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Nichts geht verloren

Das Wesen des Ossis ist der Französin ein Rätsel. Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles
Das Wesen des Ossis ist der Französin ein Rätsel. Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles

DDR-Spuren

Wenn deutsche Freunde über die DDR-Zeiten oder den Mauerfall sprechen, klingen sie für mich teilweise wie Opis, die sich an den Zweiten Weltkrieg erinnern. Das Gleiche gilt für die wenigen alten schwarz-weiß Fotos aus der Kindheit meines Mannes. Ich fühle mich jedes Mal in eine andere Zeit versetzt, als wären wir in zwei unterschiedlichen Epochen groß gewachsen („Was meinst du damit, du hattest kein Telefon zu Hause?!?“) oder als gehörten wir nicht zu der gleichen Generation.

Kein Wunder, denn wie viele junge Franzosen kannte ich der Mauerfall ausschließlich aus meinen Schulbüchern: Der eiserne Vorhang war für mich bloß eine punktierte Linie, die ich fürs Abi auf einer leere Deutschlandkarte ungefähr zeichnen musste. Trotzdem bin ich mit der Vorstellung eines vereinten Nachbarlandes aufgewachsen, welche die vierzig Jahren Teilung völlig übersah.

Dass Deutschland mal geteilt war, wurde mir erst richtig klar, als ich dann in Dresden lebte:

Erstmal durch die vielen Erzählungen meiner ost- und westdeutschen Freunde, inklusive nostalgischer Erinnerung an ihre Westpakete sowie die wiederkehrenden Ost-West Witze, die ich zuerst gar nicht verstand.

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Dann auch durch die tiefverwurzelten Reste der DDR-Überlebenswirtschaft, die mich zur lokalen Kunst des Stöberns und Wiederverwertens zwang. Die nachhaltige und alternative Konsumart, die in meinem Viertel herrscht, gefiel mir sofort, aber trotzdem hatte ich erstmal ganz schön viel zu lernen.

Das ging schon los, als ich in meine erste WG einzog und mein Zimmer einrichten musste. Zu Ikea fahren, wie ich spontan gedacht hatte, kam nicht in Frage: Das hätten mir meine Dresdner Freunde nie verziehen. Denn hier kauft man lieber gebraucht und billig. Na gut! So entdeckte ich die lebhafte Secondhand-Seite der Neustadt, mit den (damals noch) zahlreichen Trödelmärkten und -höfen, Möbelscheunen, Antiquitäts- oder Umsonst Läden. Ach, war sie schön, die Zeit, als es Achims Trödelhof noch gab.

Ich verliebte mich auch sofort in den traditionellen Elbflohmarkt, wo viele Dresdener am Sonnabend gerne schlendern. Und so vergaß ich Ikea ganz schnell.

Kleinanzeigen

Zuerst musste ich ein Bett finden und machte mir auf die Suche über Kleinanzeigen. Nur erlaubten mir meine mageren Deutschkenntnisse damals nicht, die in den Kleinanzeigen angegebenen Details zu verstehen. Ich musste mir vielleicht zehn Betten angucken: aus wertvollem Ebenholz, mit Vordach, ein Kinderbett, eine Schlafcouch, ein Bettrahmen, eine Matratze ohne Lattenrost, usw. bevor ich endlich das passende für mich fand.

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Ich war auch sehr überrascht, als ich mein Bett bei einer offenbar sehr wohlhabenden Familie abholte. Sie lebte in einer gigantischen Villa auf den Höhen von Dresden, mit Tennisplätzen im Garten und einem atemberaubenden Blick auf die Elbe. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass selbst die Reichsten bei dieser Secondhand-Wirtschaft mitmachen.

Inzwischen kenne ich mich mit Kleinanzeigen besser aus und schätze sehr diese private, solidarische und freundliche Art, Sachen auszutauschen, die hier so wahnsinnig verbreitet ist. So konnten wir zum Beispiel eine gebrauchte Waschmaschine mit einem Glas Nutella (!) kaufen, oder unser altes Sofa gegen eine Flasche Rotwein eintauschen. Über solche lustigen Transaktionen, die ich in Frankreich nie erlebt hatte, staune und freue ich mich immer wieder.

