Das übermenschlich große Gesicht von HP Trauschke schwebt in der Dunkelheit, blickt wild umher und schreit: „Halloh!“
Eine laue Sommernacht im August. Die Elbwiesen liegen im Dunkeln. Dahinter der Fluss und die hell beleuchtete Altstadt. Nah bei der Augustusbrücke ist HP Trauschkes „Artcube“ aufgebaut, ein metallener Käfig als Bühnenbild, darin der Schauspieler, wild gestikulierend, mal laut, mal ganz leise, gefangen in einem Käfig vor wunderschöner Kulisse.
Kafkas Affe
Links hört man leise den heutigen Kinofilm der Elbfilmnächte, rechts von der anderen Flussseite brummt die Musik einer Schlagerparty. Trauschke stört das nicht, „ich bin so drin ich nehme das nicht wahr“.
Gespielt wird Kafka’s „Ein Bericht für eine Akademie“. Der Affe Rotpeter, der unter großen Mühen versucht ein Mensch zu werden, soll berichten, wie es ihm gelang. In Trauschkes Adaption wird dieser Bericht als Videobotschaft verfasst, er spricht energetisch und extrem nah in eine aufgestellte Kamera hinein, sein Gesicht hinter ihm auf die Leinwand projiziert.
„Durch eine Anstrengung, die sich bisher auf der Erde nicht wiederholt hat, habe ich die Durchschnittsbildung eines Europäers erreicht.“ – Affe Rotpeter
Es geht um so Einiges. Die Frage was uns zu Menschen macht, um Anpassung, um Betäubung durch Alkoholismus, um die Abwesenheit von Freiheit und die Suche nach einem Ausweg aus dem Käfig. Das mag etwas schwer und trübe klingen für einen schönen Sommerabend, doch blitzt immer wieder Kafkas Witz hervor. Das Stück selbst, so eine Stimme aus dem Publikum, ist auch zu verstehen, wenn man den Originaltext noch nicht kennt.
Mit blutigem Mund weitergespielt – Der Schauspieler und sein Publikum
Das Elbufer ist heute gut besucht, die Vorstellung selbst nicht. Hin und wieder bleiben einige Radfahrende stehen, zwei junge Frauen setzen sich ins Gras und bleiben bis zum Schluss, alle anderen gehen früher. Die Drei, die bleiben, applaudieren. „Es interessiert wohl nur drei Prozent der Menschen was wir hier machen“ meint Trauschke im Nachgespräch.
Unter den restlichen 97 Prozent findet sich unweigerlich so mancher Vollidiot. Trauschke erzählt, wie ihm vor einigen Wochen, während er spielte, jemand eine Glasflasche an den Kopf warf. Er blutete und raste dem Mann mit Affenwut im Bauch hinterher, verprügelte ihn nach eigenen Angaben ordentlich, kehrte zurück und spielte das Stück blutend zu Ende.
Danach seien die Leute im Publikum begeistert gewesen was für eine grandiose Idee und Vorstellung das war. Dabei war es ein Angriff. Die Menschen, so Trauschke, seien so betäubt. Er musste das Stück schlicht zu Ende spielen, sonst wäre er wohl wahninnig geworden. Er musste auch mit sieben Stichen genäht werden. Hier merkt man die Leidenschaft für die Kunst.
„Ich gehe lieber in die Tiefe als in die Breite“
Trauschke verbindet viel mit Kafkas Affen, er inszeniert und spielt ihn seit mehr als 30 Jahren. Das Bühnenbild, das heute im Einsatz ist, entwarf er als junger Mann unter seinem Meister Gunnar Petersen. Er schätzt es sich dem Stoff über eine lange Zeitspanne und somit aus unterschiedlichen Perspektiven anzunähern, zu versuchen ihn tatsächlich zu durchdringen.
„Aber Affen gehören bei Hagenbeck an die Kistenwand — nun, so hörte ich auf, Affe zu sein.“ – Affe Rotpeter
Man merkt wie sehr Trauschke mit dem Stoff vertraut ist. Wobei ein solcher Text immer wieder Überraschungen, ja neue Ebenen bereithält. Der Schauspieler selbst gibt gerne zu, dass er auch noch nach Jahren des intensiven Studiums immer wieder Neues entdeckt.
Im Stück fällt der Satz „Ja die angehäuften Beobachtungen drängten mich erst in die bestimmte Richtung“. Das bestimmt wiederholt Trauschke oft. Es steht exemplarisch für den tieferen Sinn. Die „bestimmte Richtung“ sei nicht nur eine bestimmte, sondern gar die Bestimmung, das Ende des Freien Willens. „Der Freie Wille ist eben ein Unsinn“ meint der Schauspieler. Das verbinde das Stück mit dem davor aufgeführten von Thomas Bernhard (wir berichteten).
Ein Ausblick: Es wächst
Trauschke macht alles selbst. Ton, Video, Bühnenbild. Doch er ist nicht allein. Montags spielen nun Kunststudent*innen in dem Artcube. Spontane Theaterstücke entstehen. Es sollen Skulpturen ausgestellt werden, eine Lesung des „Kleinen Prinzen“ ist geplant.
„Überblicke ich meine Entwicklung und ihr bisheriges Ziel, so klage ich weder, noch bin ich zufrieden.“ – Affe Rotpeter
Wer mit Trauschke spricht merkt, hier entsteht etwas. Am 17. September soll der Kubus-Käfig an den Kran und über der Elbe schweben, darunter soll eine große, tagelange Techno-Party stattfinden. Auf Genehmigungen angesprochen meint Trauschke, „ich habe niemanden gefragt, sie können mich nicht stoppen!“. Die Kunst, sie ist eben wild.
Bis zum 31. August wird jeden Tag um 19 Uhr Thomas Bernhards „Das nebeneinander Zweier Unsinne“ sowie um 21.45 Uhr Kafkas Affe aufgeführt. Und alles was sonst noch so entstehen mag. Man sollte deshalb schon etwas früher als die angegebene Uhrzeit 21.45 Uhr ankommen, da das Stück, zumindest in dieser Vorstellung, schon früher begann. Die, die da waren, meinten: „Eine unglaubliche Energie, fantastisch!“
Also: Packt die Picknickdecke ein, es lohnt sich.
Ich wollte mir heute das Stück anschauen. Allerdings fängt es laut Aussage des Schauspielers nun wohl immer 21 Uhr an. Somit geh ich wohl nochmal hin…
Danke für die Info.