„Meine Freundin heißt nämlich Arndt!“, erkläre ich den neugierig über die Mauer äugenden Kindern, während meine Begleiterin für ein Foto mit einem breiten Grinsen neben dem Straßenschild posiert. Ihr Spitzname ermöglicht mir positive Gedanken in Bezug auf die Arndtstraße. Denn der Namenspatron Ernst Moritz Arndt hat so seine Abgründe, wie sich nach dem Spaziergang herausstellen soll.
Die Villen halten ihre Jugendstil-Stirnen ins weiße Sonnenlicht. Schmiedeeiserne Zäune, verwunschene Gärten, Balkons wie Urlaubsdomizile mit Hängematten und Strandkörben ausstaffiert. Am Gehweg steht eine runkelige Birke und scheint mit dürren Fingern in Richtung Waldschlößchen zu weisen. Zwischen den Pflastersteinen wächst Gras, unter betagten Buchen Moos. Eine poetische Stimmung …
„Die Deutschen sind nicht durch fremde Völker verbastardet, sie sind keine Mischlinge geworden, sie sind mehr als viele andere Völker in ihrer angeborenen Reinheit geblieben und haben sich aus dieser Reinheit ihrer Art und Natur nach den stetigen Gesetzen der Zeit langsam und still entwickeln können; die glücklichen Deutschen sind ein ursprüngliches Volk […]; jedes Volk wird nur dadurch das Beste und Edelste werden und das Beste und Edelste hervorbringen können, dass es immer das Kräftigste und Schönste seines Stammes ausliest und mit einander zeugen lässt.“
Worte des Namenspatrons Ernst Moritz Arndt, aus seinem Werk Weltgeschichte im Aufriss.
Von den Nazis als Vordenker verehrt
Ernst Moritz Arndt gilt nicht nur als Liberaler der ersten Stunde, Lyriker, Napoleon-Gegner und Freiheitskämpfer, sondern auch als ausgeprägter Feind von Jüd*innen und Französ*innen. Der sprühende Hass gegen beide Gruppen ging bei Ernst Moritz ineinander über. Eine Kostprobe: „Ein Artikel, der mehr der Ueppigkeit dient, als der Viehzucht schadet, wird jährlich in Teutschland eingeführt, nemlich Franzosen und Juden […] Ich werde mein ganzes Leben arbeiten, daß die Verachtung und der Haß auf dieses Volk die tiefsten Wurzeln schlägt.“
Von den Nationalsozialisten wurde Ernst Moritz als Vordenker verehrt und gern zitiert. Beispielsweise im Hetzfilm „Der ewige Jude“ von 1940. Eine ambivalente Persönlichkeit, die zu Kontroversen führt.
Nein, diesen Namen mag ich nicht
Weil sie sich mit den frankophoben und antisemitischen Äußerungen ihres Namenspaten nicht arrangieren wollten, haben sich eine Kirchgemeinde in Berlin-Zehlendorf und die Universität Greifswald eine Umbenennung erkämpft. In Leipzig, wo die Arndtstraße infolge einer Petition in Hannah-Arendt-Straße umbenannt werden sollte und aufgrund einer anderen Petition („Arndt bleibt Leipziger!“) nicht wird, läuft eine hitzige Debatte.
Befürworter*innen einer Umbenennung sehen die Beibehaltung des Namens als verletzend und unzeitgemäß an, Gegner*innen berufen sich auf die kritische Rezeption von Stadtgeschichte und sprechen sich gegen das Ausradieren von Geschichte aus.
„Wo kommen wir denn da hin?“-Rufe werden laut. Ich möchte antworten: Keine Ahnung, aber wenn wir nicht losgehen, finden wir es nie heraus. Vielleicht ist es eine Zukunft, in der Menschen auf Straßen herumtrampeln und nicht Straßen auf Menschen.
Das gäbe ein dickes Like von Hildmann
Ein weiteres Argument lautet, Ernst Moritz sei eben ein Kind seiner Zeit gewesen, da gehörte Antisemitismus nun einmal zum guten Ton. Ziemlich mau. Dass es 100 Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten schon trendy war, Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens abzuwerten, macht die Sache ja nicht besser.
Kritische Auseinandersetzung braucht Hinweise
In den einleitenden Worten zu Ernst Moritz bei Wikipedia heißt es: „Inwieweit seine Äußerungen zum Judentum als antisemitisch zu bewerten sind, ist umstritten.“ In einem folgenden Absatz werden seine Hetzsprüche zitiert:
„Das lange ‚unstäte Daseyn‘ hätte aus ihnen ‚das Gemeine, Kleinliche, Feige und Geitzige hervorgelockt‘, sie seien ‚jeder schweren Mühe und jeder harten Arbeit ungeduldig‘ und würden daher nach jedem ‚leichten und flüchtigen Gewinn‘ streben. Forderungen nach Dialog, Humanität und Toleranz gegenüber Juden bezeichnete Arndt als ‚Allerweltsphilosophie und Allerweltliebe‘, die Zeichen von ‚Schwächlichkeit und Jämmerlichkeit‘ seien.“
Hinzu kommt das altbekannte Geschwafel von der Weltverschwörung. Das gäbe ein dickes Like von Attila Hildmann! Ein Kind seiner Zeit …
An der Arndtstraße in Leipzig soll ein erklärendes Hinweisschild angebracht werden. Ein guter Impuls für die Dresdner Edition: „Ernst Moritz Arndt. Geboren 1769 in Groß Schoritz, gestorben 1860 in Bonn. Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung, nationalistisch-demokratischer Schriftsteller, Gegner der Leibeigenschaft, Antisemit und Franzosenhasser.“
DDR: Ernst Moritz durfte bleiben
Im Zuge der großen Straßenumbenennung 1946 wurde Karl Wilhelm- zu Arno Holz-, Dr. Todt- zu Hansa-, Düppel- zu Archivstraße. Hitler, Hausen, Craushaar und Gustloff mussten weichen. Barbarossa, Bismarck, Hindenburg, Clausewitz („Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“), wurden getilgt. Ernst Moritz durfte bleiben.
Der Trump des frühen Nationalismus
Als „Kämpfer gegen den Feudalismus“ wurde er in der DDR aufgesockelt und als Medaille an Kulturschaffende verliehen. Der Bund der Vertriebenen vergibt ihn regelmäßig als Plakette, als Asteroid wandert er seit 2001 durch’s All. Seine Ambivalenz macht es möglich.
Ernst Moritz war ein Mann, denn man gleich in zwei Diktaturen vor den Karren spannen konnte. Oder wie es der Historiker Niels Hegewisch in einem NDR-Interview formuliert: „Wenn man es überspitzt ausdrücken möchte, ist Arndt der Donald Trump des deutschen frühen Nationalismus gewesen. Er hat lange gelebt und viel gesagt – und jeder kann sich bei ihm herauspicken, was ihm passt.“
Mir ist das Picken gehörig vergangen. Mich würgt es im Kröpfchen und ich habe einen Entschluss gefasst: Bis die Debatte an dieser Stelle in Gang kommt, werde ich eigenständig handeln. Es ist mir egal, wie viele feurige Sätze Ernst Moritz zur Freiheit formuliert hat, wenn diese an den Grenzen des „teutschen Vaterlandes“ endete.
Für meine Umbenennung brauche ich nicht einmal ein neues Schild. Feierlich streiche ich den Ernst Moritz und widme die Arndtstraße meiner weltoffenen, menschenfreundlichen und vielseitig bewanderten Freundin Arndt in Leipzig. Die Arndtstraße zu Dresden soll mir im Gedächtnis bleiben als eine aus guten Gründen umbenannte.
Hallo Philine, auf der Arndtstrasse hättest Du auch einem freundlicheren Mann gedenken können: Ludwig Renn (gebürtiger Arnold Vieth von Golßenau). Sein wichtigster Roman, Adel im Untergang“ spielt vorwiegend in Dresden (mit Hínweisen auf die Neustadt).
Google mal- ein interessantes Leben.
