Anzeige

Lange Nacht der Angst im Hygiene-Museum

Svea Duwe: Das Wesen des Materials

Die Neustädter Künstlerin Svea Duwe ist Stipendiatin von „Bouncing Forward – Resiliente Kultur“ des Amts für Kultur und Denkmalschutz. Ein außergewöhnliches Jahr liegt hinter, ein aufregendes vor ihr. Ein Einblick in die Arbeit der „bildenden Forscherin“.

„Ich hoffe, du ekelst dich nicht“, sagt Svea Duwe, als ich mich auf einem Hocker in ihrem Atelier im Zentralwerk niederlasse. „Ich arbeite gerade mit Haar.“ Über mir hängt ein geflochtenes Wappen, von dem Gold tropft. Mit Knochenleim gebundene Haarsträhnen formen das Wort TRUST.

"Trust" (Ausschnitt). Foto: Svea: Duwe
„Trust“ (Ausschnitt). Foto: Svea: Duwe

Ein unglaubliches Spektrum

„Haar schimmert“, sagt die bildende Künstlerin über die gegensätzlichen Facetten ihres aktuellen Arbeits-Materials. Das organische Produkt ist ein spannungsreiches Symbol: Es steht gleichermaßen für Zivilisation und Wildnis; einzeln reißt es, im Strang ist es stabil. An bestimmten Körperstellen wird es kultiviert, an anderen ausgerissen. „Die einen empfinden Abscheu, die anderen Faszination. In Deutschland wird es sehr oft mit der Shoa assoziiert.“

Losgelöst vom Körper ruft das Haar andere Empfindungen hervor als an ihm. „Ein unglaubliches Spektrum“, sagt Svea Duwe.

Anzeige

Blaue Fabrik

Anzeige

Advenster.org

Anzeige

Agentour

Anzeige

Villandry

Anzeige

Kreuzretter für die Rückengesundheit

Anzeige

Yoga Retreat

Anzeige

Blitzumzug

Anzeige

Societaetstheater

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

Anzeige

Archiv der Avantgarden - Welten Bauen. Visionäre. Architektur im 20. Jahrhundert

Widersprüche und Spannungen, Netze und Verflechtungen

Ein unglaubliches Spektrum bedient auch Svea Duwe in ihrer Arbeit: Installation, Sculptural Movement, Film, Fotografie, Text, Grafik, Kostüm, Performance, Tanz … „Selbst in meinen statischen Arbeiten findet sich immer ein Theater-Bezug. Da ist immer Dynamik, Momenthaftigkeit, Bewegung.“ Bei aller Vielgestaltigkeit des Ausdrucks gebe es „einen roten Faden in meinem Werk“, erklärt sie. „Das ist die Unsicherheit.“

"Reality". Foto: Svea Duwe
„Reality“. Foto: Svea Duwe

Tempo und Rasanz von Entwicklungen verlangen dem Menschen eine permanente Flexibilität ab, erklärt sie ihr Credo und stützt sich auf den Begriff des „Zeitalters der Ungewissheit“, den der britisch-amerikanische Historiker Tony Judt prägte. „Im Moment leben“ erfordert Einordnen, Abstimmen und Verorten. Freiheit als Ideal – und Krise. Aus dieser Gleichzeitigkeit ergeben sich Widersprüche und Spannungen, die Svea Duwe untersucht.

Künstlerische Materialforschung

„Der größte Teil meiner Arbeit ist Forschung“, sagt Svea Duwe. Sie wählt ein Material zur Auseinandersetzung und erkundet dessen Wesen: „Jedes Material trägt eine Bedeutung in sich.“ Diese Analyse geht weiter über die chemische Zusammensetzung hinaus und beinhaltet soziale, emotionale, gesellschaftliche Aspekte. Eine experimentell-philosophische Reise. Wie beim „schimmernden Haar.“

"Atetliersit". Foto: Svea Duwe
„Atetliersit“. Foto: Svea Duwe

„Am liebsten verwende ich alltägliche Materialien“, sagt Duwe. Sie änderten im Prozess Form und Bedeutung. „Das Material arbeitet mit. Es bringt sich ein“, beschreibt sie. Nicht jede Haarsträhne, gibt sie ein Beispiel, lasse sich zu einem beliebigen Buchstaben formen. Während ihres Kunststudiums in Dresden erlernte sie sämtliche künstlerische Techniken, entdeckte parallel jedoch ihre Faszination an der Auseinandersetzung mit Kleidung, Seife oder Verderblichem wie Apfelsinenschalen.

Anzeige

Agentour

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

Anzeige

Advenster.org

Anzeige

Kieferorthopädie

„Ich genieße die Prozesse. Aus ihren Nebenstrukturen ergeben sich neue Arbeiten“, erzählt Svea Duwe. „Jedes Werk braucht seine Entwicklungszeit. Manchmal wäre ich gern schneller, aber die Dinge müssen ausbrüten. Die Arbeit wird zu einem Gegenüber, das erzählt, was es braucht.“

Why don’t you kill me?

