Die berühmte Dresdner Frühjahrsfestivalitis hat uns nach einem gewissen Päuschen wieder – und mittendrin die Scheune als Verein ohne großes Haus. Und war es in den Jahren der ersten beiden Dekaden des dritten Jahrtausends eher eine terminliche Überforderung für offene Kulturfreunde, die erst im heißen Sommer mit dem Schaubudensommer endete, ist es jetzt eine neue Lust mit der Kultur im Überschwang.
Doch nun wartet die sechste Runde von MusicMatch, einer Mischung aus Fachkongress und Fanfestival, welches als Scheune-Projekt 2022 am Freitag und Sonnabend vorwiegend in die Schauburg und den Ostpol ausweicht, aber auch im Blechschloss auf der Alaunstraße vier Konzertereignisse bereit hält, die laut und schräg werden dürften.
Music for a new Society
Beim Vororttermin am Gründonnerstag wird just dafür das große Plakat gehisst: Es verheißt das Motto: „Music for a new Society“ und hat durchaus einen emanzipatorischen Ansatz – einerseits vom Kongressprogramm her, andererseits von der Musikauswahl, denn die beiden Abende werden von je vier Konzerten (je zwei in Blechschloss und Schauburg) abgeschlossen, deren Protagonistinnen man durchaus als feministisch bezeichnen darf. Als Organisatoren stehen drei Männer Rede und Antwort: Frank Schöne, Lennart Happe und Ben Zschorn.
Ben Zschorn ist gebürtiger Thüringer des Jahrganges 1992, der fürs Jura-Studium, später auch jenes der Musikwissenschaft, nach Dresden geriet. Er ist bei der Scheune verantwortlich für Bildungsprogramme wie zum Beispiel die Scheune-Akademie, aber auch der Experte für Förderprogramme und schon seit der zweite Ausgabe 2017 dabei und erläutert die Exegese von MusicMatch: „Wir haben in Sachsen einen Anlaufpunkt vermisst, eine Art Sprachrohr für die Kulturschaffenden in der Musikszene, wo unsere Themen gesammelt und formuliert werden, um sie Politik und Verwaltung zu vermitteln.“
Es sollte auf jeden Fall ein jährliches Treffen werden – der erste Versuch einer Messe in Leipzig war rasch wieder eingeschlafen. Das langfristige Ziel sollte aber schon sein – so wie in anderen Bundesländern – eine Art Büro zu etablieren, was die landesweiten Aktivitäten lobbymäßig zu bündeln vermag. Nicht nur für die Musikakteure, sondern durchaus offen für Klubs, Verlage oder Labels. Die Idee stammt von 2014, zwei Jahre später, also 2016 war dann die erste Ausgabe, 2020 fiel es ganz aus, 2021 gab es eine Online-Ausgabe. Nun also wieder richtig.
Showcase-Festival
Mittlerweile habe sich, so Zschorn, das Format des Showcase-Festivals durchgesetzt. Die Zielgruppe sieht er beim Kongressanteil in allen haupt- oder nebenberuflichen Leute der Musik- und Klubbranche – aber auch in all den vielen Ehrenamtlichen, die die Läden überall im Land sonst am Laufen halten. Das Musikprogramm sei hingegen für alle Neugierigen, die gern über den Tellerrand hinausschauen. Der Schwerpunkt bei MusicMatch liegt auf Livemusik, Partymusik wird weitestgehend ausgeklammert.
Lennart Happe, ist Bielefelder des Jahrgangs 1992 und ebenso wie Zschorn wegen des TU-Studiums eingewandert: Kommunikationsforschung als Bachelor, studiert derzeit noch in Görlitz Soziologie des sozialen Wandels und und arbeitet nebenher an der Scheue. Hier entwickelt er just das Scheune-Nachhaltigkeitskonzept. Er kommt musikalisch aus der elektronischen Ecke und bezeichnet Tolerave als seine „erste Freizeitfalle“, die ihn aber 2020 als offizielle studentische Hilfskraft zur Scheune brachte.
