Oder: Wie erkennt man Franzosen in einem deutschen Restaurant?
Ich war noch nicht so lange in Dresden, da schlug mir mein deutscher Freund vor: „Lass uns mal essen gehen!“. „Chic, ein romantischer Abend im Restaurant!“, dachte ich spontan und machte mich sofort hübsch für diesen Anlass. Schon sah ich uns in einem hübschen Lokal mit Kerzen, einem Glas Rotwein und gutem Essen…
Etwas später saßen wir auf der Wiese im Alaunpark und aßen einen Döner. So stellte ich fest, wie „essen gehen“ definitiv zwei sehr unterschiedliche Bedeutungen hat, je nachdem auf welcher Seite des Rheins man sich befindet.
Auch im Restaurant selbst entdeckte ich bald, wie viele unterschiedliche Sitten es gibt. Habt ihr schon Franzosen in einem deutschen Restaurant beobachtet? Die erkennt man schnell.
Erstens: Sie sind die einzigen Touristen, die sich beim Betreten des Restaurants nicht sofort hinsetzen. Nein, nein. Sie bleiben erstarrt am Eingang stehen, sehen dem Kommen und Gehen der Kellner zu und ärgern sich darüber, völlig ignoriert zu werden. Sie warten nämlich darauf, platziert zu werden. Was aber lange dauern kann, denn in Deutschland setzt man sich einfach direkt dorthin, wo man will. An dieser Stelle ein kleiner Hinweis für deutsche Reisende in Frankreich: Macht das bitte niemals in einem französischen Restaurant. Das gilt als schlimmer Fauxpas, und man wird euch umgehend an einen anderen Tisch versetzen, vor allem wenn ihr es gewagt habt, euch zu zweit an einen Vierer-Tisch zu setzen.
Wenige Minuten später, nachdem drei deutsche Familien das Restaurant betretet haben, schon sitzen und sogar bestellt haben, werden unsere französischen Touristen schließlich von einem Kellner bemerkt. Endlich können sie ihre übliche Frage stellen: „Kann man (noch) essen?“. Ich liebe den verwirrten Blick des deutschen Kellners bei dieser Frage. Er glaubt bestimmt, dass man sich über ihn lustig machen will. „Aber … selbstverständlich. Sie sind schließlich zum Essen hergekommen, oder?“. Man darf es den Franzosen aber nicht übelnehmen: Außerhalb der festen Essenzeiten sind in Frankreich alle Restaurantküchen geschlossen; Sie wissen nicht, dass man in Deutschland auch um 14 Uhr Appetit auf ein Wiener Schnitzel haben darf!
Kaum haben sich die französischen Gäste endlich getraut, sich an einem selbsterwählten Tisch zu setzen, da steht schon der Kellner bereit und fragt: „Was möchten Sie trinken?“. Überfordert blättern sie gehetzt die Karte durch und stottern so etwas wie: „Euh, na ja, Moment. Das kommt ja darauf an, was wir essen werden!“. Nur nicht in Deutschland, wo man erstmal seinen Durst (meistens mit einem Bier) löscht, noch bevor man das Essen bestellt. Daher die zunehmende Irritation des Kellners, der wohl denken muss: „Diese Franzosen, die wissen echt nicht, was sie wollen!“.
Doch, halt! Sie hätten gerne eine Karaffe Leitungswasser, Salz und Pfeffer, und das Brot, bitte.
Hahaha. Und warum nicht noch eine Vinaigrette dazu! Nein, all das gibt es in einem deutschen Restaurant nicht. Alles, was unsere Kunden bekommen können, ist eine große Flasche „piekendes“ Wasser (wie die kleinen Franzosen es nennen, die an das kostenlose Leitungswasser gewöhnt sind) die nicht umsonst serviert wird. Zum Glück gibt es meistens eine Kerze oder eine Blumenvase als Deko, sonst wären die Tische ganz schön leer!
Am Ende bringt der Kellner die Rechnung und stellt eine, für die Franzosen, absolut undenkbare Frage: „Zusammen oder getrennt?“. Was so viel bedeutet wie „Bezahlt jeder für sich oder lädt jemand die anderen ein?“. Diese Frage schockiert mich heute noch und zwingt mich zu einer sehr peinlichen Express-Wahrscheinlichkeitsberechnung, denn: Wenn ich „getrennt“ antworte, aber meine Freundin „zusammen“, dann bin ich die Geizige, die eingeladen wird, aber es nicht vorhatte, die andere einzuladen.
