„Und du, wann fährst du nach Hause?“ Es ist kurz vor den Sommerferien. Treffe ich eine französische Freundin in der Neustadt, dann stellen wir uns wie jedes Jahr dieselbe Frage: „Und du, wann fährst du nach Hause?“
Wir fragen nicht „Besuchst du deine Familie diesen Sommer?“ oder „Fährst du dieses Jahr wieder nach Frankreich?“ Nein. Wir fragen uns, wann wir nach Hause fahren. Zurückkehren. Heimfahren. Es ist seltsam zu sehen, wie Frankreich offenbar unser „Zuhause“ bleibt, obwohl unser Leben zweifellos in Dresden ist.
Wir fragen auch nicht: „Wohin fährst du dieses Jahr?“ Es ist selbstverständlich, dass wir nach Frankreich fahren. Wenn eine von uns es jemals wagt, anzukündigen, „dieses Jahr mache ich Urlaub in Kroatien“, dann kann man sicher sein, dass die nächste Frage lautet: „Ach was, du fährst nicht heim?!“ mit einem halb empörten, halb neidischen Unterton. Denn jede von uns träumt von neuen Reisezielen. Aber das hieße auf Familie und Heimat bis zum nächsten Jahr zu verzichten.
Tour de France
Das Schwierigste bei diesem Heimaturlaub ist, nicht in die Falle der „Tour de France“ zu geraten. Damit meine ich nicht die berühmte Fahrradtour, sondern den vergeblichen Versuch, diesen lang ersehnten französischen Urlaub zu „rentieren“: Das heißt, so viele Freunde und Verwandte wie möglich innerhalb der paar Wochen Urlaub zu besuchen (minus vier Tage Hin- und Rückreise zwischen beiden Ländern).
Am Ende hat man kaum einen halben Tag Zeit für jeden gehabt. Man ist erschöpft von diesem hektischen Urlaub und trotzdem frustriert, dass man nicht alles geschafft hat, was man sich vorgenommen hatte. Deswegen ist es jedes Jahr das gleiche Dilemma mit den gleichen Kompromissen.
Und dabei habe ich noch Glück. Bei einem deutsch-französischen Paar ist die Verteilung klar: kleine Ferien und lange Wochenenden bei der deutschen Familie, große Ferien in Frankreich. So verhindert man Ungerechtigkeit bei der Urlaubsplanung.
Aber für binationale Pärchen, in denen keiner aus Deutschland kommt, wird es noch komplizierter: Ich bewundere meine französisch-italienischen, französisch-litauischen oder sogar französisch-französischen Freundespaare (wenn der eine seine Familie am Mittelmeer und der andere an der belgischen Grenze hat).
„Und wie fahrt ihr denn hin?“
Nach dem „wann“ (… fahrt ihr nach Hause?), folgt meistens die Frage des „wie“ (mit anschließendem Austausch von guten Tipps). Vorteilhaft ist es, wenn man das Reisen liebt. Denn Dresden liegt zwar im Nachbarland, aber verdammt weit im Osten. Von hier ist es bis zur Atlantikküste genauso weit wie bis zum Schwarzen Meer…
So wurden meine französischen Dresdner Freundinnen und ich zu Profis was Reisen von Dresden zu allen Städten Frankreichs angeht. Wir kennen alle Zugverbindungen, Direktflüge und deren Tarife, praktische Shuttlebusse und Flughafentaxis mit Kinderautositzen, deutsche Autobahnen und deren Baustellen, guten Hotels und Rastplätzen zwischen beiden Ländern. Wir könnten ein Reisebüro eröffnen: „Von Ostdeutschland nach Frankreich“!
Rückkehr-Rituale
Bin ich endlich angekommen, freue ich mich aber zum Glück sofort über alle sonst vermissten Kleinigkeiten.
Schon am ersten Tag stürze ich zum Markt und genieße die laute französische Menschenmenge und den Anblick auf die bunten Auslagen von lokalem Obst und Gemüse. Im Supermarkt bleibe ich mindestens zwei Stunden: Meine Träume der letzten Monate werden wahr. Anschließend hole ich nur noch ein frisches Baguette vom Bäcker, „pas trop cuite s’il vous plait“.
Zum Mittagessen gibt es höchstwahrscheinlich Rumpsteak mit Roquefortsauce (am nächsten Tag dann Rumpsteak mit Pfeffersoße, usw. – bis ich die letzten 340 rindlosen Tage meines deutschen Lebens nachgeholt habe).
Abends bin ich dann sicher in meinem Lieblingsbistro zu finden, trinke aufeinanderfolgend Espresso, „Kir“ (Aperitif aus Weißwein und Brombeerenlikör) oder lokale Mixbiergetränke, die in Deutschland eine Schande fürs Bier wären. Und rufe meine Freundinnen an: „Ich bin wieder da! Wann sehen wir uns?“
Die zweite Heimkehr
Nach ein paar Wochen mit diesem Rhythmus ist hoffentlich der französische Akku wieder aufgeladen. Wenn nicht, dann hilft glücklicherweise die ewige Rückfahrt, sich auf das Ziel zu freuen. Und was sagen wir Franzosen, wenn die Zeit gekommen ist, nach Dresden zurückzufahren?
Na, auch „nach Hause fahren“. Zurückkehren. Heimfahren.
Ein Gastbeitrag von Peps, der Französin in der Neustadt. Aus der Reihe „C’est la vie! – Chroniken einer Französin in der Neustadt„. Illustrationen: Jean-Pierre Deruelles. Fortsetzung folgt nach den Sommerferien.