Arme Menschen stöbern in den Bananenkisten der Dresdner Neustadt. Das ist ein falscher Satz. Jeder tut das. Denn es gibt nicht nur Etwas zu entdecken, sondern auch immer etwas Feines.
„Der Umsonstladen“ im Sonnenhof der Dresdner Neustadt will gar nicht in Konkurrenz mit den Bananenkisten gehen. Aber er bietet die klaren Vorteile: Größer, überdacht und ehrenamtlich organisiert. Man darf selbst etwas vorbeibringen, selbst einräumen und für sich selbst vielleicht noch etwas Schönes finden und mitnehmen.
collaps & recovery
2013 musste der Pieschener Wertstoffhof abfallGUT Dresden e.V. schließen. 1999 gegründet und von Beginn an gleichsam Wiederverwertungs- und Kunstraum, bekam man per Kreislaufwirtschaftsgesetz eine Wand vor die Tür gesetzt. Umstrukturierung der Entsorgungsträgerhierarchien. Kennt man.
Der Verein ging aber nicht unter. Sorry. Er behauptet sich in gewandelter Form bis heute. Über die Prießnitzstraße und einen Kamenzer-Straßen-Keller in den Sonnenhof an der Alaunstraße. Weiterhin mit der Intention: „Dem Kapitalismus im Kleinen eins auszuwischen“ wie Romy, eine der Mitarbeiterinnen schmunzelnd, aber sicher behauptet.
Kein Mensch braucht fünf Badezimmerteppiche
Der Laden funktioniert ohne Tauschkonzept. Man muss nichts bringen, um etwas mitzunehmen. Es gibt keine Reglementierung auf zwei oder drei Teile. Der Laden will genutzt sein. Einmal kam eine Lieferung von fünf Badezimmerteppichen. Es wurden gleich alle fünf Badezimmerteppiche von jemandem für sich reklamiert. Jemand anders beschwerte sich. Romy, gerade im Dienst, ermutigte dann dazu, miteinander zu sprechen.
Wenn in einem Raum die Lust nach einem neuen Kostümteil und die Not nach warmer Unterwäsche zusammenfallen, gibt es eben auch mal Spannungen und Diskussionen. „Kein Mensch braucht fünf Badezimmerteppiche“. Spricht man das offen aus, regelt sich das schon.
Gutsein, eine Erinnerung
Eine fest angestellte Kraft im Einzelhandel kann vielleicht beide Augen zudrücken, an den verdienten Feierabend denken, und einen allzu fordernden Kunden schnell vergessen. Im „Umsonstladen“ arbeiten alle immer während ihrer freien Zeit. Das möchte man in Erinnerung halten. Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander sollten daher gewahrt bleiben. Niemand aus dem Verein ist da, um etwas zu verkaufen. Es geht um solidarische Regulierung der ankommenden und zu verteilenden Waren.
Pflege und Nachhaltigkeit
Es funktioniert alles auf Spendenbasis. Die Mietkosten von vierhundert Euro monatlich werden ebenso durch Spenden beglichen wie die Ausstattung und das Inventar des „Umsonstladens“. Vielleicht möchte sich jemand einmalig oder als Stammspender beteiligen. Vielleicht persönlich vor Ort oder per Überweisung aufs Spendenkonto. Es gibt jedenfalls viele Aktionen und Kollaborationen, die der Verein mitgestaltet und die zum Mitmachen anregen.
Der Umsonstladen Dresden
- Alaunstraße 68 („Im Sonnenhof“), 01099 Dresden
- Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 17 bis 19 Uhr
- www.umsonstladendd.wordpress.com
Der Umsonstladen hat auch einen Telegram-Kanal mit Neuigkeiten
Toller Beitrag, schöner Laden. Danke!
So ein tolles Konzept und so viel Engagement!
Aber ein wirklich gut gemeinter Rat: Sortiert die Sachen selber ein!
Bei den Szenen, die sich dort abspielen, wenn jemand (wie wir auch) dort Sachen abgeben will, und massiv bedrängt und beschimpft wird, wenn man die Kleidung nicht direkt rausrücken will, braucht wirklich niemand, der helfen will. Von „Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander“ war da keine Rede mehr und hält Menschen davon ab, das noch einmal zu machen. Und das „Personal“ steht hilflos daneben. Und da sind wir nicht alleine! Liebe Grüße
Hallo statler und waldorf,
hier die Position eines Ladengruppenmitglieds dazu:
Es tut mir leid, dass ihr diese Erfahrung gemacht habt. Leider lässt das Thema Höflichkeit und Respekt tatsächlich mitunter zu wünschen übrig.
Wir Ladendienstler:innen versuchen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu vermitteln, doch an dieser Stelle ist zu bedenken: Wir sind kein Personal. Wir sind die, die ehrenamtlich unsere Zeit und einen Raum für Austausch zur Verfügung stellen. Wir unterstützen gern, wenn irgendwo Reibungspunkte entstehen, doch wir übernehmen keine Verantwortung für die Situation.
Wir nehmen es euch dementsprechend auch nicht ab, eure eigenen Grenzen gegenüber anderen deutlich zu machen, auch wenn wir uns natürlich wünschen würden, dass das nicht notwendig wäre. Der Umsonstladen ist ein sozialer Raum und ja, hier treffen manchmal Welten aufeinander. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn man diesen Differenzen aus dem Weg gehen möchte und den Laden daher nicht nutzt. Das Ziel des Ladens ist es in meinen Augen jedoch nicht, ein hocheffizienter Umschlagplatz zu sein, sondern das soziale Miteinander mit seinen Herausforderungen anzunehmen und sich gemeinsam weiterzuentwickeln.
Es gibt Wohlfahrtsprojekte, bei denen man dem eigenen ökologischen Anliegen mit weniger sozialen Berührungspunkten nachgehen kann. Wir sind das nicht und werden das wohl auch zukünftig nicht sein. Ich freue mich über euer Lob und eure Anerkennung und hoffe aufrichtig, dass ihr euch weiterhin einbringt (wenn auch vielleicht nicht bei uns).
Alles Gute für euch!
@Ulala
Zunächst vielen Dank für die ausführliche Antwort!
Ein paar Gedanken dazu: einen freundlichen und respektvollen Umgang mit anderen Menschen erwarten wir grundsätzlich und hat erstmal nichts mit Eurer Einrichtung zu tun. Soziale Berührungspunkte scheuen wir nicht, ganz unabhängig vom Ort und der Situation. Und Euer Konzept ist uns klar und wir erwarten auch nicht, dass ihr Euch in diese Streitigkeiten einbringt. Nur ist es eben so, dass man u.U. das ganze etwas entspannen könnte, wenn die abgegebenen Dinge später sichtet und dann ggf. einsortiert werden. Das war mein wirklich nett gemeinter Hinweis. Nicht mehr und nicht weniger! Wir wünschen Euch weiter viel Erfolg und gute Laune bei eurem Engagement…… Liebe Grüße
PS: von so einem Erlebnis lassen wir uns sicher nicht davon abhalten, im Rahmen unserer Möglichkeiten hier und dort etwas Gutes zu tun.
@ statler und waldorf
Ich freue mich wirklich sehr über den konstruktiven Austausch zu dem Thema.
Natürlich sind wir daran interessiert, dass sich bei uns alle wohlfühlen können. Wir diskutieren häufig, wie wir das gut fördern können, und suchen fortlaufend nach guten Kompromissen. Es gibt daher z.B. Grundsätze und Regeln, die in verschiedenen Sprachen im Laden aushängen.
Solche Situationen werden unter uns Ladenöffnenden auch deshalb oft sehr individuell gehandhabt, da wir ganz unterschiedliche Persönlichkeiten und Ressourcen mitbringen. Die von euch vorgeschlagene Variante hat einige Vorteile und wird punktuell auch so umgesetzt. Als Dauerlösung hat sie für mich unter anderem folgende Nachteile:
Einerseits einen enormen Mehraufwand, da wir dann noch sehr lange nach der Schicht alles einsortieren müssten. Andererseits nimmt es die Chance auf Veränderung. Oft reicht bei diesen Aufeinandertreffen eine kurze Klärung, damit z.B. aufdringliche Personen zurückhaltender werden oder die einsortierende Person beim nächsten Mal selbstbewusster rückmeldet, was für sie okay ist und was nicht.
Mich motivieren solche kleinen Entwicklungen und vor allem der Umstand, dass ich die Atmosphäre im Laden meistens als interessiert und wertschätzend empfinde.
Danke für die lieben Wünsche und eure Perspektive!