Es ist nicht die Stadtreinigung, sondern das Projekt „Chancen für Chancenlose“. Jeden Tag der Arbeitswoche räumen Menschen in besonderen Lebenslagen öffentliche Plätze in Dresden auf. Freiwillig, gleichrangig und gemeinschaftlich. Rainer Pietrusky leitet das Projekt. Er möchte den Bewohner*innen der Neustadt sowie dem Stadtbezirkssamt Neustadt und Altstadt Danke sagen.
Eine Chance für die „Chancenlosen“
Der Morgen danach: Die letzte Nacht hat die gewohnten Spuren im Alaunpark hinterlassen. Glasflaschen, Pizzakartons und Kleidungsstücke liegen ausgebreitet im Sonnenschein. Die Teilnehmenden von „Chancen für Chancenlose“ schwärmen mit Müllsäcken bewaffnet aus, um den Park aufzuräumen. Der Umgang ist freundlich. Ein Mann macht Nackt-Yoga auf dem Rasen, worüber man sich herzlich amüsiert.
Doch woher kommen diese Menschen die jeden Montag, Mittwoch und Freitagmorgen herkommen und den Park säubern? Angefangen hat alles mit Rainer Pietrusky. Er wollte im Jahr 2015 Menschen aus der Drogenszene im Alaunpark etwas zu tun geben, sowie eine Möglichkeit zur besseren Integration von Geflüchteten schaffen.
Heute hat sich die Drogenszene weg vom Alaunpark verlagert. Die Lage der Geflüchteten ist nicht mehr so akut. Doch die Projektidee trägt weiter: Menschen eine Aufgabe geben und dadurch Gemeinschaft und Sinn stiften.
Die Maßnahmen sind dabei offen für alle, unter gleichen Bedingungen für alle. Das hat zu Zuständigkeits-Konflikten mit den deutschen Behörden geführt. Das Projekt hat sich lange durch die Mühlen der Bürokratie gewunden. Letztendlich stimmten die Stadtbezirksräte Neustadt (einstimmig) sowie Altstadt (nur AfD dagegen) einer Finanzierung zu, ein Pilotprojekt entstand.
Große Nachfrage vor und während der Pandemie
Dann ging alles schnell. Das Pilotprojekt hat mit drei Klein-Dealern im Alaunpark angefangen und ist durch Mundpropaganda gewachsen. Jetzt im Dritten Jahr ist es für zwölf Teilnehmende ausgelegt; etwa 37 sind tatsächlich beschäftigt. „Es ist ein Riesenzulauf, ich kann mich kaum retten“ sagt Pietrusky.
Durch Corona hat sich das noch verstärkt. Da einige Einrichtungen geschlossen wurden, konnten die Gerichte viele Menschen, die Sozialstunden ableisten müssen, kaum unterbringen. Doch „Chancen für Chancenlose“ arbeitet an der frischen Luft im Freien und war eine offene Anlaufstelle.
Überraschenderweise hat sich die Pandemie ansonsten kaum auf das Projekt ausgewirkt. Das Müll-Problem im Alaunpark und anderen öffentlichen Plätzen der Neustadt ist „nicht schlimmer als sonst“. Eine Ausnahme war das Wochenende der ausgefallenen BRN-Feier. „Das war krass, sowas hab ich die ganzen drei Jahre nicht gesehen“ sagt Pietrusky.
Eine Projekt-Gemeinschaft
Die Zielgruppe des Projekts sind Menschen in besonderen Lebenslagen. Gemeint sind Migranten, die noch keine Arbeit begonnen haben, Sozialstundenableistende, Personen aus der Drogenszene, Wohnungslose, und alle weiteren, die an einer Mitarbeit interessiert sind.
„Das sind alles Leute, die ein Alkoholproblem haben, bis auf ein paar Ausnahmen“ gibt Pietrusky offen zu. Sie alle eint das gleiche Problem. Untereinander, so Pietrusky, zeigen sie eine große Solidarität. „Sie haben nichts. Aber mit dem bisschen was sie haben, helfen sie sich gegenseitig“.
„Das hier ist eine Gemeinschaft“ sagt Pietrusky. Das zeigt sich auch finanziell. Mit Ausnahme derer, die Sozialstunden ableisten müssen, erhalten alle Teilnehmenden die gleiche Aufwandsentschädigung von 1,75 Euro pro Stunde. Egal unter welchem Status sie bei den Behörden geführt werden. Alles andere würde einen Keil zwischen die Leute treiben.
