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Wie betitelt man nur diese Damen?

Gerade hatte man den Herrn Napoleon in sein Exil mitten im Atlantik geschickt, damit er ja nicht wieder den geschundenen Kontinent Europa heimsuche und die Pfründe der edlen Blaublütigen anrühre, da moserten doch einige Damen auf und verlangten so eine Art gleichberechtigte Anrede. Ungeheuerlich – dröhnt es aus den Salons nicht nur des Adels, sondern auch aus denen der bürgerlichen Intellektuellen, wie zum Beispiel aus dem der Familie Kügelgen auf der Hauptstraße in der Dresdner Neustadt.

Man philosophierte zwar über humanistische Ideen, war, theoretisch, auch im Großen und Ganzen dafür, den weiblichen Gesellschaftsmitgliedern zuzugestehen, dass sie auch den männlichen gleichgestellt sein mögen – irgendwie, vielleicht, sozusagen. Aber praktisch? Darin schieden sich die Geister in den Palaverrunden im Hause Gottessegen der Kügelgens.1

Die gelehrte Frau - zeitgenössische Karrikatur
Die gelehrte Frau – zeitgenössische Karrikatur

Die „kampflustigen“ Frauen

Dazu zählten u.a. Fredericke Gräfin Dohna und Luise von Schönberg. Gemeinsam mit Lilla von Kügelgen, der Gattin des Malers Gerhard, gründeten sie den Ersten Dresdner Frauenverein schon 1814. Später übernahmen Prinzessinnen aus dem sächsischen Königshaus die Präsidentschaften. Dabei ging es ihnen weniger um Gleichberechtigung, sondern eher um soziale Dienste, wie der Armenspeisung, der Unterstützung von Wöchnerinnen und der Hilfe für elternlose Kinder.

Aber im Hause Kügelgen diskutierte man gern mit den anwesenden Malern, wie Caspar David Friedrich, den Malerinnen Caroline Bardua und Luise Seidler sowie den philosophischen Geistern vom Gerhard von Kügelgen. Und das durchaus kontrovers.

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In der Zeitung Merkur Nr. 20 von 1820 erfuhr man einiges von den Auseinandersetzungen in den Dresdner Salons. Da hauptsächlich die gebildeteren Männer die Stammleserschaft des Merkur bildeten, echauffierte sich natürlich der narzisstisch anmutende Redakteur über ein ungeheuerliches Ansinnen der Damenwelt, das wohl nur eine Nachwehe der Französischen Revolution sein könne. „Soviel mir bekannt, theilt kein einziges Volk auf Erden die Narrheit der Deutschen, die Frauen nach den Aemtern der Männer zu betiteln.“2

Dresdener Merkur - Mitteilungen für das Bildungsbürgertum
Dresdener Merkur – Mitteilungen für das Bildungsbürgertum

Schein ist alles, oder?

Dabei gäbe es doch genug überflüssige Betitelungen bei den Männern. Hauptsache man könne dem Namen noch etwas voransetzen, wenn man schon kein „von“ aufweisen könne. So ein Titel erhöhe das Ansehen bei der Nachbarschaft und die Kreditbereitschaft der Banken. Doch auch dies passte dem Redakteur nicht. „Haben wir etwa nicht schon Commerzienräthe, deren commerzielle Ansichten Niemand in Anspruch nimmt, oder Kriegsräthe, die vom Krieg so viel als Schreiber dieses verstehen, oder Hofräthe, deren Rat bei Hofe keine Seele verlangt, daß wir auch Frauen noch zu diesen Scheinämtern creiren?“

Kügelgenhaus auf der Hauptstraße
Kügelgenhaus auf der Hauptstraße

Nun präsentierte er der werten (männlichen) Leserschaft die Beispiele dieser Unverfrorenheit. „Was mag sich wohl ein gebildeter Nichteuropäer dabei denken, wenn er von einer deutschen Frau Generalin, Frau Hofräthin, Frau Pastorin und Frau Doktorin hört?“

Europa geht den Bach runter

Erst brachte der Despot aus Paris alles hergebrachte Recht durcheinander und nun setzten die Weiblichkeiten noch eins drauf. Das hatte man nun von der Bildung, die man ihnen angedeihen ließ. „Muss denn dieser gebildete Nichteuropäer nicht glauben, unsere Heere würden von Amazonen commandiert, unsere Landescollegien bestünden aus Weibern, auf unseren Kanzeln ständen Frauen oder begeisterte Quäkerdamen oder unsere Universitäten promovierten in doctricem (lat. = Lehrer)? – Dixi! Das heißt: ich habe gesprochen – in den Wind.“

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Ach armer Redakteur. Im Hause Kügelgen hätten ihn diese gebildeten Damen wohl in der Luft zerrissen. Leider konnte er einer Einladung zu einer Soirée nicht mehr Folge leisten. Die geistreichen Salons auf der Hauptstraße endeten abrupt mit der Ermordung von Gerhard von Kügelgen durch einen marodierenden Soldaten am 7. März 1820 an der Bautzener Straße.3 Seine Frau und seine Kinder verließen daraufhin Dresden und die Stadt war um eine geistreiche Attraktion ärmer.

Selbstportrait Gerhard von Kügelgen
Selbstportrait Gerhard von Kügelgen

Anmerkungen des Autors

1 Das Wohnhaus der Kügelgens auf der Hauptstraße in Dresden beherbergt heute u. a. das Frühromantische Museum.
2 Den Satzbau, die Grammatik und die Rechtschreibung aus der erwähnten Zeitung habe ich im Stil des Jahres 1820 belassen.
3 Näheres dazu gibt es u.a. in Wilhelm von Kügelgens Buch Jugenderinnerungen eines alten Mannes, im Das Leben Gerhard Kügelchen 1824 von Friedrich Christian August Hasse und in der Wikipedia.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.