Auf dem Rad geht es ins Industriegelände. Rot leuchtend heben sich die Backsteine des „Objekt klein a“ (OKA) vom tiefblauen Märzhimmel ab.
Hannah und Nats beide schon lange beim Palais Palett e.V. dabei, schlendern gerade am Zaun entlang. Sie führen über den Hof, routiniert sperren sie die unscheinbare Holztür auf und der Eingangsbereich des OKA empfängt seine Gäste.
Dem pandemiebedingt an neuen Reizen ausgehungerten Betrachter zeigt sich hier ein Anblick irgendwo zwischen Baustelle, Kunstausstellung, und dem Bauwagen von Pettersson und Findus: Kisten, Kinosessel, Dosen, Besen, Kübel, Graffitis, eine Diskokugel, Holzbänke und Kunstgebilde, man merkt sofort: hier steckt viel Herzblut drin.
Die Renovierungsarbeiten, die gerade stattfinden geben dem ganzen noch eine herrlich aufgewühlte und dynamische Stimmung, es entsteht etwas.
Allein vorm Laptop anstatt zusammen in der Sonne: Vereinsarbeit während Corona
Im Schneidersitz, mit Abstand, auf dem sonnenbeschienenen Parkett sitzend, erzählen Hannah und Nats vom Vereinsleben. Jeder und jede kann frei wählen, worauf man gerade Lust hat, was man gut kann oder wo man noch etwas dazulernen möchte. Allein die beiden haben von Newsletter, Vertrauensrat, Vorstandsvorsitz, Strukturarbeit über Veranstaltungsorganisation ein weites Spektrum an Aufgaben übernommen.
Nach ihrem Umzug aus der Großenhainer Straße stehen die „Palettis“ seit 2016 in Kooperation mit dem OKA. „In Dresden ist die Kultur- und Kollektivszene sehr vernetzt und arbeitet gut zusammen“ weiß Hannah.
Teammeetings sind mindestens einmal die Woche, Vereins- und Konzeptarbeit spielen eine große Rolle, die Plenumskultur ist wichtig. Das alles ins Digitale zu übersetzen war kaum möglich, „da hat richtig was gefehlt, die Gruppendynamik ist komplizierter geworden“ gibt Nats zu, „diese Leichtigkeit geht halt verloren“.
Dazu kommt die erschwerte Planbarkeit, es sei schwer „immer diese Energie reinzustecken, trotz dieses Vielleicht-Zustands“ wirft Hannah ein. Gleichzeitig sah sich der Verein plötzlich ungekannt scharfen Sachzwängen gegenübergestellt. „Plötzlich fallen alle Veranstaltungen weg und du hast keine Sicherheiten mehr“.
Auf die Frage, was der Verein für sie bedeute, meint Hannah: „an sich ist das Palais für uns auch einfach eine Familie“ für sie steht im Vordergrund mit diesen Leuten, zusammen etwas zu erschaffen, das auch für andere Menschen etwas ist, was man genießen kann. Nats fügt an, dass man aufgrund der Verwandelbarkeit des Raums hier das Gefühl hat „so unglaublich viel ermöglichen zu können“.
Kreativität aus der Not geboren: Was möglich war
Getreu dem evolutionären Prozess „pass dich an oder stirb“, setzte die Krise auch viel Kreativität frei. Nur durch den großen Einsatz von Vereinsmitglieder bezüglich Fördergelder, hygienekonformen Veranstaltungskonzepten und Vielem mehr, wurde die potenziell prekäre Situation zumindest ein Stück weit eingefangen.
Dennoch, im Jahresrückblick sagt Nats etwas belegt: „Wir hatten ne wahnsinnige Saison vor uns und mussten die dann absagen“. Vieles war schlicht nicht möglich, doch das, was möglich war, war dann doch so einiges. Unter anderem die Political Art Days und das Illustratoren-Festival MalJam Jumble konnten stattfinden.
Dazu haben die Palettis und das OKA einen Biergarten auf der Palais-Fläche eröffnet. Ein offener Raum, der in den sonst von durchgeplanten Konzepten geprägten Veranstaltungen so wohl nicht entstanden wäre. Dieser Treffpunkt soll auch in diesem Sommer erhalten bleiben.
Im Spätsommer gab es dann doch noch Tanz, auf Turnmatten. Pro Matte ein Haushalt, jeweils mit 1,5 Metern Abstand und im Freien. Und siehe da: Tanzen war wieder möglich.
Die Leute während dieser Veranstaltungen haben sich feinfühlig und umsichtig umeinander gekümmert, da allen bewusst war, dass das nur klappen kann, wenn wirklich jeder und jede die Hygienemaßnahmen mitträgt.
Ein herrliches Beispiel für verantwortliches Feiern. „Einmal hat‘s richtig, richtig doll geregnet und die Leute sind trotzdem dageblieben, weil einfach so eine Tanzwut da war“ frohlockt Hannah.
Renovierungsarbeiten: Palais Parkett
Die ganze Tanzwut und der Biergartengenuss war wohl zu viel für den Holzboden. Dieser war – wie das meiste hier – aus den namensgebenden Paletten gezimmert. Am Ende der Saison war dann auch der Boden am Ende. Da musste etwas gemacht werden, wo doch der Außenbereich die Möglichkeit ist, auch während der Pandemie etwas auf die Beine zu stellen.
Die anteilig durch Crowdfunding und die Kreativraumförderung des Amts für Wirtschaftsförderung finanzierten Renovierungsarbeiten werden mit viel Eigenenergie gestemmt. Da hygienebedingt immer nur einzelne Menschen oder eben WGs daran arbeiten können „ist es unglaublich einfach wie viel wir dann doch geschafft haben in der Zeit“ sagt Nats nicht ohne Stolz.
„Der Boden ist jetzt unsere Evolution zum Palais Parkett“ wirft Hannah scherzhaft ein, „Bauen war auch einfach ein wichtiger Ausgleich zum Alltag am PC, dann war das hier auch einfach Seelenpflege. Man sieht hier, wie was entsteht so ganz konkret“.
Und in der Saison 2021?
Auf die Frage was für den Sommer 2021 denn geplant sei macht sich kurz vorsichtiges Schweigen breit. Der Biergarten, die Veranstaltungen die 2020 umsetzbar waren sollen, falls irgend möglich, weitergeführt werden. Außerdem sind Veranstaltungen wie Opern-Air Theater, Vorträge, Lesungen, Ausstellungen angedacht, bei denen die Leute Abstandsregeln einhalten können.
Das alles ist „natürlich mit größter Vorsicht“ zu genießen. Hier merkt man noch die Verunsicherung des letzten Sommers.
„Das wir eher eine sehr gemütliche und weniger feierwütige Saison“ meint Nats, „Palais Parkett – Mehr Ordnung und weniger Durcheinander“, wirft Hannah ein. Sie nehmen‘s mit Humor, wie auch sonst?
Alte Herausforderungen unter dem Corona-Brennglas
Dabei kommt hinzu, dass es vor Corona ja schon nicht an Herausforderungen im Bereich Clubkultur mangelte. „Clubschließungen, ja davon sind wir nicht ausgenommen, das ist immer ein Kampf, auch, dass Kultureinrichtungen wie diese, die jetzt nicht Hochkultur sind, die richtige Anerkennung bekommen und auch gefördert werden“ meint Nats.
Die Pandemie wirkt wie ein Brennglas auf bekannte Probleme. Sie fügt hinzu: „Ich hab das Gefühl, dass zumindest mehr darüber geredet wird, dass solche Räume wichtig sind in der öffentlichen Wahrnehmung, aber was das dann für Früchte trägt, das muss man sehen“.
Auch in Dresden mussten viele Clubs schließen, weil die Förderung oder schlicht die Interessenvertretung fehlte. Auch deswegen haben sich die sächsischen Clubs und Livemusikspielstätten Anfang diesen Jahres mit LISA – die Live-Initiative Sachsen – nun zu einer landesweiten Interessenvertretung zusammengeschlossen.
Abschließend sagt Hannah mit Blick auf den Sommer: „Wir freuen uns auf jeden Fall hier eine Matte zu betanzen, dass hier einfach ein Ort der Lebendigkeit sein kann, und des Treffens und des Austauschs. Dass ist das, was ich mir total wünsche.“
Beim Abschied kommt Sehnsucht auf, nach Tanz, nach Sommer und Freiraum. Ob das gelingt steht in den Sternen, doch die Palettis machen’s vor: Versuchen das Beste draus zu machen, und es wird Gutes entstehen.
„Vereinsmitglieder*innen“
Unglaublich.
Vielen Dank für den Hinweis. Ist korrigiert.
Von wegen korrigiert, das ich nicht lache, bitte nachbessern