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Die Weintraubenstraße

Wer bei dem Namen an einen idyllischen Weinberg in Italien oder alte Häuser, an denen Weinreben emporklettern, denkt, wird von den unspektakulären Miethäusern enttäuscht sein. Anfangs noch als Seilergässchen bezeichnet, da hier lange Seile angefertigt wurden, geht der irreführende Name der Straße auf den inzwischen nicht mehr existierenden Gasthof „Zur Blauen Weintraube“ zurück.

Blick in die Weintraubenstraße, Foto: L. Ludwig
Blick in die Weintraubenstraße, Foto: L. Ludwig

Nebenstraße zur Elbe

Von der Bautzner Straße aus dem Norden kommend, wirkt sie auf den ersten Blick recht unscheinbar und auf dem vierminütigen Spaziergang Richtung Elbe wird schnell klar, dass es sich hier um eine Nebenstraße handelt. Nichtsdestotrotz ist für einen Montagmorgen relativ viel los und während mich auf meinem Spaziergang derselbe Jogger gleich zweimal überholt, kommen mir zahlreiche Passanten mit Hunden, sowie Mütter mit Kinderwagen entgegen – das ist wohl der Flussnähe geschuldet.

Außerdem scheint die Weintraubenstraße ein sicherer Ort zu sein, da ein sorgloser Bürger sein Fahrrad zwar abgeschlossen, es allerdings so hingestellt hat, dass es einfach weggetragen werden kann. Vielleicht hat ihn auch das leere Fahrradschloss am Laternenpfahl ein paar Meter weiter abgeschreckt und seine Variante ist ausreichend, um in der gegenüberliegenden Volksbank kurz Geld abzuheben.

Das Straßenbild wird von Graffiti-Schriftzügen bestimmt, bei denen sich die Künstler*innen oder Schmierfinken, je nach Ansicht, etwas mehr Mühe hätten geben können. Doch wer weiß, vielleicht mussten die Sprayer*innen vor der Polizei Reißaus nehmen und die vielen unfertigen Striche auf den Hauswänden stellen eigentlich eine Kritik an der Gesellschaft dar.

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Aber so kommt ein bisschen Großstadtfeeling auf und die kleine Weintraubenstraße könnte sich auch in Berlin-Kreuzberg befinden.

Lauchs: Dresdner Sprayer, an deren Namen andere manchmal ein „uppe“ hängen, Foto: L. Ludwig
Lauchs: Dresdner Sprayer, an deren Namen manchmal ein „uppe“ angehängt wird. Foto: L. Ludwig

Plötzlich fallen ein paar gesprühte Schmetterlinge auf, welche die unrealistische Hoffnung schüren, dass die wahllosen Graffiti bald aufhören. Von den beschmierten Hauswänden wandert mein Blick nach unten und ich sehe auf Hundeaugenhöhe ein kritisches Bild, auf dem sich ein Astronaut fragt, warum wir den Klimawandel nicht aufgehalten haben. Ich hingegen grüble, wieso der Künstler das Bild nicht höher angebracht hat, um damit Menschen statt Hunde zu erreichen.

Die Fridays-for-Future Bewegung wäre stolz auf diesen Künstler, Foto: L. Ludwig

Ein paar Meter weiter wurden in eine Hauswand seltsamerweise einige Knöpfe eingelassen und der innere Kampf beginnt: „Drücken oder nicht drücken?“ Um nicht zu riskieren, dass das Haus abbrennt oder die komplette Weintraubenstraße ohne Strom dasteht, beschließe ich die Knöpfe zu ignorieren und stattdessen die Aufkleber an der nächsten Laterne zu betrachten.

Was diese Knöpfe wohl bedeuten? Foto: L. Ludwig
Was diese Knöpfe wohl bedeuten? Foto: L. Ludwig

Auf den Stickern machen der Kickerinnen-Cup und das Jugendparlament auf sich aufmerksam und so werden immerhin der Frauensport, in einer Männerdomäne und die Jugendbeteiligung in der Weintraubenstraße großgeschrieben. An der Ecke zur Tieckstraße befindet sich mit dem „Big Moon Asia“ das einzige Restaurant der Straße. Das beworbene All-you-can-eat Buffett klingt verlockend.