Drogen sind während der Arbeitszeit verboten, auch Alkohol. Dennoch: von 9 bis 12 Uhr halten die Leute durch und erscheinen regelmäßig, bei Wind und Wetter, zur Arbeit. Die meisten kennen sich seit nun mehr über zwei Jahren. Der Umgang ist herzlich und vertraut. „Ich hab mir das viel schwerer vorgestellt, das ist eigentlich ein einfaches Arbeiten mit ihnen“, meint der Projektleiter. Das Projekt löst nicht das Problem mit dem Alkohol. Aber für viele ist es Anlaufstelle, Anfang und Ankerpunkt.
Das Problem: Das liebe Geld
Auf die Zukunft angesprochen wird Pietrusky ernst. Die Projektfinanzierung für das nächste Jahr fehlt. Eine Verlängerung der Förderung über die Stadtbezirke ist nicht möglich. Damit ist das Projekt gefährdet.
Und das, obwohl der Förderbedarf und die Nachfrage riesig sind. Gleichzeitig kostet das Projekt jährlich insgesamt nur etwa 65.000 Euro. In Anbetracht der erbrachten Leistung „ein sehr guter Deal für die Stadt“.
Pietrusky wandte sich vor einiger Zeit an die „Aktion Mensch“. Die hat sich jedoch nie bei ihm zurückgemeldet. Auf die Frage was passiert, wenn sich niemand meldet, meint Pietrusky schlicht: „Ich suche weiter“. [Nachtrag: Inzwischen hat sich die „Aktion Mensch“ bei Pietrusky zurückgemeldet. Derzeit wird der Antrag überarbeitet. Somit besteht Hoffnung auf eine zukünftige Finanzierung des Projekts.]
Antrieb und Dank
Rainer Pietrusky ist 1956 geboren. Seine Zeit könnte er auch im Wald mit Pilzesuchen verbringen, was er nach eigener Angabe gerne tut. Doch er ist hier und leitet das Projekt. Das Handy klingelt, er ist Ansprechpartner bei Problemen, Vertrauensperson, auch für belastende Geschichten.
Auf die Frage, wieso er das macht, meint Pietrusky lachend. „Das weiß ich nicht. Ich habe ein gutes Verhältnis zu den Leuten. Wenn ich nicht komme, hängt der Haussegen schief“.
Sein Dank gilt den Stadtbezirksämtern Neustadt und Altstadt, die das Projekt bisher finanzieren und mit denen die Zusammenarbeit gut läuft. Außerdem will er den Bewohner*innen der Neustadt danken. „Wir kriegen viel Zuspruch. Wenn jemand einen Kaffee vorbeibringt, dann freuen wir uns darüber! Es hilft auch den Leuten. Die kommen alle von ganz unten. Wenn die mal ein Lob von jemandem bekommen, ist das vollkommen ungewohnt. Das merkt man denen richtig an.“
Danke für den schönen Artikel.
Es gibt aber eine Neuigkeit: Die „Aktion Mensch“ hat sich gemeldet – und so gibt es einen Schimmer am Horizont!
Guten Tag,
dass sind aber nicht alle, die aufräumen. Ich trainiere im Park, da räume ich um mich herum auf, weil ich das nicht im Dreck möchte. Es gibt seit vielen Jahren jemanden, der fast jeden Morgen kommt, mit seinem Fahrrad, und Flaschen und all den Kram absammelt. Letzten Samstag habe ich mit jemanden gesprochen, der Samstag kommt und Deckel einsammelt, er sagt, in 2 Stunden schafft er so 600-800 Stück.
Das sind die, die ich sehe. Bestimmt gibt es noch mehr Leute.
Grüße!
‚Eine Verlängerung der Förderung über die Stadtbezirke ist nicht möglich. Damit ist das Projekt gefährdet.“…
Warum ist das nicht möglich?
> Im Team arbeiten wesentlich mehr Männer als Frauen. „Das funktioniert > aber trotzdem gut“ meint die Frau ganz links. – Foto: Jonas Breitner
Nicht alle Männer sind böse – auch wenn sie alt und grauhaarig sind :/
Steht so in den Förderrichtlinien. Es werden nur einmalige Projekte gefördert.
Viele Dank für den Artikel. Ich hab das Team schon öfter gesehen und mich gefragt wie das organisiert wird.
Wir sind den Helfern wahnsinnig dankbar, dass sie nach dem Durchmarsch der Partypeople den Park wieder nutzbar machen. Ohne deren Arbeit würde ich meine Kinder nach den Partynächten nicht auf die Wiese lassen.
Kann man nicht einfach das Ordnungsamt bitten hier Abends stärker zu kontrollieren und saftige Geldstrafen zu verteilen? Das Geld kann dann gerne ohne Abschläge an die Helfer weitergegeben werden.
