Die Initiative „anders wachsen“ feiert am Sonnabend zehnjähriges Jubiläum mit einem Inspirationstag – analog in der Martin-Luther-Kirche, digital weit darüber hinaus. Als besonderer Höhepunkt lockt die Verlosung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Das Modellprojekt „anders wachsen“, mit dem sich Kirchen für einen ökologischen und sozialen Wandel engagieren, feiert dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen am Global Degrowth Day . Am Sonnabend findet in der Martin-Luther-Kirche ein Gottesdienst statt, der via Stream übertragen wird. „Auf eine digitale Variante hatte ich eigentlich erst keine Lust“, sagt Juliane Assmann, die das Projekt seit eineinhalb Jahren in der Johannstadt koordiniert.
Ein Jahr lang 1000 Euro steuerfrei pro Monat
Es waren Party, Tanz, Essen und Trinken, persönliche Begegnungen und Gespräche geplant. Diese finden jetzt online statt, inklusive eines Konzerts des Orchesters „Paradiesisch Musizieren“ und mit unterschiedlich gestalteten Inspirations-Räumen in Form von Break-Out-Rooms bei Zoom, zum Beispiel zum Thema „Wie wollen wir gelebt haben?“
Ein Höhepunkt ist die Verlosung eines bedingungslosen Grundeinkommens über 1000 Euro pro Monat. Die/der Gewinner wird um das Zugeständnis gebeten, sich ein Jahr lang begleiten zu lassen: „Das heißt einmal monatlich entweder eine Art Blogeintrag oder ein kurzes Video zu bekommen, in der die Person davon erzählt, wie es ihr mit dem Grundeinkommen geht. Was sich verändert. Ob sich etwas verändert.“ Finanziert wird der Gewinn aus Spenden und Fördermitteln des Projekts.
Podiumsdiskussion mit Politik, Wissenschaft und FFF
„Ernsten Input gibt es bei einer Podiums-Diskussion“, kündigt Juliane an. Während diese sich bei der letzten Jubiläumsfeier noch der Tatsache widmete, dass die Vernutzung des Planeten durch den Menschen so nicht weitergehen kann, geht es in diesem Jahr konkret um das „Wie“.
Wie ist es möglich, die Transformation zu einer nachhaltigen Lebensweise zu gestalten? Postwachstumsökonom Niko Paech, Bundestagsmitglied Daniela Kolbe, Politikwissenschafts-Professor Ulrich Brand, sowie Clara Hanitzsch und Laura Kaiser von Fridays for Future werden unter der Moderation von Andreas Roth Möglichkeiten einer nachhaltigen Wirtschaftsweise diskutieren.
Eine Gründung mit Resolution und Petition
Ins Leben gerufen wurde die deutschlandweit tätige Initiative „anders wachsen“ in Leipzig von einer Gruppe Pfarrer*innen. Ziel der Gründung war die Durchführung einer kirchlichen Kampagne zu alternativen, nachhaltigen Formen wirtschaftlichen Wachstums. „anders wachsen“ arbeitet schwerpunktmäßig an der Profilierung von Modellgemeinden, die die in der Projektarbeit gewonnenen Erkenntnisse in Gemeindearbeit und -aufbau umsetzen.
Ein erster Etappen-Erfolg bei der Konstitution war die Kirchentagsresolution „Wirtschaft braucht Alternativen zum Wachstum“, die die Initiative beim Deutschen Kirchentag in Dresden 2011 einbrachte. Ein Jahr später sammelte eine Petition zum Thema rund 3000 Unterschriften. Von Seiten der Evangelischen Kirche Deutschland wurde das Thema Wachstum im Themenjahr der Reformationsdekade 2014 „Reformation und Politik“ aufgegriffen.
„Arbeitsbedingungen ansprechen ist Nächstenliebe“
„Es gab die Grunderkenntnis, dass es so, wie es läuft, nicht weitergehen kann“, resümiert Juliane. Die Theologin arbeitete vor ihrer Projektstelle bei „anders wachsen“ für und mit Menschenrechtsorganisationen. Ihr geht es darum, dass das, was gepredigt wird, Umsetzung findet. Nächstenliebe, Achtung der Schöpfung, Gerechtigkeit.
Sozialer Wandel und ökologische Nachhaltigkeit gehen Hand in Hand, ist sie überzeugt. Nachhaltigkeit bedeute Fairness – gegenüber Mensch und Natur. Dem großen Ressourcenvernichter und Zeiträuber Kapitalismus müssen Alternativen entgegengesetzt werden, um die Probleme unserer Zeit zu lösen.
„Mich hat bei der Stellenanzeige der kapitalismuskritische Ansatz gereizt“, sagt sie. „Die Wurzel für Umweltzerstörung und Ausbeutung besonders im geografischen Süden des Globus liegt auch in Deutschland.“ Sie ist froh darüber, dass sich die Kirche mit „anders wachsen“ ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung stellen will.
