Ein Kurzkrimi aus dem Buch „Historische Kriminalfälle aus Sachsen“ von Dietmar Sehn.
An der Nordstraße steht ein bisschen versteckt das wunderbare Kraszeweski-Museum. Józef Ignacy Kraszewski war Patriot, Schriftsteller, Historiker, Maler, Komponist. Er hat viel, zwar nicht immer richtig, aber auf jeden Fall viel über die sächsische Geschichte geschrieben. Insgesamt hat er etwa 240 Romane und Erzählungen verfasst. Heute wäre sein 210. Geburtstag.
Kraszewski, geboren am 28. Juli 1812 in Warschau, stammte aus einer polnischen Adelsfamilie und zählte zu den schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit. Es ging aber das Gerücht umher, der Pole ist ein Spion.
1830 wurde Kraszewski bei der Novemberrevolte, auch Polnisch-Russischer Krieg genannt, verhaftet und zum Tode verurteilt, zwei Jahre später begnadigt. Einige Jahrzehnte später, nach dem polnischen Januaraufstand im Jahre 1863 floh Kraszewski aus dem Königreich Polen, um einer Verbannung nach Sibirien zu entgehen. Ihm erging es wie tausenden Freiheitskämpfern, die sich für die nationale Unabhängigkeit Polens eingesetzt hatten. Viele der Flüchtlinge kamen nach Sachsen und wurden im Allgemeinen herzlich empfangen, eine sogenannte „Polenbegeisterung“ war entfacht. Kraszewski wählte Dresden als Aufenthaltsort.
Um die Zustände im damaligen Polen verstehen zu können, muss man sich vergegenwärtigen, dass Anfang 1863 die „Roten“ zum Aufstand rüsteten, am 12. Januar brach die Revolution los. Markgraf Wielopolski sah das „Heil seines Landes“ im Anschluss an das zaristische Russland, was in Teilen der Bevölkerung auf Widerstand stieß. Zahlreiche Polen kämpften für die Selbständigkeit ihres Volkes. Das Nachbarland Preußen unter Ministerpräsident Otto von Bismarck, der auch gleichzeitig erster Reichskanzler des Deutschen Reiches war, befürchtete Ansprüche auf preußisches Gebiet.
Kraszewski ein Spion?
Kraszewski hatte die russische Regierung, die logischerweise nicht auf der Seite der Aufständischen stehen konnte, in einigen Zeitungsartikeln scharf angegriffen. Nun befand er sich in einem Land, dessen Polizei im Einvernehmen mit dem zaristischen Botschafter handelte. So verfolgte der vertriebene Journalist und Literat die Geschehnisse in seiner Heimat mit besonderem Interesse. Kraszewski, ein Mann von kleiner Statur, mit hoher Stirn und langem Rauschebart, lebte zurückgezogen in einer Mietwohnung. Unter den argwöhnischen Blicken der sächsischen Behörden, welche jede Aktivität der polnischen Emigranten aus Angst vor sogenannten „Insurgenten“, also „aufständigen Leuten“, minutiös registrierten, war der Aufenthalt in Dresden weder sicher noch angenehm. Auch bekannte Personen entgingen kaum einer peniblen und geheimen Überprüfung.
Kraszewski informierte die Familie regelmäßig über seine Situation, auch mit seinem polnischen Verleger Leopold Kronenberg stand er in schriftlicher Verbindung. Kronenberg, jüdischer Bankier und Herausgeber der liberal-patriotischen Zeitung „Dresdner Tageblatt“, schätzte Kraszeweskis Fähigkeiten und hatte ihn als Chefredakteur eingesetzt. Unter seiner Verantwortung entstand eine Zeitung, die konkret zu nationalen Themen Stellung bezog, die Auflage stieg innerhalb kurzer Zeit um das Zehnfache. Die Briefe an Kronenberg trugen meist allgemeinen Charakter, Gesundheitsprobleme, Wetterberichte, Danksagungen, Wünsche – Kraszewski verwendete Codeworte. Das Tageblatt verwendete seine Beiträge unter Pseudonym.
Kraszewski benötigte die Honorare zum Leben, Vorträge und Unterrichtsstunden über polnische Literatur an der Dresdner Universität, brachten zusätzliche Einnahmen. Die Zeit eilte dahin und schon war ein weiterer Monat vorüber. Nun war eine neue Aufenthaltsgenehmigung notwendig. Diesmal bekam er eine Genehmigung für ein halbes Jahr, die Begründung dafür: „Ihr Verhalten ist in Ordnung, es gibt nichts Bedenkliches anzumerken.“
Kraszewski antwortete: „Ich habe nicht die Absicht, ewig in Dresden zu bleiben. Ich möchte zurück in meine Heimat, nach Polen. Aber das ist derzeit nicht möglich, bin nach wie vor des Landes verwiesen, stehe weiterhin auf der Fahndungsliste.“
Das neue Leben bereitete dem Polen einige Schwierigkeiten. Der adlige Gutsbesitzer erlebte die „Zivilisation des Westens“, konnte sich mit den geordneten Verhältnissen nicht sofort anfreunden. Ihn überraschten akkurate und umständliche Behördenarbeit. Er beobachtete die Sachsen bei der Arbeit, bewunderte ihren Fleiß und lobte die viel gepriesene sächsische Gemütlichkeit.
Er stellte fest: „Die Leute lieben ihre Arbeit und sehen sie als Notwendigkeit an. Die Beamten dagegen reagieren amtsgemäß, verweisen auf Gesetzte und Verordnungen und erklären sie auf freundliche, aber kalte Art.“
Unerlaubte Reisen
Kraszewski wagte ohne Genehmigung eine Reise nach Polen. Kurz nach seiner Ankunft folgten die Schwierigkeiten. Die Polizei stellte ihn und nahm zu Protokoll: „Józef Ignacy Kraszewski wird unerlaubter Aufenthalt in Polen nachgewiesen. Diese Tatsache führt zur Abnahme des Passes!“
Er kehrte nach Dresden zurück, beantragte eine neue Aufenthaltsgenehmigung. Diesmal lief die Angelegenheit nicht so problemlos ab. Die Begründung lautete: „Die Bewilligung kann wegen Missbrauch des Gastrechtes nicht gegeben werden!“ Kraszewski wurde aufgefordert, Dresden binnen drei Tagen zu verlassen. Der 52-jährige Pole bat um einen Asylantrag und Klärung der Umstände.
Das Sächsische Innenministerium prüfte die Gründe, das Ergebnis lautete: „Kraszewski weilte nicht nur unerlaubt in Polen, sondern danach in Paris, dem Zentrum der polnischen Freiheitsbewegung. Es kann möglich sein, dass man Kraszewski zum diplomatischen Agenten der polnischen Nationalregierung für Dresden avancierte. Für Sachsen könnte dieser Fall staatspolitische Folgen haben. Letztendlich liegen gegenüber Herrn Józef Ignacy Kraszewski keine Unstimmigkeiten, Verstöße und dergleichen Vergehen vor. Seine Nähe zum polnischen Adel sind anzuerkennen.“
Entsprachen diese Aussagen der Wahrheit? Korrekt war, Kraszewski konnten keine Vergehen nachgewiesen werden, doch der damalige Polizeipräsident Karl August Schwauß (1816 bis 1906) hatte den Auftrag erhalten, ihn zu beobachten und Recherchen über seine Vergangenheit zu sammeln. Schwauß, ein Polizeichef mit der längsten Amtszeit, verfügte inzwischen über 400 Bedienstete. Bei seinem Amtsantritt betrug der Personalbestand nur 177 Polizeibeamte.
Der Emigrant durfte weiterhin in Dresden bleiben, fühlte sich jedoch in seiner Tätigkeit behindert. Immer wieder bereitete die Polizei Unannehmlichkeiten. Er wandte sich im September 1864 in einem Schreiben an den Innenminister von Beust. Kraszewski berief sich auf seine Bekanntschaft zum Generalkonsul Sachsens im Königreich Polen sowie dem französischen Minister. Kraszewski schrieb: „Ich habe als Christ, Pole und Mensch das Unglück und Elend meiner Landsleute gesehen und war und bin bemüht, ihnen zu helfen. Ich bestreite jedoch entschieden, jemals politische Funktionen gehabt zu haben. Ich möchte als Ansässiger und Bürger Sachsens gelten und bitte um Schutz und Unterstützung. Diesbezüglich weise ich auf das Gesetz des Bleiberechtes hin.“
Kraszewski und seine Wohnungen
In der Folgezeit wechselte Kraszewski die Wohnungen wie die Wäsche. Die Umzüge waren teilweise bedingt, oftmals jedoch gewollt. Er sagte dazu später: „Allein in Dresden musste ich, wenn ich nicht irre, elf- oder zwölfmal umziehen. Ich hatte ein Häuschen in Blasewitz, ein Haus an der Pillnitzer Straße, eine Druckerei auf der Ziegelstraße und endlich auch Häuser an der Nordstraße. Zur Miete wohnte ich in der Augustus-, Dippoldiswalder-, Seidnitzer- und Blumenstraße, es lässt sich nicht mehr aufzählen.“
Kraszewski versuchte immer wieder einen ständigen Aufenthaltsort zu bekommen. Er wollte nicht staatenlos sein und kämpfte um das Bürgerrecht der Stadt Krakau und somit die österreichische Staatsangehörigkeit. Seine Bemühungen hatten Erfolg. Kraszewski erwarb das Bürgerrecht.
Zudem wollte er ein weiteres Standbein aufbauen, liebäugelte mit dem Lehrstuhl für polnische Literatur an der Krakauer Universität, plante eine Mitarbeit am Krakauer Tageblatt „CZAS“.
Diese Bemühungen blieben erfolglos, ihn enttäuschte zugleich die Entwicklung in Galizien und Posen. Ein weiterer Grund der Unzufriedenheit war die finanzielle Situation. Kraszewski beschoss blitzartig, das Schreiben aufzugeben. Doch ein leidenschaftlicher Schreiber kann dies wohl kaum durchhalten. Zunächst ließ er aber das Papier wirklich unbeschrieben und kaufte eine Druckerei in Posen. Er hatte mit diesem Kauf gewiss auch andere Absichten. Schließlich konnte er mit der österreichischen Staatsangehörigkeit, und somit als Untertan des Kaisers Franz Joseph I. ungehindert Dresden verlassen und dorthin zurückkehren. Und das tat Kraszewski! Mit dem Erwerb der Druckerei konnte sich Kraszewski um die sächsische Staatsbürgerschaft bemühen. Zu Gute kam seine zunehmende Popularität.
Kraszewskis Popularität
Sein Name war in der Residenzstadt Dresden schnell publik geworden. Und Kraszewski hatte das Schreiben natürlich nicht aufgegeben. Eine Veröffentlichung folgte der anderen.
Außer Romanen war er Herausgeber verschiedener Zeitungen und Zeitschriften, so von „Omnibus“, „Rechnungen“, „Die Woche.“ Skizzen, Tagebücher, Abhandlungen, Briefe, Reisebeschreibungen, kunsthistorische und philosophische Schriften erschienen. Seine Werke wurden über Sachsens Grenzen bekannt und so war es wohl kein Wunder, dass er den italienischen St. Mauritius-Lazarus-Orden erhielt, eine besondere Auszeichnung Sachsens. Repräsentanten kamen nicht umhin, seine Verdienste anzuerkennen oder besser, sie taten so…
Am 1. April 1869 erhielt Kraszewski die Sächsische Staatsbürgerschaft. Er gelobte und schwor, seiner Majestät zu dienen. Dabei wurde der Pole nach wie vor vom Sächsischen Innenministerium scharf kontrolliert. Das Königliche Hofpostamt überwachte zudem den regen Briefverkehr. Für Kraszewski bot die Villa in der Dresdner Neustadt günstige Arbeitsbedingungen.
Er malte, komponierte, hier entstand die Sachsentrilogie, die bekannten Romane “Gräfin Cosel“, „Graf Brühl“, „Der Siebenjährige Krieg“. Kraszewski widerfuhr großes Glück. Die Leser mochten die Schreibe des fleißigen Emigranten und zeigten eifrig Interesse an der wechselvollen Sachsen-Geschichte. Allein in Dresden, seiner besten Zeit, verfasste der Autor 94 Bücher. Manche Historiker schüttelten zwar über seine Darstellungen nicht nur die Köpfe, sie verlangten historische Wahrheit, keine fälschliche Heimatgeschichte. Das Wettiner Haus klagte über Kraszewskis Romane, aber dem Autor störte diese Kritik nicht. Er war und blieb ein Vielschreiber und dennoch ein guter Schriftsteller.
Die Verhaftung des Polen
Im Jahre 1883 wurde Kraszewski in Berlin verhaftet. Reichskanzler Otto von Bismarck stellte ihn unter Anklage wegen Spionage für Frankreich. Das Faktenmaterial über seine politischen Aktivitäten reichte, um einen Prozess vor dem Reichsgericht zu beginnen. Das Urteil lautete: Dreieinhalb Jahre Festungshaft in Magdeburg, doch diese Strafe musste Kraszewski aus gesundheitlichen Gründen nicht gänzlich verbüßen. Er wurde nach anderthalb Jahren gegen eine Kaution von 30 000 Mark aus der Magdeburger Festungshaft entlassen. Er schrieb während der Haftzeit sein Alterswerk, erschienen in polnischer Sprache unter dem Titel “Zur Sachsenzeit“.
Die Anerkennung dieses Buches blieb ihm verwehrt. Er starb während eines Genesungsurlaubes am 19.März 1887 in Genf.
War Kraszewski nun ein Spion oder nicht? Auf diese Frage haben Historiker noch keine eindeutige Antwort parat.
Die Villa in der Dresdner Nordstraße ist heute ein Museum für den Dialog zwischen Deutschen und Polen.
Autor Dietmar Sehn
- Der Autor dieser Zeilen ist 1944 geboren und wurde in der Inneren Dresdner Neustadt geboren. In unregelmäßigen Abständen bereichern seine Texte das Neustadt-Geflüster. Er hat mehrere Dresden-Bücher geschrieben. Sein aktuelles Buch trägt den Titel „ Historische Kriminalfälle aus Sachsen“ und ist im Suttonverlag erschienen, ISBN: 9783963033001.