@Rainer Pietrusky: Gibt es ein Spendenkonto?
„ Steht so in den Förderrichtlinien. Es werden nur einmalige Projekte gefördert.“
… so einfach steht es da nicht…
Wenn eine Verlängerung dieses Projektantrages nicht möglich ist, ist jedoch eine reguläre Förderung möglich. Da könnten sich die Stadtbezirksräte mal schlau machen, habe die Richtlinien eben mal überflogen. Da gibt es mit dem entsprechendem Willen sicher einen Weg. Es gibt ja auch Wege, jedes Jahr der BRN und anderen Projekten einen Topf zur Verfügung zu stellen…. Hier wäre es mal sinnvoll eingesetztes Geld…. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg…
@Stadtbezirksbeiräte: Macht Euch mal stark !!!!
Natürlich steht das nicht so einfach da. Die Stadtbezirksförderrichtlinie ist ziemlich komplex. Aber im wesentlichen ist das die Antwort auf Deine Frage. Punkt 4, Absatz 3. „Mit dem zu fördernden Vorhaben darf noch nicht begonnen worden sein, es sei
denn, dass dem vorzeitigen Vorhabenbeginn durch das Stadtbezirksamt ausnahmsweise zugestimmt wurde.“ Und Punkt 5, Absatz 2. “ Die Zuwendung erfolgt (…) für zeitlich begrenzte oder einmalige Vorhaben.
Soweit ich weiß, gibt es schon Bemühungen von Stadtbezirksbeiräten für eine Fortführung des Projektes.
Er kann auch gern mal beim Kulturbüro Dresden auf der Schweizer Straße 32 anfragen wegen einer Beratung zu Förderthemen, oder Projektfinanzierung. Die Details des Projektes/des Konzeptes lassen ja noch einige Möglichkeiten zu…
…muss es immer ein Projekt sein? Es können auch Vereine und sonstige Vereinigungen im Stadtbezirk gefördert werden….
@ Rainer Pietrusky: Ich wünsche Ihnen, dass ein paar Mitstreiter im Stadtbezirksrat den Stier bei den Hörnern packen und Ihnen entsprechende Unterstützung bei der Suche nach Wegen und Lösungen für Ihre Arbeit zukommen lassen…
@Why. Dafür gibt es sicherlich Möglichkeiten, aber wohl nicht über die Förderung aus dem Stadtbezirkstopf.
Herzlichen Dank an das Neustadt-Geflüster und insbesondere an Jonas Breitner, den Autor dieses Beitrags, der eine erfreuliche Resonanz gefunden hat.
Danke auch für die sehr vielen positiven Rückmeldungen, über die wir uns sehr gefreut haben.
Auf einige der in den Kommentaren aufgeworfenen Fragen möchte ich hier noch antworten.
Zuerst zu unserem Projekt.
Das Projekt „Chancen für die Chancenlosen“ ist kein Projekt zum Müllsammeln. Es ist ein Projekt, das Menschen, die aus den verschiedenartigsten Gründen in einer Art Sackgasse gelandet sind, die sich in Drogenmissbrauch (das betrifft bei uns hauptsächlich den Alkoholmissbrauch), Arbeits- und Wohnungslosigkeit und ganz allgemein in Aussichtslosigkeit zeigt, wieder etwas festen Boden unter den Füßen schaffen will. Für diese Menschen ist das Projekt da, nicht als Dienstleistung für Müllverursacher, weshalb der Müll bei uns auch nicht die Hauptrolle spielt. Wir versuchen, den Menschen einen Halt zu geben, sie zu einem stabileren Leben zu befähigen, auch (mit Unterstützung) soziale und gesundheitliche Probleme zu überwinden. Die Arbeit im Alaunpark ist dabei nur ein Baustein, allerdings ein wichtiger, denn im Alaunpark sind wir dreimal in der Woche. Wir sind aber auch an anderen Stellen unterwegs, bepflanzen Beete, pflegen Baumscheiben, reinigen das Elbufer oder helfen im Zoo. Dazu gibt es auch noch unterschiedliche Bildungsangebote (gemeinsamer Besuch von Museen, ein Projekt mit der Volkshochschule usw.).
Das zweite: An unserem Projekt beteiligen sich die Menschen freiwillig, von sich aus. Sie werden von keinem Amt geschickt, von keinem Jobcenter verpflichtet. Sie kommen von selbst. (Deshalb bleiben übrigens die Menschen auch bei uns.) Wenn sie nicht kommen, passiert auch nichts, dann sind sie eben nicht da. Aber etwa 80 % der Teilnehmenden kommen täglich, und sie würden auch noch an den Wochenenden kommen.
