Es gibt viele gute Gründe, gerade für gereifte Kulturmenschen, den Freitagabendtrubel in der Äußeren Neustadt zu meiden. Am plausibelsten sind interessantere Kulturereignisse anderswo. Aber auch die Sensibilität bei der Beobachtung des Wandels im Zeitlauf gehört dazu.
Doch nun, wo Massenaufläufe wie die selige BRN wohl Geschichte sind und generell eine neue authentischere Kulturzeit beginnt, erregt die Beobachtung wieder die Sinne. So gehört die elfte Edition des „Neustadt Art Festival“, welches offenbar schon 2012 die neue Form der niedrigschwelligen wie selbstgemachten Angebote quasi-prophetisch vorfühlte, zur neuen Form der Festivalitis, welches sowohl der gemeinen Gleichzeitigkeit der immerwachen Welt als auch der neuen Unverbindlichkeit Rechnung trägt: mit wenig Geld und noch weniger Eintritt ein Angebot für viele schaffen, in dem die Grenze von Akteur und Besucher immer mehr verschwimmt.
Kozentrische Kreise
Da das Endziel – ein expressiver Provinzexpress voll diverser Nachtgestalten – feststeht, beginnen wir, klassisch ohne Netz und nur mit Fotoapparat, im Epizentrum, wo garantiert ein Prospekt vom „unkommerziellen Kunst- und Kulturfestival“ zu finden ist: die Mora Bar im Mondpalast. Dort ist just die erste Band durch und ein einsamer Liedermacher beim veritablen Soundcheck. Die Bar – gleichzeitig durchaus begehrte Rezeption – hat den Vorteil, dass man en passant den Kenntnisstand von Personal und Gästen erfahren kann.
So, dass man heute abend wie am ganzen Wochenende in der Neustadt keine Ruhe finden würde, da – so wie hier – überall was los sei. Auf der Bühne: Simon Hermann, ein Liedermacher, der sich als Künstler The Trees like Torches nennt und es (vermutlich ob spontaner Buchung) nicht mehr ins Programmheftchen schaffte.
Gitarre, Mundharmonika, Synthesizer plus ein warmes Ambiente und ein entspanntes erwartungsfrohes, nicht zu junges Publikum, doch gegen Leerlauf warten Alternativen: allein im Zeitfenster von 20 bis 22 Uhr laut Papier 15 Alternativen. Zum Beispiel in der Alten Fabrik auf der Prießnitzstraße.
Auch dort Pause nach dem Dresdner Kneipenchor (genauso jung wie das Festival), aber noch Riesengewusel im Hof ringsum den Storchenbaum, zwei verschiedene Bars locken zum Verweilen. Drin wummert der Soundcheck von Reaper’s Scythe – old school Heavy Metal ist versprochen, als Spendenbox dient ein Akustikgitarrenbauch. Hier, so ist zu erahnen, wird es wohl eine gute Aftershow geben.
Musik in Echtzeit
Weiter ins Stadtteilhaus. Dort ist alle paar Meter ein Erinnerungsbild an eine gewisse Seuchenzeit, so dass man vor lauter Angst gleich kehrt machen möchte.
Aber die Chronistenpflicht ist stärker. Oben sind noch die geschafften Künstlerinnen vom Trio Ophelia beim Abspannen, unten in der Wanne tobt eine echt interessante Tanzparty von Erwachsenen – beides ist nicht wirklich zum Ablichten geeignet, ohne zu stören. Dabei ist „Musik in Echtzeit“, kurz MIEZ als Jam-Session im Ex-Reinigungsbad, schon lange über die Zeit hinaus, aber als Geheimtipp zu empfehlen.
Weiter geht der NAF-Trip (mit Abstecher über die Mora Bar, wo Simon Hermann durchaus zu überzeugen weiß) gen Curry & Co. Dort, im ausstaffierten Hinterhof, wartet ein dunkler Solotrommler, zwanzig Menschen lauschen gespannt, im Programmheft steht „aftershow dub tunes“.
Weiter zu Lose, einer Kellerbar auf der Böhmischen Straße, wo eine bunte wie jung-internationale Truppe, größenteils auf Teppichen auf dem Boden rumlümmelt – die kommende Band lässt noch auf sich warten. Hier wartet auch Kunst – so am Eingang zwei Exemplare von „Techno in Fashion“ von sun.s_art aka Laura Michelle Schubert, wobei vor allem die beiden Masken in Rosenform ein Modehit werden dürften.
Der Weg zurück zeigt, dass das NAF sich quasi unspektakulär einschmiegt ins normale Neustädter Wochenendgeschehen – die Orte sind an den Rauchergrüppchen davor gut zu erkennen. Vor der Scheune dann spontane Straßenmusik – Klassiker der Rockgeschichte, durchaus passabel und schön laut den allgemeinen Lärm des Partyvolks übertönend. Am Sonnabend ist hier ab um Achte Stadtkind mit „HipHop in Bandstärke“ angesagt.
Im Fotolabor Görner ist nun schon alles dunkel, vor den Tanzschuppen sammeln sich erste Trauben, hinterm Neustädter Bahnhof tönt Hanse 3 mit MAT-Funk durch die Nacht, aber der Dieselnachtexpress ist nicht von der Bundesbahn und somit leider pünktlich.
Das episodische Bild, was hier gezeichnet wird, ergibt sich wohl für jeden NAF-Besucher von außerhalb zwangsläufig. Es ist eben nicht die BRN. Eher, was die BRN auch sein könnte. Wer wusste, wo man wann sein sollte, hatte seien Spaß. Es geht nicht um Laufkundschaft und nicht um Besucherrekorde. Das die Grenze von Akteur und Besucher aufgehoben wird, ist Programm, dass hat der Besucher aber immerhin begriffen.
PS: Unnötig verschraubt-intellektuelle Formulierungen heben nicht unbedingt die journalistische Qualität, sondern erschweren nur die Lesbarkeit. In diesem Fall, insbesondere zu Beginn des Textes, sehr.