute manchmal für sonderbare Platten kaufen.“
„Ich war blauäugig genug“
Dass das Zentralohrgan als Legende weiter und weiter lebt, ist der Naivität seines Besitzers zu verdanken. Der nomadisierende Laden hatte als mehr oder weniger fixe Idee ihren Anfang am vierten Dezember 1990 genommen. „Aus unerfindlichen Gründen haben wir mitten in der Woche aufgemacht.“ Der gelernte Drucker Norman Sharp hatte nicht damit gerechnet, „hier mal richtig arbeiten zu müssen.“ Geöffnet war anfangs zwischen 16 und 18 Uhr. „Da war kein Masterplan dahinter.“ Lieber ging Norman Sharp klettern. Dann kam die Wende.
Auf die steigende Nachfrage folgten die CD-lastigen 0er-Jahre. „Es ging abwärts“, erinnert sich der Chef. „Ich war dann der einzige, der übrig blieb. Der sagte: ‚Ich glaube da dran.‘ Ich war blauäugig genug.“
Das alles muss nun eher verhalten gefeiert werden. „Äniwe“, wie Norman Sharp sagen würde. „Wir werden Sekt kalt stellen. Wer will, kommt so auf seine Kosten“, kündigt er an. Eine Ersatz-Feierlichkeit mit ordentlich „Putz’scher Lust“ ist für den 31. Geburtstag geplant. „Wenn Carbonara dann endlich vorbei sein sollte, feiern wir eben mit der Hundert den Zweiundsechzigsten. Oder eben ‚When I’m Sixtyfour‘.“ Musikalisch wird auf den stets gefüllten „Beutel mit partytauglicher 60er-Jahre-Schmuddelbar-Musik“ zurückgegriffen, kündigt Norman an.
In jedem Fall werde auch Deep Purple „In Rock“ gespielt, denn das war am Spätnachmittag des Eröffnungstages am 4. Dezember 1990 die erste Platte, die über den Tresen ging.
Das Neustadt-Geflüster gratuliert herzlich!
Das Zentralohrgan wird 30
- Zentralohrgan, Louisenstraße 22, 01099 Dresden
- Montag bis Freitag 11 bis 20 Uhr, Sonnabend 10 bis 16 Uhr
- Weitere Infos auf Facebook
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bester laden in DD wenn es um längst vergriffene nachpressungen unbezahlbarer prog/psych/loner/kraut scheiben geht. Mir ein rätsel wo er die immer her holt …
Äniwe, weiter so und alles gute zum geburtstag!
KEEP CALM AND FREAK OUT!
@Philine / Anton Die URL vom Zentralohrgan gibt’s seit bestimmt 2 Jahren nicht mehr
Danke. Korrigiert.
In der Dependance mit dem „Milka-Teufel“ in der Martin-Luther-Straße, habe ich meine erste elektronische Platte aus England gekauft, die ich dann jahrelang mit der falschen Geschwindigkeit gehört habe. Der Beginn einer großen Leidenschaft. Also das Plattensammeln…
Alles Liebe und Gute!
Was für liebe Menschen! Ich freue mich so sehr, daß es bei Norman vom zentralohrgan nicht diese elitären Barrieren wie in anderen Läden gibt.. Das erste mal hab ich euch mit eurem Stand bei der ebm- Nacht auf der. Hamburger Str erlebt und habe and one-cds bestellt. Und ihr habt sie mir nach riesa geschickt. Ohne das zentralohrgan wär ich nicht der Mensch, der ich heute bin. Danke für 30jahre dasein und dafür, daß ihr auch immer persönlich für mich da wart!
Mein erster Einkauf (damals noch Görlitzer Straße): Plastic Surgery Desasters von den Dead Kennedys. Und ein selberbesprühtes Promoshirt für den Laden. Glückwunsch !!!
Frank
Danke für 30jahre unterstützung und das gewisse quentchen becherovka und den starken kaffee zu den platten!