Ein Gespräch im Hause Kügelgen mit dem anwesenden Herrn Schopenhauer
„Kommen Sie, Monsieur, gehen wir runter auf die Hauptstraße. Die Maiensonne lädt uns ein, das neue Wollen der Natur zu betrachten.“ Dora Stock henkelte sich bei dem unschlüssig dastehenden Arthur Schopenhauer ein. Auf Einladung seines Vermieters, des Philosophen Karl Christian Friedrich Krause, ging er erstmals zu einer Soiree, zu der die Kügelgens wöchentlich in ihr Stadthaus auf der Hauptstraße in der Neustadt, Dresdens guter Stube, wie man so sagte, einluden.
Umzug in die gute Stube Dresdens
Krauses Haus stand quasi um die Ecke, in der Großen Meißnischen Gasse 35. Erst seit Anfang Mai 1814 wohnte der 27-jährige Schopenhauer dort. Zuvor hatte er fast einen Monat an der Frauenkirche in einer kleinen Kammer zur Miete logiert. Der Umzug hatte vor allem praktische Gründe. Täglich führten ihn seine Studien in die Königliche Bibliothek, die sich im Japanischen Palais befand. Den Weg über die Elbbrücke bei Wind und Wetter fand er unbequem.
Da kam ihm das Angebot von Krause, den er bei seinen abendlichen Aufenthalten im Italienerladen, dem Gasthof Chiappone in der Schlossstraße, drüben in der Altstadt, kennenlernte. Das Chiappone war der angesagte Treffpunkt der Dresdener Intellektuellen und solcher, die sich dafürhielten. Es war die freie Enklave der dichterischen Unabhängigkeit in der sonst erzkonservativen Residenz, wie Tieck, Weber und Friedrich Kind meinten und deren Sprachrohr die Dresdner Abendzeitung war. Auch in diesen Zeiten der russischen Besatzung.
Und Krauses Etablissement lag gegenüber dem Japanischen Palais. Dort, in der Königlichen Bibliothek, fand Schopenhauer die Objekte seiner gegenwärtigen Studien. Bücher, die sich vor allem im dortigen Indien-Schrank befanden. Intensiv befasste er sich mit den Lehren Buddhas und denen der anderen Religionen Indiens.
Dora Stock und die Körners
„Und kommen Sie mit Krause klar?“ Dabei schaute Dorothea Stock, genannt Dora, den unsicher wirkenden Schopenhauer voll ins Gesicht. Arthur hat erst vor Wochen im Streit seine ihn begluckende Mutter in Weimar verlassen. Und die unglückliche Liebe zur elf Jahre älteren Mätresse des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, der Schauspielerin und Sängerin Caroline Jagemann, steckte auch noch in seinen Knochen.
Dora bemerkte das Unbehagen in Schopenhauer und wechselte das Thema. „Sie sind so ganz anders als mein Neffe, der Theodor Körner, der vor einem Jahr bei einem Gefecht der Lützower mit Napoleons Truppen gefallen ist. Ich habe ihn sehr gemocht, seine draufgängerische Art, seinen Charme den Frauen gegenüber und vor allem mochte ich seine Dichtkunst.“ Sie wandelten auf der Hauptstraße hin und her. „Den Tod ihres Lieblingssohnes verkrafteten meine Schwester Minna und ihr Mann, der Gerhard Körner, nur schwer. Da half uns allen unser Talent, die Kunst des Malens, mit der wir gesegnet sind. Und woran arbeiten Sie gerade?“
Die Gedanken eines echten Querdenkers
In Schopenhauer rumorte es in vielerlei Hinsicht. Schotten dicht, hieß es in privater Hinsicht gegenüber seiner Übermutter und allen die es angeblich gut mit ihm meinten. Ärger hat er mit Verlegern, die eine moderne, zeitgemäße Sprache verlangten. Er verbot ihnen Änderungen an seinen Manuskripten vorzunehmen, die die seiner Ansicht nach philosophischen Schärfen zurücknahmen. Das verzögerte oftmals die Herausgabe seiner Werke. Besonders sein Streit mit dem Verleger Brockhaus lag ihm schwer im Magen. In einem Brief schrieb er ihm: „Ich habe nicht des Honorars wegen geschrieben, … Woraus folgt, dass Sie nicht etwa mich anzusehen und zu behandeln haben, wie Ihre Konversationslexikon-Autoren und ähnliche schlechte Skibler, mit denen ich gar nichts gemein habe als den zufälligen Gebrauch von Tinte und Feder.“
Und die Reaktion von Brockhaus ließ nicht auf sich warten. Er sprach Schopenhauer ab, ein Ehrenmann zu sein. Die Briefe von ihm ließen „ohnehin in ihrer göttlichen Grobheit und Rusticität eher auf einen Lohnkutscher als (auf) einen Philosophen schließen.“
Zudem befasste er sich noch mit der Fertigstellung einer neuen Farbenlehre. Deren Manuskript „Über das Sehn“, das er noch zuvor in Weimar auch dem Geheimrat Goethe, vorlegte, stieß bei dem nicht gerade auf Wohlwollen. Wahrscheinlich, weil er ihm in einigen Punkten widersprach.
Des Weiteren beschäftigte er sich mit den philosophischen Fragen des Wollens, des Könnens, des Verzichts im Zusammenhang mit den indischen Religionsstudien. Das mündete in dem ersten Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“, das 1819 erschien. Damit war er seiner Zeit wohl zu weit voraus. Seine Gedanken zum Einfluss des Unbewussten und der Relativität von Zeit und Raum wurden erst in der Moderne zu Themen. Sein erstes philosophisches Hauptwerk wurde demnach ein verlegerisches Fiasko mit geringer Resonanz in den philosophischen Kreisen. Er versetzte Kant und Fichte einen Tritt und überwarf sich mit Hegel.
Die rettende Helene
Unvermittelt wechselte Dora Stock das Thema. „Wollen Sie sich nicht beweiben? Sie sind doch im besten Alter und haben gut geerbt, wie ich hörte. Und hier in der Residenz gibt es Angebote genug.“ Die Fassung wahrend, erwiderte Schopenhauer: „Liebste Dora, ich darf Sie doch so nennen? Momentan bin ich zu stark mit meinen Studien beschäftigt. Aber Sie bringen mich auf eine Idee. Ich werde mir einen Hund anschaffen. Am Besten einen Pudel. Ich hätte da auch schon einen Namen. Atman. Das kommt aus dem indischen und bedeutet soviel wie Seele.“ Das helle Auflachen von Dora Stock quittierte er charmant mit einem Handkuss.
Unbemerkt von Beiden näherte sich die Gastgeberin der Soiree, Helene von Kügelgen. „Liebe Dora“, sprach sie mit gespielter Entrüstung, „Sie können doch unseren jungen Philosophen nicht für sich separieren. Kommen Sie, Schopenhauer“ und henkelte sich bei ihm ein, „ich möchte Sie mit einer Berühmtheit bekannt machen, mit dem Unpaarsten aller Unpaaren, mit unserem Freund und Maler Caspar David Friedrich.“
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.
vor wenigen Tagen waren wir in Pillnitz und zum Schluss des Ausfluges in einem offenem Lokal mit Blick auf das „Blaue Wunder“. Erinnerungen wurden wieder wach und mündeten in einem Glas Wein. Wieder ein tolles Erlebnis.