Zweiter Teil der Serie zum Alten Leipziger Bahnhof.
Die Aufnahme eines geregelten Fahrplanverkehrs wurde von der Bevölkerung sehr gut angenommen. Fortan wimmelte es an Menschen und Gütern auf dem Leipziger Bahnhof.
Seitdem der allgemeine Verkehr am 9. April 1839 aufgenommen wurde, verkürzte sich die Reisedauer in die Messestadt auf unter vier Stunden. Das fand im In- und Ausland große Anerkennung, berichtete Sächsische Dorfzeitung in ihrer Ausgabe vom 19. April 1839. Damals war aber von Postmeilen die Rede. Mit dieser Maßangabe kann heute keiner mehr was anfangen. Sie deutet auf eine Zeit, da es in den einzelnen deutschen Landen recht unterschiedliche Maße und Gewichte gab. Selbst in Sachsen verwendete man in den einzelnen Landesteilen noch unterschiedliche Maße. Und dazu kamen die unterschiedlichen Uhrzeiten und unterschiedliches Geld.
Ein Chaos, dass die beginnende Industrialisierung stark hemmte und Gift für den Handel und die zunehmende Mobilität war. Die sich immer rasender vollziehende Entwicklung verlangte geradezu nach Vereinheitlichung und Normierung. Ohne sie gäbe es ein noch größeres Kuddelmuddel zwischen den einzelnen Ländern.
Die Postmeile
In Sachsen stehen heute in vielen Städten und Dörfern teils wunderschön restaurierte Postmeilensäulen herum. Darauf sind die Entfernungen in Stunden angegeben. So betrug eine Stunde umgerechnet eine ½ Postmeile. Das Ganze ging auf einen königlichen Erlass vom starken August vom 12. April 1713 zurück, in dem er den Pfarrer und Kartografen Adam Friedrich Zürner1 beauftragte, ganz Sachsen neu zu vermessen.
Aber das war nicht der erste diesbezügliche Erlass. Den erließ August bereits 1695. Die Messungen waren nur ungenau. Deshalb musste Zürner ran. Ab dem 17. März 1722 gab es endlich die Vereinheitlichung. Danach betrug eine Kursächsische Postmeile = zwei Wegstunden (gemessen zu Fuß) = 2.000 Dresdner Ruten = 9,062 Kilometer. Mit dem Erlass vom 7. Dezember 1840 betrug dann im Königreich Sachsen eine Postmeile 7,5 Kilometer.
Der rasche Erfolg der Eisenbahn
Mit Stolz wurden von der Leipzig-Dresdner Dampfeisenbahngesellschaft die ersten statistischen Erhebungen veröffentlicht. So fuhren (ohne die Eröffnungszüge vom 7. und 8. April) zwischen den 9. und dem 13. April 1839 24 Züge mit 8.103 Personen. Diese brachten der Gesellschaft Einnahmen von 8.935 Thaler und ein Groschen2. Seit der Gründung des Deutschen Zollvereins3 war der Thaler die deutsche Einheitswährung. Nur im Kleingeld gab es Unterschiede. Im Gegensatz zu Preußen ging Sachsen beim Kleingeld bereits den modernen Weg zum Dezimalsystem. Die Aktionäre der Bahn strichen übrigens von Anfang an satte Gewinne ein.
Wo Gewinn, da Betrug
Der Betrug fiel auf, als ein Zugschaffner kurz nach der Abfahrt aus den Leipziger Bahnhof den Fahrschein eines Herr etwas genauer betrachtete. Irgendetwas schien mit diesem Papier nicht zu stimmen. Er zog den Schein ein. In der Folgezeit gab es noch mehr Eigenartigkeiten und die eingeschaltete Polizei kam einer Gaunerei auf die Spur.
Wenn sich schon die Großen bereicherten, wenn auch ganz legal, dann entwickelten beizeiten auch die kleinen Gauner kreative Geschäftsmodelle, um ein paar Krümel vom Kuchen abzubekommen.
Doch die Polizei konnte den Ursprung der Betrugskette nicht finden. Das Direktorium ging deshalb in die Offensive und schaltete die Presse ein. In der Sächsischen Dorfzeitung vom 31. Januar 1840 wurde für die Auffindung des kreativen Urhebers eine Belohnung in Höhe von 200 Thalern4 ausgesetzt, ein für die damalige Zeit stattlicher Betrag.
Wie und was wurde gefälscht?
Nach Angaben der Polizei der Residenz konnte man die falschen von den echten Fahrscheinen folgendermaßen unterscheiden:
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1) Das Papier der Fälschung war weicher, stärker und weniger durchsichtig.
2) Die Wasserzeichen, bestehend aus der Rundschrift im Medaillon und der Figur eines Dampfwagens fehlen ganz und sind meistenteils durch einen scharfen, auf das Papier gebrachten Eindruck nachgeahmt.
3) Die Grundfarbe erscheint matt und bei der Mehrzahl der vorgekommenen falschen Scheine in das Rötliche fallend.
4) Der Druck ist durchgängig unbestimmt und stumpf, der Unterdruck verwischt und unrein, die Strahlen und Perlen im Medaillon sind augenfällig verunstaltet.
5) Die letzte Zeile: ‚Druck und Papier‘ ist auffallend schlecht gelungen und kaum lesbar.
Dem fügte die Redaktion der Sächsischen Dorfzeitung noch einige Fälschungsmerkmale hinzu,
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a) dass die im oberen Felde in verzogener Kanzleischrift befindlichen Worte ‚Ein Thaler‘, ebenso auch diese an den Seiten stehende Worte in verzogener französischer Schreibschrift auffallend grob wiedergegeben sind;
b) dass die Kleeblätter am unteren Felde nicht fein schraffiert, sondern weiß gelassen sind.
Hieraus erahnt man, dass diese Fahrkarten fast Kunstwerke waren und sich als Sammlerobjekte eigneten. Ob die Fälscher, deren Mitgauner diese Karten offen unter die Leute brachten, jemals gefasst wurden und welchen Wert Fälschungen heute hätten5, entzieht sich unserer Kenntnis.
Anmerkungen
1 mehr zu Adam Friedrich Zürner in der Wikipedia.
2 das entspricht heute in etwa einem Gegenwert von 318.086 Euro. (Quelle: „Liste der Kaufkraftäquivalenten historischen Beträge in deutscher Währung“, Deutsche Bundesbank, Stand Januar 2022)
3 Infos zum Deutschen Zollverein im Deutschen Historischen Museum.
4 heute rund 7860 Euro.
5 Falls jemand unter den Lesern über ein solches Exemplar verfügt, kann sich gern in der Redaktion melden. Wir würden mit Erlaubnis des Sammlers eine Kopie veröffentlichen.
Dresdens erster Fernbahnhof
Erster Teil einer kleinen Reihe zu dem Bahnhof, der heute als Alter Leipziger Bahnhof bekannt ist. Wer sich für detaillierte technische Informationen zur Leipzig-Dresdner Eisenbahn interessiert, findet in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek, in der Städtischen Bibliotheken sowie im Internet sehr reichhaltige Literatur. Diese Reihe befasst sich mit den Geschichten am Rande, die mit Realem und Fiktivem verwoben sind.
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek.