70 Jahre – Herzlichen Glückwunsch altes Haus. Auch wenn Du aktuell wegen der geplanten Sanierung geschlossen bist und auch im Blechschloss auf Deinem berühmten Vorplatz aktuell pandemiebedingt nicht so viel los ist, sei es gerade jetzt mal gesagt. Danke, dass es Dich gibt. So als Mittelpunkt im Herzen der Äußeren Neustadt. Gelegenheit, sich mal zurück zu lehnen und die Geschichte Revue passieren zu lassen.
Vor dem Krieg, also genauer gesagt bis zum Februar 1945 befanden sich auf dem Grundstück Alaunstraße 36 bis 40 drei Häuser eines Turnvereins, angeblich soll sogar der kleine Kästner hier schon gymnastische Übungen absolviert haben. Die Äußere Neustadt wurde beim Bombenangriff zwar weitestgehend verschont, aber die Häuser, wie auch die gegenüberliegenden und die an der Ecke zur Louisenstraße wurden zerstört.
1951 wurde der Jugendklub errichtet. Ursprünglich, so die Legende, sollte er nach dem damaligen spitzbärtigen Staats- und Volkslenker Walter Ulbricht benannt werden. Der aber soll gesagt haben: „Dieser Scheune gebe ich meinen Namen nicht.“ Belegen lässt sich die Legende nicht mehr, klingt aber gut, denn der dann am 21. Dezember 1951 eingeführte Name „Jugendheim Martin Andersen Nexö“ hat sich nie etabliert.
Gab es anfangs Nähzirkel und Fotokurse, zog bald schon die Musike ein. In den 1960er soll hier der Lipsi getanzt worden sein. Kapellen schmetterten damals schon live dazu. In den 1980ern veränderte sich mit dem Viertel auch die Scheune. Sogenannte Blueser, Hirschbeutelträger und Langhaarige wurden des Öfteren gesehen. Auch die zarten Subkulturpflänzchen HipHop und Punkrock schlugen unter Programm-Direktor Gunther Neustadt erste Wurzeln.
Pogo und Schweißtropfen
Auch mich hat die Scheune oft angezogen, aufgesogen und ausgepumpt wieder ausgespuckt. Zu unzähligen Konzerten habe ich hier das Tanzbein geschwungen oder zumindest cool mit dem großen Zeh gewippt. Müßig, die Bandnamen alle aufzuzählen. Und schwer vorstellbar, dass damals alle (wirklich alle) im großen Saal geraucht haben und die einzige Erfrischung in Form von kondensiertem Schweiß von der Decke tropfte. Hier am Balkon der Neustadt hat Monarch Gregor einst die Bunte Republik ausgerufen. Wir saßen auf der Brache gegenüber und warteten auf die Bands.
In den frühen 1990ern war es eine Art Sport, den Eintritt zu sparen. Es gab sogar ein Video, wie man bis zum Obergeschoss klettert. Ein anderes Mal organisierte ein kleiner Trupp eine große Leiter, die reichte bis zum Damen-Klo. An der Tür dann die Überraschung: Auch hier stand jemand und kassierte Eintritt. Shit happens. Bei einem Punkrock-Konzert hatte ich vor lauter Hitze meine Jacke in die Ecke geknallt. Nach dem Konzert war natürlich mein Portemonnaie weg. Ein halbes Jahr später sprach mich eine junge Frau auf der Straße an: „Eh, wir haben noch Deinen Geldbeutel in der Garderobe rumliegen“. Mein alter DDR-Ausweis und die fünf Mark waren natürlich noch drin.
Aber die Scheune hatte nicht nur Freunde. Ein benachbarter Hausbesitzer hat sogar mal Unterschriften für einen Abriss gesammelt und die Fraktion der Haar- und Kragenlosen musste auch immer mal wieder anrücken und Flaschenzielübungen durchführen. Die Scheune hat das alles überstanden und sich mit der Neustadt verändert, das musikalische Angebot wurde in den vergangenen Jahren immer breiter. HipHop, Techno, Theater, Poetry Slams, Lesungen, Kino, Filzstiftwettbewerbe, Podium-Diskussionen. Jeder Abend ist anders. Darüberhinaus hat das Café an Fleisch verloren.
Umbau geplant
Nun also der Umbau. Der verzögerte Baubeginn lässt schon mal das Schlimmste befürchten. Der Verein hofft auf knackige zwei Jahre, organisiert, pandemisch ausgebremst, schon fett Konzerte in Ausweichlocations. Die große Frage bleibt, wird die Scheune den Namen nach dem Umbau noch verdienen? Oder verwandelt sich das Gebäude ähnlich steril, wie es der Vorplatz geworden ist. Obwohl – inzwischen ist der auch schon mit ordentlich Patina belegt. Das schafft dann sicher auch das Publikum im frisch renovierten Haus ganz schnell.
Liebe Scheune, zu Deinem Geburtstag wünsche ich Dir, dass Du immer so schön jung, wild und authentisch bleibst – und mit dem Umbau nicht zu dicke wirst.
Scheune wird 70
- Historische Bilder in der Scheune-Facebookgruppe
- Schöner Hörfunkbeitrag im Mitteldeutschen Rundfunk
Zu erwähnen ist auch noch, dass sich in den 70er Jahren im Erdgeschoss ein Standesamt befand. Ich selbst habe dort 1977 geheiratet. Seltsamer Weise ist das selbst älteren Neustadtbewohnern kaum bekannt.
Ah, danke für den Hinweis. Ja, davon hab ich auch schon einmal gehört.