Im umgekehrten Fall (Ich sage „zusammen“ und sie sagt „getrennt“) bin ich diejenige, die sie für geizig gelten lässt. Wenn wir beide gleichzeitig „getrennt“ antworten, ist das praktisch und deutlich, aber ein wenig traurig. Im Endeffekt bevorzuge ich die sympathischere Version, in der wir beide „zusammen“ antworten, mit den fünf Minuten Diskussion am Tresen vor dem ungeduldigen Kellner: „Ich lade dich ein“, „Nein, nein, ich lade dich ein, das letzte Mal warst du schon dran!“. Das erinnert mich an Frankreich.
Diese Frage bringt mich auch zum Lachen, wenn ich mit meinen Eltern im Restaurant bin und es doch völlig klar ist, dass der Besitzer der Kreditkarte mein Papa ist. Wir stellen uns dann vor, mein Vater würde sein Gulasch bezahlen, ich mein Schnitzel und meine Mutter ihren Salat, und lachen uns schlapp.
Auch beim Abend zu zweit kam mir diese Frage öfter unangebracht vor. Ist man als Pärchen noch am Flirten klingt der Moment der Rechnung wie eine komische Anspielung: „Na, Zusammen?“ (Euh, noch nicht! Aber vielleicht küsst er mich heute Abend noch?). Hat man gerade eine Beziehungskrise und sich das ganze Abendessen damit auseinandergesetzt, klingt dieser seltsame Augenblick eher wie eine Guillotine: „Also, zusammen oder getrennt?“ (Na ja, das fragen wir uns auch gerade …).
Also ich mag diese Formel definitiv nicht. Aber ich verehre sie bei Abenden in der Kneipe mit zehn Freunden: Das Bezahlen dauert nicht länger als zwei Minuten! Der Kellner geht um den ganzen Tisch herum und kassiert jeden nacheinander ab. Et voilà! Damit vermeidet man das übliche französische Chaos nach dem Essen, wenn man eine Stunde lang das gesammelte Geld zum zehnten Mal nachzählt („Ach Mist, es fehlen immer noch zwei Euro!“).
Wichtiger noch: Man reduziert das Risiko des unfairen „Na dann teilen wir einfach alles durch zehn“, wobei man das Essen der hungrigen Freundin oder die gute Laune der angetrunkenen Kumpels mitbezahlt. Schließlich hat man sich auf eine Suppe und ein Glas Wasser beschränkt, um über die Runden zu kommen! („Hätte ich das gewusst, hätte ich auch das drei-Gänge-Menü bestellt!“).
Unsere französischen Kunden haben nun bezahlt und wundern sich, dass der Kellner auf einmal so entsetzt wirkt: „Was für Geizhälse, diese Franzosen!“ denkt er jetzt bestimmt, denn sie haben ihm gerade gar kein Trinkgeld gegeben. Sie hatten es aber noch vor. Allerdings erst nach Begleichung der Rechnung. Wie es sich in Frankreich gehört, nämlich „heimlich“, in dem man ein paar Münzen auf dem Tisch lässt, kurz bevor man geht. Diese französische Art, Trinkgeld zu geben, gefällt mir ganz gut, denn man hat die Zeit, sich zu überlegen, wie viel man dem Kellner geben möchte. Bis dahin ist das Essen sozusagen nicht abgeschlossen, man bleibt gerne noch ein bisschen sitzen, genießt diesen Moment nach dem Essen, trinkt sein Glas in Ruhe aus …
In Deutschland fehlen mir diese „Verlängerungen“ und mich stresst das schnelle Kopfrechnen beim Bezahlen. Denn entweder kündigt man einen gerundeten Betrag an („also für 16,50 € was sage ich? Euh 20 ist zu viel, 17 zu wenig, 19 ist albern, also sage doch 20? Hilfe!“).
Oder man sagt „Danke“ bei der Überreichung des Betrags, was so viel heißt wie „‘ist gut so“: Das lernte ich gleich bei meinem ersten Mal in einem deutschen Café: Ich hatte ein höfliches „Danke“ beim Bezahlen gesagt und sah zu, wie der glückliche Kellner mit meinem Wechselgeld verschwand … „Haha, du hast ihm gerade vier Euro Trinkgeld für dein Espresso gegeben!“ klärte mich mein Begleiter auf. Ups.