Vom adligen Fähnrich; durch den WK I; als Polizeiführer in Dresden weigerte er sich auf Arbeiter zu schießen; zum Spanienkämpfer auf Seiten der Republikaner, von den Nazis verfolgt, Flucht , Schweiz/ Mexiko, nach 45 in die SBZ/DDR. Und, und, und…
Zum Glück ist die Karl-Marx-Straße etwas nördlicher in Klotzsche.
Ein paar Beispiele Marx’schen Äußerungen gefällig?
„Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“
(aus:“Zur Judenfrage“)
Und im „Kapital“ schrieb er, dass Waren „in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittene Juden sind, und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen“.
Da fällt es fast nicht mehr ist Gewicht, dass er den Arbeiterführer Ferdinand Lassalle, den er kurz zuvor erfolgreich um Geld angebettelt hatte, als „jüdischen Nigger Lassalle“ bezeichnete.
Also was nun?
Arndt gemeinsam mit Marx auf den Scheiterhaufen?
Oder einfach mit der eigenen Geschichte leben lernen?
Was Maschinen- und Bilderstürmerei oder gar eine Kulturrevolution bewirken, kann man aus der Geschichte lernen.
Wenn man sie nicht abschaffen will.
Oder einfach einen Beitrag schreiben, der Geschichte in Erinnerung ruft? So wie das hier Philine getan hat.
@Anton
Philine hat einen Beitrag geschrieben, der nach journalistischen Kriterien ziemlich klar unter „Meinung“ fällt.
Ich finde diese Meinung sehr deutlich; eine Antwort wie von Timur stellt das jetzt nur in einen historischen Zusammenhang.
Die zur Zeit weitverbreitete Angewohnheit, alle Geschehnisse oder Handlungen der Vergangenheit nach heutigen moralischen Maßstäben zu messen, ist bestenfalls wohlfeil, schlechterdings führt es wegen genereller Verdammung aller menschlicher Geschichte – wozu man bei konsequenter Anwendung unserer heutigen moralischen Maßstäbe der westlichen materiellen Überflussgesellschaft landen muss – und damit letztlich zur Geschichtsvergessenheit.
Unter der Rubrik „Geschichte in Erinnerung rufen“ läuft der Beitrag erst mit den darunter stehenden Kommentaren.
Kommentar entfert. Bitte unterlassen Sie Beleidigungen.
Bewusste Beschäftigung mit Geschichte schließt imho Auseinandersetzung mit solch ambivalenten Persönlichkeiten mit ein. Also gern erläutern Tafeln, aber keine mechanische Umbenennung! Wo wir grad bei Geschichtsbewusstsein sind: DDR und Nazideutschland auf eine Stufe zu stellen mit dem Schlagwort der zwei Diktaturen mag dem von der Totalitarismusdoktrin geprägten Geschichtsbild entsprechen, hat mit historischem Bewusstsein aber nichts zu tun!
Was Bilderstürmerei angeht, hat sich die bürgerliche Politik nach 1989 ja nun weiß Gott mehr als hervorgetan: nach Antifaschisten benannte Straßen wurden zu hunderten umbenannt, der Platz der Befreiung darf nicht mehr an die Befreiung vom Faschismus erinnern, die Gagarinstraße nicht an den ersten Menschen im Weltall, usw usf. Aktuell wird die Benennung der neuen Hallenser Sternwarte nach Sigmund Jähn abgelehnt…
Das hier ein aus dem Zusammenhang gerissene Zitate von Marx vorgebracht werden, ist natürlich kar, ebenso, dass der Inhalt der „Judenfrage“ wahrscheinlich völlig unbekannt ist.
Worte aus ihrem Kontext u reißen, kann nur schiefgehen und schließlich heißt es nicht umsonst: an ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Liebe Philine,
beschäftige dich einfach mal mit der Politik Frankreichs gegenüber Deutschland bzw. dem HRRDN vom 15. bis frühen 19. Jahrhundert.
Dann dürfte dir auch klar sein, warum die Franzosen unter Arndt und Zeitgenossen ähnlich beliebt waren wie Fußpilz.