EBK?

Eines Tages traf ich mich mit einer deutschen Freundin, die gerade frisch verliebt und zum ersten Mal bei ihrem Freund gewesen war. Sie wirkte enttäuscht und ich fragte sie, was sie bekümmerte. Hatte sie keinen schönen Abend bei ihm verbracht? Hatten sie sich getrennt?

„Na ja. Er hat eine Einbauküche“ sagte sie mir, als wäre es der oberste Minuspunkt ihrer Beziehung.

Den Begriff „Einbauküche“ kannte ich noch nicht. Ich kannte nur französische Küchen, die eben alle Einbauküchen sind. Mit der Zeit entdeckte ich aber, dass Einbauküchen hier als neu, modern und ungemütlich gelten: ein wahrhafter Geschmacksfehler im Kreis der jungen Dresdner Generation.

Am schönsten heißt es: Ein paar Bretter, hängendes Besteck an einem lang gezogenen Draht, und selbst genähte Vorhänge vor den Regalen oder Mülleimern. So sah auch bald meine Küche aus, als ich später mit meinem Freund zusammenzog. Lange machte ich mich über ihn und seine vielen Holzbretter lustig, die er lange polieren und lackieren musste, dann überall an die Wände unserer Wohnung und unserer Küche anbrachte. Am Ende musste ich aber zugeben, dass es nichts Gemütlicheres gibt, als einfache selbst gebaute Regale, die man selber gestaltet: Die lokale Verachtung für „EBK“ hatte mich angesteckt.

EuroShop

Für die praktischen Haushaltsgegenstände, die keine gründliche Suche wert sind (Zitronenpresse, Tortenheber …), findet man hier ein unglaubliches Angebot an Billig-Geschäften, ähnlich dem 1-EuroShop (in Frankreich ist der Laden doppelt so teuer und heißt deshalb „Alles für ZWEI Euro“!). Zur großen Freude der Franzosen! Es gibt tatsächlich keinen Besuch unserer französischen Mütter ohne den Pflichtausflug bei MacGeiz, Pfennigpfeiffer, TEDi, NKD, usw.: Dresden verlassen sie nur mit Koffern voller Dekorationen und sonstigem Krimskrams für sich und ihre Freundinnen, die sie dort gefunden haben.

Zum Mitnehmen

Außerdem gibt es die nette „Selbstbedienung“ in den Hauseingängen der Neustadt: Nach einem Umzug oder einfach so, wenn gerade zu Hause aufgeräumt wurde, stellen die Bewohner die überflüssigen, aber dennoch nützlichen Gegenstände in einem „Zum Mitnehmen“-markierten Karton vor ihrer Haustür. Man kann sicher sein, dass alle aussortierten Sachen in kurzer Zeit einen neuen Besitzer gefunden haben.

Na gut, inzwischen findet man auch ganz schön viel Müll. Aber trotzdem: Wie viele geile Sachen ich einfach so nach Hause mitnehmen durfte.

Für das Wort „günstig“ gibt es auf Französisch keine Übersetzung. Und wie denn auch? Man kauft in Frankreich gerne neu, und sowieso ist dort alles viel teurer.

Deswegen fühlte ich mich am Anfang in diesem Paradies des „Günstigen“ wie Aladdin in der Wunderhöhle. Ich war damals noch etwas materialistisch (ich kam ja aus dem Westen) und beeindruckt von der Menge an billigen Objekten, die vor mir an jeder Straßenecke lagen. Es gab keinen Spaziergang in der Stadt oder Flohmarkt, nach welchem ich nicht mit diesem oder jedem Gegenstand nach Hause kam.

Und jedes Mal, wenn ich stolz all meine Schätze meinem deutschen Freund zeigte, bekam ich die gleiche Antwort: „Du hättest es mindestens um einen Euro runterhandeln können“, oder „Du hättest woanders was Besseres finden können … “. Das war aber so günstig!