„Bei großen Themen sind die Menschen schnell überfordert“, sagt sie. Was könne der/die Einzelne schon ändern? „Es geht darum, seine Gewohnheiten und mentale Infrastrukturen zu ändern. Das ist die größte Herausforderung.“ Aber nur so könnten Räume entstehen, in denen Alternativen erprobt und Visionen gelebt werden können. Dazu braucht es Engagement – und regen Austausch darüber, was an die Stelle von grenzenlosem Wachstum treten kann. Der christliche Grundgedanke sei dafür wie geschaffen: „Arbeitsbedingungen ansprechen ist Nächstenliebe.“
Das große Experiment Grundeinkommen
Ihr großer Traum ist, dass die Kirchgemeinde regelmäßig ein bedingungsloses Grundeinkommen verschenkt. „Zwischen 40-Stunden-Woche und Familiensorge ist kaum Zeit für ein Nachdenken über Wandel.“ Die hiesige Auffassung von Arbeit sei „wer viel beschäftigt ist, ist wichtig.“ Das Experiment des Grundeinkommens könnte zeigen, wie Menschen ihre Interessen wählen, wenn sie mehr Zeit haben. Wenn sich Raum für aktive Gemeinschaft ergibt: „Mein Bild von Gott ist, dass wir zusammenarbeiten. Gott ist keine große Instanz, die uns willenlos lenkt. Wir müssen selber mitgestalten.“
Inspirationstag von „anders wachsen“ am 5. Juni
- Gottesdienst analog und digital ab 11 Uhr in der Martin-Luther-Kirche
- alle Infos zum Ablauf auf der Webseite von „anders wachsen“
- die Teilnahme an der Verlosung zum bedingungslosen Grundeinkommen läuft während der Veranstaltung via Link. Alle weiteren Infos dazu hier
„…in Form von Break-Out-Rooms bei Zoom…“
Das finde ich immer bisschen schade, wenn Initiativen, die sich große Gedanken über die Verbesserung der Welt machen, bei wichtigen Details wie der digitalen Ausbeutung von Nutzer*innen so derbe achtlos sind. #Neuland
Kannst Du das noch erläutern?
Danke für die Nachfrage! – Ja, gerne.
Zoom verwendet Nutzer*innendaten, wie z.B. E-Mail-Adressen, nicht nur für eigene Zwecke, sondern gibt sie auch gleich noch an andere Firmen weiter. Datenschutzexpert*innen raten seit mehr als einem Jahr von der Nutzung von Zoom ab. Mit anderen Worten: Zoom ist böse. Und es gibt ausreichend Alternativen.
Jede Initiative, die Zoom nutzt, sollte sich klar machen, dass sie damit die persönlichen Daten der Teilnehmer*innen an Zoom verschenken.
Es gibt da schon lange eine Initiative, die das Grundeinkommen vorantreiben möchte.
Ich nehme als Crowdhörnchen seit Anfang an Teil.
https://www.mein-grundeinkommen.de/
Sorry, gerade erst gelesen, dass https://www.mein-grundeinkommen.de/ beteiligt ist.
Ich beschäftige mich schon lange mit dem Thema Grundeinkommen und bin ebenfalls Crowdhörnchen bei mein-grundeinkommen.de. So schön und erstrebenswert ich prinzipiell den Ansatz finde, ist einer der größeren Haken an der derzeitigen Vorgehensweise leider die zeitlich sehr eng gefasste Begrenztheit der Projekte. Meiner Meinung nach findet man damit zwar heraus, was Menschen mit einer größeren Summe „Extrakohle“ machen, aber nicht, was sie tun würden, wenn wirklich klar wäre, dass sie dieses Geld von nun an jeden Monat bekommen, Jahr für Jahr. Das ist auch schwierig, wenn man nicht nur rausfinden möchte, was 3 Leute tun, die Geldmenge ist momentan begrenzt. Eine Studie, die etwas länger dauern, wird läuft gerade an, aber ich denke, realistischere Ergebnisse wird man erst erhalten, wenn Mittel zur Verfügung stehen, die den Menschen, die ein BGE bekommen, langfristig das Vertrauen geben „das ist jetzt so, dieses Geld hast du zur Verfügung, was machst du jetzt, in drei Jahren, in zehn Jahren..?“. Ich hoffe, das werden wir auch bald erleben. Und auch, dass sich einige weitere Fragen, die zum BGE immer wieder auftauchen, schlüssig beantwortet werden.
Wenn alle in Deutschland derzeit Lebende monatlich 1.000 Euro bekommen würden, wären dies unterm Strich 996 Milliarden Euro im Jahr.
Die Steuereinnahmen von Bund und Ländern im Jahr 2020 betrugen 682,3 Milliarden Euro.
Kann einer der Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens diesen Widerspruch auflösen?