Donnerstag, 19. März 1914, nachmittags kurz vor 3 Uhr im Café Moltke. In der Inneren Neustadt schräg gegenüber dem Neustädter Rathaus am Aufgang zur Augustusbrücke vor Kaiserhof und Narrenhäusel gelegen. Sechs Damen im etwas fortgeschrittenen Alter stiegen im straffen Gänsemarsch mit ihren Hunden, auch sechs an der Zahl, die Treppen in das Café hinauf.
Seit Jahren treffen sie sich zu ihrer Plauschrunde mit Hund immer donnerstags. Ihr Tisch war wie immer reserviert. Zwei Kellnerlehrlinge eilten herbei und nahmen den Damen die Mäntel ab.
Ihre Blicke gingen an diesem angenehmen Vorfrühlingstag nach draußen. Gegenüber vor der Neustädter Wache paradierten Soldaten in ihren feschen Uniformen. Hinter der Wache, zur Elbe zu befand sich das Sächsische Kriegsministerium.
Ein General als Namensgeber
Bei soviel Militär in der Umgebung und der Beliebtheit des Generalsfeldmarschalls Graf von Moltke wunderte es nicht, dass das Etablissement nach ihm benannt wurde. Moltke als Generalstabschef und großer Stratege, als „Großer Schweiger“ im Volksmund genannt, war neben Bismarck der Schmied der Einheit von oben (mit Blut und Eisen) in den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71.
Seit Juli 1871 ist er auch Ehrenbürger von Dresden. Sein Motto, preußisch kurz: „Erst wägen, dann wagen.“ Er war übrigens der Urgroßonkel des Widerstandskämpfers gegen das NS-Regime, Helmut James Graf von Moltke, der am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet wurde.
Inzwischen eilten die Kellner mit Kaffee und der beliebten Eierschecke an den Tisch der Damen. Diese wandten, innerlich seufzend, den Blick von den schneidigen Burschen in ihren gutsitzenden Uniformen vor der Wache gegenüber, auf die Gedecke am Tisch zu. Ein irrer Duft von frisch gebrühtem Kaffee ließ ihre Aufmerksamkeit der Schecke zukommen. Die sechs Hunde rochen ebenfalls die Köstlichkeiten und liefen unruhig an ihren am jeweiligen Stuhl angebundenen Leinen hin und her. Drei von ihnen melden sich mit mäßigem Gebell zu Wort.
Als Hund hat man es nicht leicht.
Schon erregte sich am Nebentisch eine Dame ob dem Gebelle.
„Können Sie ihre Köter nicht zu Hause lassen? Überall Hunde, auf der Straße, in der Bahn. Und auch hier im Café hat man keine Ruhe vor ihnen. Überall pinkeln und scheißen die rum. Sowas müsste verboten werden!“, rief sie mit zunehmend schriller Stimme zum Sechsertisch herüber.
Da kam die Dame aber an die Richtigen. Auf ihre Vierbeiner ließen sie nichts kommen. Wie eine Furie erhob sich Clara, die Älteste von ihnen und fauchte die keifende Nachbarin erbost an. „Wie können Sie zu unseren Lieblingen ‚Köter‘ sagen?“, und verfiel dann in stärkster Erregung ins feinste Sächsisch. „Sie sinn ene viehischsd ziggsche Grigge.“
Die Hunde verkrochen sich verängstigt unter den Stühlen ihrer Frauchen und der Oberkellner eilte mit dem gesamten verfügbaren Servierpersonal herbei, um eine sich anbahnende Schlacht à la Moltke zu verhindern.
Zwischen den aufgefahrenen verbalen Geschützen der beiden Tische versuchten sie die Lage zu beruhigen. Das gelang nach einiger Zeit und die Dame, die den ersten Stein warf, zahlte und verließ erhobenen Hauptes mit ihrem deppert dreinblickenden Mann das Café. Nach soviel Aufregung bestellte das Sechserkränzchen erst mal eine Runde Eierlikör. Da hatte die Jüngste von ihnen, Emma mit Namen, die Idee, sich wegen der Diskriminierung ihrer Liebsten an ihre geliebte Zeitung, die Dresdner Nachrichten, zu wenden.
Der Kampf gegen die Hundehasser
Diese Idee wurde begeistert angenommen und eine weitere Runde Eierlikör bestellt. Emma ließ sich Papier und Stift bringen, nahm die Gedanken ihrer Freundinnen auf und formulierte einen Text.
„Lieber Herr Redakteur, wir sind unserer sechs, lauter alleinstehende, weil früher leider sitzengebliebene ältere Damen mit ebenso viel Hundeln. Jede hängt an ihrem vierbeinigen Liebling – ich meine nicht etwa mit der Leine, die ja glücklicherweise jetzt zur Disposition gestellt ist, sondern mit dem Herzen. Und wenn wir zusammenkommen, nehmen ein gut Teil unserer Unterhaltung die Berichte über das Tun und Treiben unserer kleinen treuen Kameraden in Anspruch. Jede Zeitungsnotiz über die staunenswerten Leistungen unserer heutigen Polizeihunde usw. wird ausgeschnitten und in ein zu diesem Zweck von uns geführtes Album eingeklebt.“
Clara fuchtelte mit ihrer rechten Hand und versucht die Aufmerksamkeit der ganz konzentriert schreibenden Emma zu erhalten. „Mir fällt da was ein, Emma. Ich hab da vor einiger Zeit ein Gedicht über Hundehasser gelesen. Ich bekomme es aber nicht mehr zusammen. Vielleicht weiß der Redakteur Rat?“ Emma nahm die Idee auf und setzte den Brief fort.
„Das sollte auch mit einem Gedicht geschehen, das ich vor längerer Zeit einmal in einer Zeitung fand, dass den Hundefeinden gewidmet war und das ich mir damals abschrieb. Nun habe ich sozusagen schon das ganze Haus umgestürzt, aber ich finde das Gedicht leider nicht wieder, so dass ich mich in meiner Not an Sie, Herr Redakteur, wenden muss.“
Und der Herr Redakteur antwortete prompt. Erfreut präsentierte Emma ihren, die Taschentücher zückenden Freundinnen eine Woche später das Gedicht.
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„Ihr liebt die treuen Hunde nicht,
Weil eure Herzen fremd geblieben,
Was aus der Hundeseele spricht,
Und wie ein Hund vermag zu lieben.
Das Tier seht ihr im Hunde nur,
Geschaffen, willig euch zu dienen,
Euch ist der Schöpfer der Natur
In seinen Wesen nie erschienen.
Kommt nur ins Elend erst einmal,
Von allen, die ihr liebt, verlassen,
Und fühlet der Enttäuschung Qual,
Dann lernt ihr Hundetreue fassen.
Wenn ihr dann fern dem Weltgewühl
In stiller Einsamkeit begraben,
Wohltuend ist euch das Gefühl,
Doch e i n e n wahren Freund zu haben.
Wenn unsere Hände er beleckt,
Aus klugen Augen auf uns schauend,
Die Pfote uns entgegenstreckt,
Nur uns ergeben und vertrauend.
Dann regt der feste Glaube sich,
Weil uns ein Wesen treu geblieben,
Dann lernt man unerschütterlich,
den Schöpfer im Geschöpfe lieben.
Und wenn ihr das Gefühl nicht kennt,
Ich es zu sagen mich nicht scheue,
Vom Hunde, den ihr ‚Köter‘ nennt,
Lernt eine Tugend, lernt die Treue.“
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.