Güterbahnhof Dresden-Neustadt, 21. Januar 1942. 224 Menschen treten eine unfreiwillige Reise an, die vier Tage dauern wird. Tage in erst überheizten, dann dem Frost ausgelieferten Wagen mit verschlossenen Fenstern und Türen, direkt gefolgt von einem Fußmarsch, der schließlich im Ghetto von Riga endet.
80 Jahre seit der ersten Deportation aus Dresden
224 sächsische Jüdinnen und Juden, die auf Beschluss der Wannsee-Konferenz am Vorabend mit dem ersten Transport aus dem Regierungsbezirk Dresden-Bautzen, nennen wir die Reise beim Namen, werden deportiert, nur 17 überleben. Bis 1944 bleibt der Bahnhof Ausgangspunkt und Zwischenstation von Deportationen in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager.
Um daran zu erinnern, findet diese Woche anlässlich des 80. Jahrestags der ersten Deportation ein Gedenktag statt. Er soll ins Gedächtnis rufen, worauf momentan lediglich eine Tafel am Bahnhof Neustadt aufmerksam macht. Am eigentlichen Ort des Geschehens, also dem Alten Leipziger Bahnhof, zeugt nichts von diesem so wichtigen wie erschütternden Teil der Geschichte.
Und das, obwohl sogar der Stadtrat letztes Jahr beschlossen hat, dort einen Erinnerungsort zu schaffen. Von dieser Seite bisher nicht viel mehr als Worte. Und dann kam der 9. November, die öffentlichen Veranstaltungen zum Gedenken an die Reichspogromnacht wurden pandemiebedingt abgesagt, während sich gleichzeitig Pegida nicht zu schade war, just an diesem Tag eine weitere Demonstration mit Kundgebung des vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD-Politikers Andreas Kalbitz abzuhalten.
Veranstaltungen für öffentliche Präsenz
„Da dachten wir uns, das reicht jetzt, wir müssen was machen“, erklärt Rita Kunert von „Herz statt Hetze“ und erzählt, wie sich daraufhin schnell ein Bündnis aus Zivilgesellschaft und zahlreichen Vereinen zusammenfand, darunter mehrere jüdische Gemeinden, die Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Dresdner Oberbürgermeister.
Gemeinsam rufen sie diese Woche zum Gedenken auf. Am Donnerstag werden ab 18 Uhr jüdische Akteur*innen aus der Stadt zu Wort kommen. Auch die Frage, wie attraktiv es für Jüdinnen und Juden heute ist, hier zu leben, wird im Raum stehen. Übertragen wird die Veranstaltung zusätzlich im Livestream.
Am Freitagabend dann soll Raum sein für individuelles Erinnern. Ganztägig können am Alten Leipziger Bahnhof Kerzen aufgestellt werden. Hinterlegt werden beide Veranstaltungen von einer Tonspur aus dem Dresdner Audiostadtrundgang „audioscript“ sowie einer Installation des Künstlers David Adam.
Wann? Wie viele? Wohin?
„Schon länger haben wir uns Gedanken gemacht, wie wir mit der Geschichte dieses Ortes umgehen können“, spielt David darauf an, dass die Ateliers, Probe- und Veranstaltungsräumen des Vereins Hanse 3, in dessen Vorstand er ist, genau auf besagtem Gelände beheimatet sind.
Als erstes Resultat werden nun am Donnerstag drei Tafeln aus Emaille an der Ruine des ehemaligen Bahnhofs angebracht. Wann? Wie viele? Wohin? Diese Fragen sollen zum Nachdenken anregen. Antworten darauf, also Informationen über Deportationen aus Dresden, hat der Künstler auf einer Website zusammengetragen, zu der ein QR-Code auf einer weiteren Tafel führt.
Die Tafeln werden auch nach dem Gedenktag bleiben. Vielleicht markieren sie ja einen Anfang, aus dem Alten Leipziger Bahnhof wirklich den Ort des Erinnerns zu machen, der er sein kann und werden soll.
Gedenkveranstaltungen am Alten Leipziger Bahnhof, Eisenbahnstraße 1
- Donnerstag, 18 Uhr Gedenkkundgebung
- Freitag ganztägig Kerzenaufstellen
- mehr Infos und Zugang zum Livestream auf der Seite von Herz statt Hetze
Nachtrag 20. Januar
Im Gedenken an die Ereignisse legte heute Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Linke) gemeinsam mit Michael Hurshell, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und dem Künstler David Adam am Alten Leipziger Bahnhof ein Blumengebinde nieder. „Zur Geschichte der Stadt Dresden gehört nicht nur das reiche kulturelle Erbe, sondern auch die Ereignisse während der NS-Diktatur, die auf die Vernichtung jüdischen Lebens abzielte. Deshalb ist es mein Anliegen, nicht nur anlässlich des 80. Jahrestages der Deportationen am Alten Leipziger Bahnhof zu gedenken, sondern diesen Ort gemeinsam mit Initiativen der Zivilgesellschaft zu einem Erinnerungs- und Gedenkort zu entwickeln. In Erinnerung an die Opfer sind wir in der Verantwortung, die Orte des Geschehens im kollektiven Bewusstsein der Stadtgesellschaft zu verankern“, sagt Annekatrin Klepsch. „Mein Dank gilt deshalb auch der Initiative „Herz statt Hetze“ und der vor Ort ansässigen Künstlergemeinschaft Hanse 3 e. V., eigens für diesen Anlass eine Gedenkveranstaltung zu organisieren und damit die Stadtgesellschaft für dieses Thema zu sensibilisieren“, so Klepsch weiter.