Ihr Werk “ A Dreamer“ ist ein Schriftzug aus Haarsträhnen in einem Gitternetz aus Haar: I’m a dreamer, baby. Why don’t you kill me? Dreamer werden in Amerika Kinder von migrierten Menschen genannt. Die Bezeichnung geht auf einen gescheiterten Gesetzentwurf von 2001 mit dem Namen „Development, Relief and Education for Alien Minors Act“ (DREAM) zurück, lässt aber zeitgleich die Assoziation mit den Zukunftshoffnungen der Betroffenen zu.

Barack Obama erließ 2012 ein Dekret, das Menschen unter 16 Jahren zwei Jahre lang vor einer Abschiebung schützte und ihnen eine Arbeitserlaubnis ermöglichte – Trump beendete das Programm 2017 gemäß seiner Vorstellung, amerikanische Arbeiter müssten Vorrang haben. „Vor diesem Hintergrund erscheint die Bezeichnung Dreamer fast zynisch“, stellt Svea Duwe fest.

Ich frage, ob die intensive Auseinandersetzung mit harten Themen dieser Art nicht schmerzhaft sei. „Ist das die Auseinandersetzung mit unserer Lebensrealität nicht immer?“, fragt sie zurück.

Svea Duwe: "Das Foto sieht jetzt aber schon ziemlich gestellt aus." Foto: Philine
Svea Duwe: „Das Foto sieht jetzt aber schon ziemlich gestellt aus.“ Foto: Philine

Im Zentrum von Svea Duwes künstlerischem Forschergeist steht der Mensch. Seine sozialen Netze und individuellen Fallstricke, seine ihn selbst einschränkenden Regeln des Wachstums, sein warmes Wollen, sein kaltes Tun, sein Miteinander und seine Isolation. So ist auch ihre Kunst menschliche Regung und öffentliche Bewegung – provokant im Auge des Betrachters, im Kern aufrichtig neugierig und empathisch erschlossen. Es sind nicht die Fragen, die erschüttern. Es sind die Antworten, die sie fordern.

Die Kunst hält Einzug in die Stadt

Die Coronakrise hat Svea Duwe im vergangenen Jahr dank eines Stipendiums persönlich nicht in existentielle Unsicherheiten gestürzt, wohl aber Gedanken um die freie Szene angestoßen: „Es ist sehr deutlich geworden wie beweglich und mit wie viel Energie Künstler, Projekträume, Kunstinstitutionen und Theater auch unter schwierigen Einschränkungen arbeiten und wie ungebrochen das Bedürfnis in der Gesellschaft nach kultureller Auseinandersetzung und Beschäftigung ist“, sagt Duwe.  „Andererseits wird auch brutal sichtbar, wie prekär die Bedingungen sind, unter denen die professionelle freie Kunstszene arbeitet und dass bereits verhältnismäßig geringe Einsparungen in der Projektförderung seitens der Stadt, z.T. ganze Arbeitsplätze kosten.“

Verdrahtete Blicke. Arbeit von Svea Duwe. Foto: Philine
Verdrahtete Blicke. Arbeit von Svea Duwe. Foto: Philine

Spannend sei die notgedrungene Verlagerung von Kunst in den öffentlichen Raum zu beobachten gewesen. Ein Feld, das Svea Duwe bereits vor der Krise am Herzen lag: Die Kunst aus definierten Zimmern befreien, Stadträume erschließen, Denk- und Träumräume erschaffen.

Ihre skulpturale Bewegung „Spiegelmarsch“ sorgte 2017 für staunende Menschentrauben. Eine Prozession von Spiegelträger*innen durchzog, begleitet von maskierten Fahnenträger*innen und angeführt von einer einer Marschglockenspielerin die Stadt. „Die Innenstadt wird meistens von politischen Aktivitäten in Besitz genommen. Vielen äußerten sich erfreut darüber, dass es hier die Kunst war.“

Spiegelmarsch ins neue Jahr

Kunst als Fort-Bewegung und erkenntnisreiche Interaktion, als Impulsgeberin und Spiegelung. Unter ihrem Banner schreitet Svea Duwe forschend voran. Im Mai wird sie voraussichtlich ihre Haar-Installationen zum Thema „Gefühle raus!“ in Kombination mit einer Performance in der Motorenhalle ausstellen. Ein weiterer Fixstern ist eine Kooperation mit den missing dots und Hellerau. Ein Performance-Laboratorium wird sie in die künftige Kulturhauptstadt Chemnitz führen. Das Bouncing Forward Stipendium fließt in eine Videoarbeit, die sie gemeinsam mit einer Tänzerin erarbeitet.

Auch das neue Jahr steht im Zeichen von Corona – und damit im Zeichen der Unsicherheit. Fest steht für Svea Duwe der Stellenwert der Kunst, der in der Gesellschaft Würdigung verdient hat:  „Es ist schwierig, wenn in Debatten die Finanzierung der freien Kunst- und Kulturszene gegen die Finanzierung von Schulen und Krankenhäuser aufgewogen wird. Das wird ja auch nicht mit der Wissenschaft gemacht. Die künstlerische Forschung muss mit einer vergleichbaren Seriosität wertgeschätzt werden wie die wissenschaftliche.“

Svea Duwe – Bildende Künstlerin