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Asiatisches Restaurant, Foto: L. Ludwig
Asiatisches Restaurant, Foto: L. Ludwig

Ein Blick in die angrenzende Tieckstraße bestätigt, dass die Weintraubenstraße architektonisch an die dort stehenden Gründerzeithäuser mit ihren Giebeldächern nicht herankommt. Wie um das noch zu unterstreichen macht die hiesige Wohnungsgenossenschaft vor ihren Häuserblöcken in der Weintraubenstraße Werbung für Wohnungen in anderen Stadtteilen.

Miethäuser dominieren das Straßenbild der Weintraubenstraße, Foto: L. Ludwig
Miethäuser dominieren das Straßenbild der Weintraubenstraße, Foto: L. Ludwig

Aus Seilergäßchen wurde Weintraubenstraße

Kurz vor der Kreuzung mit der Melanchthonstraße weist die Landeshauptstadt darauf hin, dass sie das Berufsschulzentrum für Wirtschaft sanieren und erweitern will; dieses steht in der Tieckstraße und ist schon fast fertig. Auf der Weintraubenstraße ist aber gerade Baustellenruhe. Auf dem kleinen Parkplatz neben der Baustelle stehen ein paar größere Bäume, der Hauch von Natur könnte an einen Weinberg erinnern. Der Grund für den süßen Namen der Straße ist ein neustadttypischer. Denn an der Ecke zur Bautzner residierte einst eine Schankstube mit dem Namen „Zur Blauen Weintraube“, der Wirt hatte offenbar Einfluss und erreichte, dass das Seilergäßchen in Weintraubengäßchen umbenannt wurde, seit 1874 heißt sie nun Weintraubenstraße. Das einzige Haus in der Straße, dass aus dieser Zeit stammt, ist die Nummer 19, zwischen Asia-Moon und Neubauten.

Ich geh weiter, plötzlich wird der Weg von mehreren Schülergruppen versperrt und vor mir taucht das architektonische Highlight der Straße auf. Das alte grüne Schulgebäude mit seinen goldenen Ornamenten beherbergt das Romain-Roland-Gymnasium.

Das Romain-Roland-Gymnasium, Foto: L. Ludwig
Das Romain-Roland-Gymnasium, Foto: L. Ludwig

Schön ist sie, diese Schule an der Elbe – zumindest ein Gebäude. Die Neu- und Anbauten strahlen nicht wirklich Gemütlichkeit aus, beherbergen jedoch die große, tiefergelegte Sporthalle und die Mensa des Gymnasiums. Jetzt ergibt auch der einsame Sportbeutel vor der Volksbank einen Sinn, den wahrscheinlich ein Schüler verloren hat.

Wir haben das Ende der Weintraubenstraße erreicht und von hier aus gelangt man direkt in den Rosengarten und an die Elbe. Bevor ich meinen Rückweg am Fluss entlang antrete, entdecke ich drei Vespas und stelle mir kurz vor wie schön es jetzt wäre bei 25 Grad in einem italienischen Weinberg zu sitzen.

Die Weintraubenstraße

Straßen und Plätze im Ortsamtsbereich Neustadt

6 Kommentare

  1. Die Knöpfe sind wohl einer (nicht mehr existierenden) Hebe- bzw. Absenkvorrichtung in einen Keller vom Gehweg aus zuzuordnen.
    Bestimmt gab es an dieser Stelle früher ein Kleingewerbe oder ein Gasthaus, welches im Keller Bierfässer lagerte.

  2. Die Knöpfe gehören zum Big Moon und damit können sie ihre Vorräte runter in den Keller bringen. Die funktionieren noch.

    Ich wohne auf der Weintraubenstr. und die Straße als Kreuzbergähnlich zu bezeichnen… ich weiß ja nicht…

Kommentare sind geschlossen.