Ein Gastbeitrag von Peps, der Französin in der Neustadt. Aus der Reihe „C’est la vie! – Chroniken einer Französin in der Neustadt“. Illustrationen: Jean-Pierre Deruelles. Fortsetzung folgt.
Was für ein wundervoller Einblick in die Kulturunterschiede!
Ich möchte fast feststellen, dass mich die erwähnten Gegebenheiten auch irritieren und mein Verhalten beim Essengehen wohl eher einem Franzosen gleicht als dem meiner Landsleute.
-Wenn von „Essen gehen“ gesprochen, dann aber eine Dönerbude angesteuert wird, bin ich verwirrt.. Das ist doch nur „Essen holen“!
-Im Restaurant nötige ich meine Begleiter bzw. Begleiterinnen unbedingt auf die Platzierung zu warten, wir sind ja keine Barbaren :) mitunter fange ich dann ungeduldig auch Kellner ab um meinen Wunsch zu äußern. Es wird leider oftmals wirklich nicht erwartet, stehen ja schließlich kleine Reservierungschilder auf den verbotenen Tischen.
-Fragt die Kellnerin oder der Kellner direkt nach dem bringen der Karte nach Getränkewünschen, antworte ich idR umgehend, dass wir erst die Karte einsehen werden. Ich kann es allerdings verstehen, wir sind nunmal ein Biertrinkerland, da fällt die Wahl recht schnell und für ungeduldige ist das sicher angenehm.
-Zum Wein gibt es überall auch Wasser ohne piksen (Kohlensäure), ist zwar hier nicht umsonst, aber da ich eh meisst Wein in der Flasche order, fallen die 2-3 Euro fürs Wasser nicht ins Gewicht, ein wenig besser als das „Kranberger“ schmeckt es auch noch.
-Auf Brot kann ich verzichten, nicht aber Salz und Pfefferstreuer auf dem Tisch, der Wunsch danach wurde mir auch hier nie irgendwo ausgeschlagen.
-Die Frage „zusammen oder getrennt“ habe ich mit der Zeit sehr schätzen gelernt, das zusammenwerfen vom Geld wo jeder nochmal die Karte studiert und diskutiert wird einfach ausgelagert an den Kellner, der kann sich idR über ein besseres Trinkgeld freuen als bei dem zusammengeworfenen Geld. Beim rechnen vom Trinkgeld mach ich mir auch wenig stress, 10% drauf ist leicht gerechnet und noch ein wenig drüber darf es gerne sein, und wenn dann halt 19 Euro rauskommt, dann ist das eben so! Mit meinen Freunden hat sich etabliert abwechselnd zu zahlen, so ist eine kleine Gruppe entstanden die regelmäßig zusammen Restaurants besucht, ein ferner Traum momentan…
Einfach Hinsetzen gilt nur für den Schnellimbiss. Ich bin auch gewöhnt einen Kellner nach einem Tisch für x Personen zu fragen, wenn ich in ein Restaurant gehe. Das ist hier ebenso üblich und das nicht zu machen ist unhöflich.
@Christian: Ich hoffe doch, du meinst Pfeffermühle nicht Pfefferstreuer. ;-) Zum Thema Trinkgeld hätte ich da eine kleine Anekdote.
Wieder ein schöner Artikel.
Ich möchte behaupten, die Frage „zusammen oder getrennt“ und das schnelle Kopfrechnen bzgl. Trinkgeld stresst „die Deutschen“ genauso – mich zumindest.
Und wenn einem die Kellner*innen ab und zu ein paar Minuten mehr geben würden, um sich das erste Getränk rauszusuchen, wäre ich auch nicht böse. Schickt man sie beim ersten Mal mit den Worten „wir müssen noch schauen“ weg, dauert es dann manchmal (extra?) eine gefühlte Ewigkeit, bis sie wieder auftauchen…
Nichtsdestotrotz: hoffen wir mal, dass man überhaupt bald wieder mal ins Restaurant gehen kann :)
Ein sehr schöner Artikel. Danke! :-)
Ein sehr schöner beitrag aus der Sicht eines Gastes.
DANKE dafür.