Ein trüber Dezembertag des Jahres 2021 ließ die Sonne hinter dem Horizont verschwinden und die Gegend um den Artesischen Brunnen am Albertplatz in eine seltsame Mischung aus künstlichem, warmem Licht der Straßenlaternen und der natürlichen Dämmerung des frühen Abends erscheinen.
Die Stufen um den Brunnen waren mit schwatzenden jungen Leuten besetzt, die mit Bierflaschen und Cola, vielleicht auch härteren Sachen in der Hand, diesem Tag etwas positives abgewinnen konnten. Musik schallte aus Handys und Lachen aus den Mündern. Für Augenblicke traten die grassierende Pandemie, der Frust über geschlossene Bars und Discos und verbotenen Feten in den Hintergrund. Das Hier und Jetzt war ihnen das allein Entscheidende.
Das Besondere wird nicht bemerkt
Und dieses Besondere, das sich im Rücken der auf den Stufen Sitzenden erhob, ist ein wahrer Brilliant. Dabei wussten diese Jugendlichen wohl nicht einmal, dass drei verschiedene Teile dieses Ensemble ausmachen. Neben der Fontäne mit dem Baldachin gab es das Brunnenhaus auf der anderen Seite des Platzes unmittelbar neben dem ältesten Hochhaus der Stadt und einen Trinkbrunnen an der Wand des in die Jahre gekommenen Wohnhauses.
Gebaut wurde der Brunnen in den Jahren 1832 bis 1836 von Zimmermeister Siemen. Der Zweck war, die rasch wachsende Neustadt mit Trinkwasser zu versorgen. Bergleute aus dem Erzgebirge bohrten ein Loch 243 Meter in die Tiefe. Heraus schoss das Wasser auf natürlichem Wege. Der Grund lag in der Kessellage der Stadt und im natürlichen Gefälle der Wasseradern aus dem Süden und Südwesten, die sich zwischen undurchlässigen Bodenschichten unter der Elbe aufstauten. Die Temperatur betrug gleichbleibend rund 17 Grad. Übrigens wollte man am Antonplatz in der Altstadt ebenfalls einen artesischen Brunnen errichten, aber das Wasser erreichte nicht einmal die Oberfläche. Das rief bei den sonst immer stiefmütterlich behandelten Neustädtern Schadenfreude und einen gewissen Stolz hervor.
Obwohl das Grünflächenamt als Betreiber des Brunnens ständig darauf hinwies, dass das Wasser keine Trinkwasserqualität besitze, nutzten doch viele bis heute das Tiefenwässerchen für Kaffee oder Tee. Es solle nämlich eine geringe Wasserhärte haben und von gutem Geschmack sein.
Der richtige Schliff war gefragt
Und dafür sorgte 1906 der damalige Stadtbaurat Hans Erlwein. Er war seit 1905 am Wirken und für die Stadt ein Glücksgriff, obwohl er auch nicht wenige Gegner hatte. Er stellte über die Fontäne ein Rundtempelchen und verwandelte das Becken in einen Goldfischteich. Die vergoldeten Verzierungen erstrahlten besonders bei Sonnenschein. Damit bekam der unscheinbare Brunnen etwas Erhabenes und der Albertplatz einen funkelnden nördlichen Abschluss. Die Kosten beliefen sich damals auf rund 27.000 Mark (heute wären das etwa 150.000 Euro).
Die Dresdner Nachrichten schrieben in ihrer Frühausgabe vom 19. April 1906: „Acht gegen 3 Meter hohe inische Sälen tragen das laubenartig geschwungene Dach des kleinen offenen Rundtempels. Das Dach schmückt außerdem ein durchbrochener Ring von vergoldeten Kränzen und Blattgewinden. Die einzelnen Säulen sind durch Girlanden miteinander verbunden.“
Die neuen Leiden eines alten Brunnens
Nach fast zweihundert Jahren leidet der Brunnen an einer Art Prostatavergrößerung. Naja, er sprudelt halt nicht mehr so kräftig wie in jüngeren Jahren. In besseren Zeiten soll die Fontäne mal einen halben Meter hoch gewesen sein.
Dazu kommen starke Algenbildungen und immer wieder mutwillige Verunreinigungen im Goldfischbecken. Zwar werden immer mal wieder welche eingesetzt, aber die dienen wohl eher dem Appetit verschiedener Vögel.
Und die Menschen? Die vergreifen sich nicht an den Fischen. Ist an denen auch kaum was dran. Die meist jugendlichen Zeitgenossen nutzen ihn des Tags und des Nachts als Treffpunkt zum Kennenlernen, als Palavereckchen und Rastplatz, um eine Pizza zu verspeisen. Das hätte Erlwein sicher gefreut. Auch wenn sie sich über Herkunft, Geschichte und Hintergründe kaum einen Kopf machen. Obwohl – geputzt werden könnte der Brunnen wohl mal öfters.
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür hat der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek durchstöbert.