Erst mit der Zeit wurde mir klar, dass die richtige Kunst des Stöberns nicht darin liegt, all die schönen und billigen Dinge, die im Weg stehen, mitzunehmen oder zu kaufen. Sondern nur die besten und nur die, die man wirklich braucht. Schade, mir gefiel dieses fast kostenlose Shopping doch zu gut.

Geschenkpapier

„Nichts geht verloren, alles verwandelt sich“ ist ein berühmtes Zitat des Chemikers Antoine Lavoisier. Mir kam dieser Spruch aus der Schulzeit zurück in Erinnerung, als ich beobachtete, wie hier gerne alles Mögliche wiederverwertet wird. Sogar Geschenkpapier.

So kommt es zu Weihnachten und an Geburtstagen oft nicht in Frage, sich einfach so auf die Geschenke zu stürzen und das Papier ungeduldig und vor lauter Glück in einem erfreulichen Kriiiiiik zu zerreißen. Nein, nein. Man soll die wiederverwendbare Verpackung vorsichtig entfernen und danach zusammenfalten. Aus ökologischer Sicht bin ich damit natürlich völlig einverstanden. Aber man muss doch zugeben, dass es die Freude des Geschenke Auspackens schon ein bisschen verdirbt, oder?

Ostdeutsches Frauen-Kit

Noch zum Thema Recycling: Auch ist jede Feier eine Gelegenheit für meine Schwiegereltern, mein „Set der perfekten Ostdeutschen Frau“ wie ich es gerne nenne, zu erweitern. Da es hier also üblich ist, kaputte Gegenstände (Kaffeemaschine, Regenschirm, Kleidung, alles!) zu reparieren, flicken oder recyclen, habe ich dank meiner Schwiegereltern bereits: eine Nähmaschine, Nähzeug, verschiedene Handbücher für diverse Handarbeit, eine Klebepistole und vieles mehr… Wenn sie wüssten, wie ungeschickt ich mit so etwas bin.

Sparfuchs

Man hört oft im Ausland, die Deutschen wären geizig. Die übliche Frage „Zusammen oder getrennt?“ bei der Bezahlung der Rechnung (jeder für sich) im Restaurant lässt auch keine spontane Großzügigkeit vermuten… Aber ich würde eher sagen, dass sie sparsam sind. So lachen wir oft unter Franzosen über unsere deutschen Bekannten, die gerne Rabattcoupons sammeln (sogar die fünfzig Cent-Bons für die Toilette an Autobahnraststätten), alle möglichen Versicherungen abschließen und so gerne einen Steuerberater einstellen (um mich herum sind die einzigen Menschen, die ihre Steuererklärung selbst ausfüllen, Ausländer).

Manchmal finde ich diese ewigen Berechnungen und Voraussicht schon ein bisschen übertrieben. Zum Beispiel entdeckte ich eines Tages, dass mein Mann wirklich ALLE seine Quittungen aufbewahrt. Einmal zu Weihnachten ging die Halterung für den Weihnachtsbaum kaputt: Ihr wisst schon, dieses deutsche Wunderwerk der Technik, welches sich innerhalb weniger Sekunden um den Stamm klappt. „Kein Problem“, sagte mein Mann, holte die fünf Jahre alte Quittung sofort hervor und verkündete: „Ich bringe es zum Eisenfeustel zurück“. Eine Stunde später kam er triumphierend mit der reparierten Halterung zurück: Wir hatten 29,90 Euro gespart. Aber so richtig wusste ich nicht, ob ich mich freuen sollte.

Die Französin Peps in Dresden - Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles
Die Französin Peps in Dresden – Zeichnung: Jean-Pierre Deruelles

Ein Gastbeitrag von Peps, der Französin in der Neustadt. Aus der Reihe „C’est la vie! – Chroniken einer Französin in der Neustadt“. Illustrationen: Jean-Pierre Deruelles. Fortsetzung folgt.

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