Scheune auf Tour
Frank Schöne, Räckelwitzer des Jahrgangs 1976, ist seit 2014 Scheune-Booker. Er bucht und betreut die Künstler. „Es ist schon nicht einfach, das Format mit einem politischen Anspruch und aktuellen Themen auch beim Musikpublikum zu etablieren.“ Er hält das Programm seither für viel griffiger – als wenn man es alljährlich nur von der Meta-Ebene der Vernetzung der Szene betrachtet. Er verweist auf den nun anstehenden Kompromiss. Bislang hatte man ja mit der Scheune ein großes Haus, wo alles Platz hatte.
Nun spielt man Gastspiele – hat den Konzertraum im Blechschloss und ein großes Kino zu bespielen. „Man kann in der Schauburg nicht jede Art von Band auf die Bühne stellen. Aber dort geht halt vielleicht auch anderes als hier. Ich merke jetzt ziemlich genau, welches Haus welche Zielgruppe zieht, jeder Laden hat da seine Besonderheiten.“ So sei die Schauburg mit gemütlichen Sesseln schön dunkel, so dass man sich gut auf komplexere Sachen einlassen kann. Er verweist auf Evîn, die dort besser funktioniert.
„Verdammt langweilige Typen“
Dabei war es eigentlich gar nicht die Absicht, ein rein weibliches Programm auf die Bühne zu stellen. „Doch es gibt es derzeit viele tolle Frauen und verdammt langweilige Typen“, schmunzelt Schöne. Auf eine persönliche Favoritin will er sich nicht festlegen, es seien alle gut. Ben Zschorn plädiert für den einzigen internationlen Act: Siksa aus Polen – mit Konzert am Sonnabend (21 Uhr) im Blechschloss – und deren vorgelagerten Artists-Talk in der Schauburg (14 Uhr). Auch Lennart Happe findet Siksa inhaltlich am spannendsten, aber: „Am meisten Bock habe ich auf Lisaholic, eine rappende wie beatboxende DIY-Queen aus München“, die mit Älice am Freitag das Blechschloss rockt.
Die Eröffnung findet am Freitag (18.30 Uhr) im Fritz-Lang-Saal statt. Wobei danach in Kooperation mit dem Klubnetz Dresden die derzeit akuten Konfliktfelder diskutiert werden. Happe ist wichtig, dass sich auch die Kulturakteure, die manchmal für den abendlichen Lärm angegiftet werden, dort einbringen. Sie werde auf jeden Fall besser als jene im RoRo-Gymnasium vor zwei Wochen, wo das schiefe Eck nach diversen Parteifreibieren einrückte. Im Anschluss folgt die britische Doku „On the Road with Independent Venue Week“. Die präsentiert das Leben der kleinen Klubs auf der Insel, vorgestellt von Radiohead-Drummer Philip Selway und mit Nick Mason von Pink Floyd und Adrian Utley von Portishead.
Mentale Gesundheit im Ostpol
Bei der Frage nach der dreifachen Männlichkeit im Team kontert Zschorn im Namen des Trios. „Wir sind halt die, die im Haus dafür zuständig sind.“ Es gehe doch bei der Frage nach Diversität vor allem um Gerechtigkeit – auch wir haben etwas von einer besseren Welt. Und er verweist auf den Kooperationspartner namens „Pop Impuls“ – ein taffes Damentrio, angesiedelt beim Landesverband für Kreativwirtschaft.
Die bieten das Konferenzprogramm am Sonnabend mit „Kunst vs. Kommerz“ (10 Uhr) oder „Solopower vs. Kollektiv?“ (12 Uhr), aber auch mentale Gesundheit oder um smarte Technologien als kreative Werkzeuge (nachmittags im Ostpol). Alle drei hoffen, dass jene rund einhundert Fachbesucher von 2019 wieder kommen. Die geplante Kapazität liege bei zirka 200 Leuten pro Abend. Es gibt erstaunlicherweise für all das noch Karten: Das Festivalticket fürs ganze Programm kostet 30 Euro. Ermäßigte zahlen die Hälfte – für einzelne Veranstaltungen gibt es zusätzlich separate Karten.