Ein Nachmittag im Dezember, etwas windig, graue Wolken bedecken den Himmel, aus denen hin und wieder schüchtern die Sonne hervorlugt.
Das Tor zur Heide erstreckt sich in drei wuchtigen Bögen über das Prießnitztal. Durch den Torbogen drängen sich Familien, Hunde, Sportler*innen, manche mit Schal und Mütze, manche in T-Shirt und kurzer Hose, um zur „grünen Lunge“ Dresdens zu gelangen.
Auf dem Weg zur Heide spannen sich oftmals aktivistische Banner à la „rettet Danni“ zwischen den Bäumen. Heute erspäht man diese nicht, permanenter schon die Graffitis, die die Brücke mit bunten Botschaften schmücken. Hinter dem Tor schlängelt sich die Prießnitz zwischen Industriegelände und Offizierschule flussaufwärts gen Norden. Sie schlägt eine grüne Schneise, die der Neustadt den direkten Zugang zur Heide eröffnet.
Das Tor durchschreitend erblickt man rechterhand mysteriös anmutende Pfahlskulpturen, deren Geschichte in diesem Artikel beleuchtet wird. Linkerhand fällt eine selbstgebastelte Leergut-Station in den Blick, die den Eingang zu einem liebevoll gestalteten Vorplatz inklusive kleinem Weihnachtsbaum markiert. Erbauer und Heide würden sich sicher freuen, wenn dort und nicht anderswo im Wald das Leergut landet.
Die Heide: Ein wildreicher Mischwald
Mitte Dezember schmücken allein die Nadelbäume den Wald noch mit etwas grün. Es hängt kaum noch Laub, alles liegt feucht und welk und etwas trist auf dem Boden. Der Boden jedoch ist bemerkenswert. Hier treffen nährstoffarme wie -reiche Böden (Lehmböden, Auenböden, Sandböden, Moorböden) aufeinander, was zum großen Vegetationsreichtum des Mischwaldes führt.
In dessen Niederungen und Lichtungen sich vor allem Kiefer und Fichte jedoch auch die namensgebende Birke, Buche, Erle, Ahorn und viele weitere wohlfühlen. An Bäumen wie diesen prangen noch heute die charakteristischen Wegezeichen, deren Form die Idee für Wegenamen wie „Gänsefuß“, „Kannenhenkel“ und „Kuhschwanz“ gab.
Nicht nur die Flora, auch die Fauna profitiert von dieser Vielfalt, was den Wildreichtum der Heide und deren Funktion als ehemaliges fürstliches Jagdgebiet erklärt. Unter anderem sind Igel, Dachs, Wildschwein, Reh, Fuchs und Hase hier zu Hause, ja selbst der Wolf ist zurück.
Einer jedoch, der fehlt: der Bär. Denn die Gefangenahme des letzten Bären erfolgte im Jahr 1612 und er kam bisher nicht zurück.
Die Jagd und die Heide sind historisch tief verbunden und tatsächlich mussten bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Bewohner der angrenzenden Dörfer Jagddienste leisten. Man stelle sich vor was für ein Schauspiel es wäre, wenn heutzutage die Neustädter*innen jagend durch die Heide zögen!
Die Prießnitz: Ein Fluss für die Neustadt
Dem Flussverlauf folgend kommt man immer weiter weg von der Stadt und begegnet immer weniger Menschen. Die Prießnitz heute wirkt schwarz, mäandernd und munter plätschernd fließt sie Richtung Elbe. Mit ihren etwa 35 kleineren Zuflüssen (mit herrlich schrulligen Namen wie etwa „Böses-Loch-Wasser“ oder „Schwarzes-Bild-Wasser“) hat sie sich abschnittsweise ein Tal von 40 Metern Tiefe geschnitten.
Hin und wieder fallen aufgeschüttete Äste und Steine im Flussbett auf. Fließverlangsamungen, die man, mit Blick auf den überhaupt nicht reißenden Strom der Prießnitz heute, leicht belächeln könnte. Jedoch ist die Prießnitz ein Fauna-Flora-Habitat, das durch solche Schutzmaßnahmen wie die Aufstauung zu Tümpeln, möglichst natürlich erhalten werden soll.
Überhaupt ist die Prießnitz, an diesem Tage eher ein gemächlicher Bach als ein Fluss, nicht zu unterschätzen. Einerseits ob der Hochwassergefahr bei Starkregen und andererseits aufgrund ihrer historischen Leistung.
Über Tausende von Jahren hat sie wacker große Mengen Sand in die Elbe hinuntergespült, der sich unterhalb der Prießnitzmündung in einem Schwemmkegel sammelte und die Form des heute U-förmigen Elbbogens prägte. Auf dem Prießnitz-Sand wurde Altendresden gegründet, was später zur Neustadt wurde. So gesehen ist die Prießnitz mitverantwortlich für die Entstehung der Neustadt. Chapeau!
Mondlandschaft Sandgrube
Apropos Sand. Wenn man den Aufstieg hin zur Sandgrube wagt, wird man mit einem schönen Blick über Dresden und über die Mondlandschaft des kratergeprägten Abbaugebiets selbst belohnt. Auffällig sind die rechteckigen, verschiedenfarbigen Gesteinsfelder am östlichen Kraterhang, die aussehen, als würde man über penibel abgesteckte deutsche Felder fliegen.
Geröll, Sand, Gestein und Bauschutt sind hier zu Zuckerhüten aufgeschüttet. Große, irgendwie an Dinosaurier erinnernde Maschinen, baggern, walzen, greifen und schieben Material. Sie rattern in der Ferne, währenddessen der Krater das Gefühl von Weite und Raum gibt.
Am äußersten Kraterrand sind Liebesbotschaften geritzt, nicht jedoch in Stein oder Holz, sondern in den Grubensand. Robust ja, aber sicher nicht für die Ewigkeit. Der Himmel färbt sich blau, der Wind pfeift rauschend über die Grube hinweg durch die knarzenden Fichten, zwischen denen ein Baumhaus in bester Lage den Krater überblickt.
Neue Wege gehen
Der Abstieg wird abseits von ausgewiesenen Pfaden beschritten. Neue Wege gehen! Oranges Licht durchfließt den Wald, an dessen Hang sich einige Mountainbiker zur großen Abfahrt inklusive Rampensprung versammelt haben. Plötzlich schallt ein gewaltiges Knacken durch den Wald: fallende Bäume.
Ein Harvester ist zugange, also eine forstwirtschaftliche Maschine, die einen Baum, fällt, greift, entastet, in die gewünschten Stücke schneidet und stapelt, alles in einem, alles in 30 Sekunden, kaum, dass nicht gleich das fertige Ikea-Regal hinten rausfällt.
Aufgrund forstwirtschaftlicher Nutzung ist nahezu kein Teil der Heide heute noch „ursprünglich“. Abseits des Harvesters bedrohten heute Schädlingsbefall, Trockenheit und die Aktivitäten des Menschen die Heide.
Ein wenig berauschender Wasserfall
Wieder im Tal angekommen und einen abenteuerlichen Balanceakt später ist die Prießnitz erneut überquert. Praktisch, dass gefallene Bäume, die wie riesige Mikado-Stäbchen übereinander liegen, Brücken bauen. Weiter geht es flussaufwärts.
Vorbei am Klettergarten (Achtung: Mindestgreifhöhe einmeterfünfzig!), der das ehemalige Waldbad ersetzt, Richtung Wasserfall.
Und schnurstracks am Wasserfall vorbei. Das Phänomen des „verlorenen Wassers“, also der Versickerungen ganzer Bäche im Sandboden, tritt in der Heide zwar auf, jedoch ist heute der Grund einfache Unkenntnis gepaart mit einem ehrlicherweise wenig berauschenden Wasserfall.
Dieser beeindruckt mit einer Fallhöhe von gerade einmal einem Meter und recht knappem Wasser eher weniger. Vielleicht ein leiser Hinweis darauf, dass in den vergangenen Sommern die Prießnitz selbst immer wieder stellenweise austrocknete.
Die Dämmerung bricht an, einige Vögel beginnen zu zwitschern, und anstatt den ganzen Weg zurückzulatschen, kann man von vielen Stellen am Rand des Waldes superbequem mit den Öffis den Heimweg antreten.
Die Heide ist weitläufig, vielfältig, zugänglich, und bietet sich – vor allem im wohl langen Corona-Winter – als Oase der Flucht, Zerstreuung und Erholung an. Weitere, tiefere Begehungen drängen sich da geradezu auf. Also, auf bald!
Dresdner Heide – weitere Informationen
- Stadtwiki Dresden
- Dresdner Stadtteile: Die Heide
- Wikipedia: Dresdner Heide
- Zahlen, Daten und Fakten auf www.dresden-und-sachsen.de
Danke für den schönen und inspirierenden Artikel, da hat man gleich Lust auf einen Waldspaziergang :)
Ich bin immer gerne in der Neustadt. Beim Lesen des Artikels fühlt man sich direkt „wie in den Wald versetzt“ und kann sich wieder einmal inspirieren lassen für neue Orte und Wege – vielen Dank dafür!
Sehr zu empfehlen ist übrigens auch eine Wanderung entlang der Prießnitz im Sommer. Also mit dem Bus zum Atomkraftwerk Rossendorf fahren und dann von da immer schön entlang der Prießnitz wandern. Hier ist da Start der Wanderung und nach 25,4 km landet man dann direkt in der Elbe :-)
Wollte eigentlich Frühling schreiben, man kommt ja ganz durcheinander mit den Jahreszeiten. Naja, noch etwas mehr Klimaerwärmung und man braucht es zeitlich nicht mehr eingrenzen :-/