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Kampf der Trunksucht

Mitternacht war längst vorbei und der neue Tag kündigte sich mit fadem Licht an, als zwei trunkene Gestalten Helbigs Schänke in der Alaunstraße 30 torkelnd und lallend verließen. Der eine schlug an einer Hauswand mit großer Erleichterung sein gefiltertes inneres Wässerchen ab, der andere ging, laut „Heil dir im Siegerkranz“ singend, seines Weges.

Drei Häuser weiter wurde er schon von Wachtmeister Müller in Empfang genommen. Der fackelte nicht lange und sperrte die Trunkenbolde in den bereitstehenden Arrestwagen.

Seit 1880 diskutierte man im Reichstag und im Sächsischen Landtag, wie man der Trunksucht, die sich besonders in den Arbeiterkreisen breit machte, Herr werden könnte.

Der Calculator an der Elbe - zwanglose Blätter zur Unterhaltung; Amtsblatt von Krähwinkel
Der Calculator an der Elbe – zwanglose Blätter zur Unterhaltung; Amtsblatt von Krähwinkel

Die Klassengesellschaft der Trinker

Der Calculator an der Elbe fragte in seiner Ausgabe 435 von 1881 die Obrigkeit, warum sie glaube, „mit den armen Teufeln alles tun zu können, was ihnen gefällt. Ob Einer Wasser, Bier, Branntwein oder Wein trinken, ist seine Freiheit.“ Ganz ihrer liberalen Gesinnung ergeben, forderte die Zeitung: „Man erhebe den Arbeiter zu sich und gehe mit ihm um, man richte es im Staat so ein, dass er auch ein Glas Wein trinken kann und verteure ihm nicht noch das Volksgetränk, das Bier, dann wird das Schnapstrinken nicht um sich greifen.“

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Doch dann blitzte in dem Redakteur doch noch so was wie Klassenkampf auf. „Was übrigens ein solch armer Schnapsbruder der Menschheit schaden kann, ist unbedeutend, aber was solch ein Rhein-, Rotwein- und Champagnertrunkenbold der Menschheit schaden kann, das ist bedeutender als bedeutend.“

Wie der Trunksucht Herr werden?

Damit beschäftigten sich die Psychiatrien, die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, Moralisten und die staatlichen Behörden seit Jahrzehnten. Ein volkstümliches Rezept, das weite Verbreitung fand, stammte aus Russland. In der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie von 1848 ist diesbezüglich zu lesen: „In Russland ist der Buchenteer als Volksmittel sehr in Gebrauch, teils um Betrunkene zur Besinnung zu bringen, teils um Säufer das Saufen abzugewöhnen. In beiden Fällen bestreicht man ihnen die Geschlechtsteile damit, und es soll dann damit ein einige Tage anhaltender Kopfschmerz entstehen, der den Säufer von seiner Leidenschaft befreit.“

Die Absinthtrinker, 1908, Gemälde: Jean Béraud
Die Absinthtrinker, 1908, Gemälde: Jean Béraud

Die Wissenschaft trat in Aktion

Das Hausmittelchen hatte wahrscheinlich nicht dauerhaft geholfen. Deshalb hörte man auch verstärkt auf die Wissenschaft. Der Entdecker einer neuen Methode war ein Dr. Schreiber aus Schweden und ihr Empfehler der im 19. Jahrhundert berühmte Chemiker und Mediziner Dr. Berzelius. In der bereits oben erwähnten psychiatrischen Zeitschrift wurde diese Methode, man nannte sie ‚Berzelius-Schreibersche-Branntwein-Kur‘, beschrieben.

Demnach wurde der Trunkenbold in ein Zimmer eingeschlossen. Dort konnte er Wasser mit Branntwein gemischt trinken, soviel er wollte. Später wurde das Wasser durch Kaffee und Tee ersetzt. Auch das Essen wurde täglich mit einem Anteil Branntwein versetzt. Der Patient wurde also in einen Dauerrausch versetzt. In der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie von 1848 las man: „Nach 5 Tagen will er nichts mehr von dem so zubereiteten Essen oder Getränke genießen und fleht um reines Wasser und branntweinfreies Essen.“ Doch man dürfe dem Verlangen nicht nachgeben. Er sei erst dann kuriert, wenn er nichts mehr zu sich nehmen könne. Zwischendurch stellten sich Erbrechen und Durchfall ein. Eine rabiate Methode, die man wohl nur im Zimmer eingesperrt in der geschlossenen Anstalt durchleben konnte.

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Diese Kur dauerte in der Regel, so ist zu lesen, zwischen 8 und 28 Tage. Dann stellte sich ein ausgeprägter Widerwille gegen jeglichen Branntwein ein. Der Säufer war geheilt. Gerade mal ein Proband soll gestorben sein. Angeblich sollen nach dieser Methode viele Hundert von ihrer Sucht befreit worden sein.

Die Psychiater forderten deshalb, „dass diese Methode eine polizeiliche Maßregel“ werden müsse.

Die Staatsmacht reagierte

Aber nicht im Sinne der Psychiater. Die Beamten um Wachtmeister Müller von der Antonstädtischen Polizeiwache gingen zwar seit Langem verstärkt gegen die lärmenden und an die Häuserwände urinierenden Säufer in ihrem Areal vor. Brachten sie aber Nächtens in den Ausnüchterungszellen des Reviers, aber nicht bei freier Kost und Logie, unter. Und schon gar nicht betätigten sie sich als Sozialarbeiter für Suffköppe auf Entzug. Man überlies sie den Ehefrauen und Kindern oder den sogenannten Klapsmühlen, wie in Arnsdorf.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.