Etwas absonderlich fand ich die Argumentation mit den „alten weißen Männern und Frauen“.
Bei uns richtet sich eine Projektteilnahme explizit nicht nach Hautfarbe, Geschlecht, Religion, ethnischer Herkunft oder ähnlichen Kriterien. Das ist ausdrücklich so, hat uns aber auch schon so manche Schwierigkeit bereitet, weil die verschiedenen Gruppen in der deutschen Verwaltung sehr wohl ziemlich scharf getrennt werden. (Was übrigens auch ein Hinderungsgrund bei der Förderung ist, die Frage gab es ja auch.) In diesem Jahr haben sich bisher 36 Menschen am Projekt beteiligt, 11 von ihnen mit ausländischen Wurzeln, das ist fast ein Drittel. Und wer den Artikel aufmerksam gelesen und sich die Fotos angeschaut hat, wird diese Menschen auch entdeckt haben. Und die Zusammenarbeit klappt im Übrigen ganz vorzüglich.
Zur Förderung.
Das Projekt existiert mit verschiedenen Änderungen nun das dritte Jahr. Und es existiert, weil wir mit den Stadtbezirksämtern Neustadt und Altstadt und dessen Leiter, André Barth, konstruktive Partner in der Verwaltung haben, die ihr Handeln eben darauf richten, etwas zu ermöglichen und nicht darauf, Gründe zu finden, warum etwas nicht geht. Auch dafür sind wir sehr dankbar, weil es eben in der Verwaltung noch nicht überall Standard ist. Eigentlich gehört das Projekt aber in den städtischen Haushalt des Sozialamtes, auch, weil aus anderen Stadtbezirken reflektiert wird, dass es dort ebenfalls einen hohen Bedarf für so ein Angebot gibt. In den letzten Doppelhaushalt haben wir es nicht geschafft. Zum Einen, weil das Projekt nicht in die gängigen Förderstrukturen passt, zum Anderen, weil es neue Projekte generell nicht einfach haben, zu einer kommunalen Förderung zu gelangen. Der Haushalt wächst ja kaum – und da hat Neues eben einen schweren Stand. Es sollte aber Ziel bleiben, dieses oder ähnliche Projekte fest im Haushalt zu verankern. Wir werden sehen, ob das bei der nächsten Haushaltsrunde klappen wird. Inzwischen feilen wir mit der Aktion Mensch an einer Projektförderung, die uns das Weiterleben ermöglicht.
Zur Müll-Problematik.
Nicht nur wir sammeln Müll im Alaunpark Auch andere Menschen tun das regelmäßig, manchmal auch mit uns gemeinsam (das vor allem Schülerinnen und Schüler). Und auch die Stadtreinigung ist regelmäßig im Alaunpark aktiv, vor allem an den Wochenenden.
Es ist auch nicht wirklich so, dass die Vermüllung zugenommen hat. Zugenommen haben die leeren Pizza-Kartons. Und die verstopfen leider die Müllkübel und fliegen dann, wenn es windig ist, durch den ganzen Park. Hier könnte wirklich jeder, der Pizza-Esser dazu beitragen, das Bild zu verbessern, wenn er seinen Karton vor dem Wegwerfen zerkleinern würde.
Es ist auch Quatsch, auf die Neustädter zu schimpfen oder die Grünen oder die Jugend. Die meisten Müllprobleme kommen nämlich von Besuchern des Alaunparks, die nicht in der Neustadt wohnen. Das sehen wir schon anhand der persönlichen Papiere, die wir regelmäßig im Park finden, vom Reisepass bis zur Geldkarte, von Schlüsseln ganz zu schweigen. Auch die extreme (und auch sehr gefährliche) Verschmutzung des Alaunparks im Zusammenhang mit der diesjährigen, nicht ganz offiziellen BRN, stammte nicht von den sehr zahlreichen Partygästen am Wochenende, sondern von einer Gruppe junger Männer, die dort in der Nacht ein Zielwerfen mit leeren Bierflaschen veranstaltet haben.
Nichts desto trotz kann sicher jeder noch dazu beitragen, dass der Alaunpark (und nicht nur dieser) sauber bleibt und für alle nutzbar.
@Steven Ja, das gibt es:
Einzahlen kann man die Spenden auf folgendes Konto:
Kontoinhaber: Neuer Hafen e.V.
IBAN: DE25 8505 0300 0221 1051 40
Ostsächsische Sparkasse Dresden
Verwendungszweck: „Chancen für die Chancenlosen“