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„Ornament und Vergebung“

Stefan Bürger ist gelernter Maler und Anstreicher, fortgebildeter Restaurator, Doktor der Kunstwissenschaft und Professor an der Universität Würzburg. Vom Fach also, wenn es um Bauwerksentstehung, Sanierungs- und Instandhaltungsprinzipien sowie Interpretation der Historizität von Baukunst geht. Außerdem ist er der Herausgeber des Buches „Ornament und Vergebung“, das er mit Hilfe seines Seminars in Würzburg getaltet hat.

Mit Bürger vor einer Fassade am Bischofsweg zu stehen, heißt Sehen lernen. Schnell entwickeln sich Geschichten, die von den Häusern immerzu erzählt werden. Manche Geschichte ist stärker, lauter (unmodern) und manche schwächer und glatter (modern). Aber alle Häuser sprechen. Man muss nur zuhören. Dazu verführt Bürgers Buch auch.

Der Nutzen von Zierde

1995 ist Bürger in den Bischofsweg 40 gezogen und hat die Bruchbude, die eine Wohnung werden sollte, von innen heraus saniert. Mit diesen Sanierungsarbeiten begannen auch Verzierungsarbeiten. Seine Ehefrau, Künstlerin, und Stefan Bürger begannen die Wohnungswände mit Ornamenten zu gestalten. Die Besitzerin des Hauses fand das so schön, dass sie sich diese Ornamente auch als Zierde aller Stockwerke im Treppenhaus gewünscht hat. Gesagt, getan.

Treppenhaus Bischofsweg 40: Stefan Bürgers Ornamentik
Treppenhaus Bischofsweg 40: Stefan Bürgers klassische Ornamentik

Schnörkel der Neustadt

Die Arbeit mit Ornamenten führte das Künstlerpaar in weitere Gebäude der Neustadt. Hier veränderte sich die Arbeit. Die Ornamente im Treppenhaus des Bischofswegs 40 waren ja Phantasiegebilde, die sich das Paar ausgedacht hat. Gründliche Untersuchungen waren der Ausgangsmoment für weitere Arbeiten. So entdeckte und restaurierte das Paar Ornamente in der Kamenzer Straße 45 und in der Holzhofgasse 9. Während seines Studiums an der TU hat Bürger bis 2010 Fassaden und Treppenhäuser in der Neustadt untersucht und teils saniert.

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Ist das Kunst und kann weg?

Ornamente finden sich aber nicht nur in gemalter Form. Sie zieren Fassaden. Sie verbinden und ergeben das Zusammenspiel von Form, Farbe und Tiefenstruktur. Von Haus zu Haus den Bischofsweg entlang. Und das ergibt dann das Schmuckstück von unmoderner Straßenfassade, das sich unterhalb des Alaunparks entlangzieht. Denn heutzutage gelten Häuserfassaden ohne Ornamentik als modern.

Bischofsweg: links unmodern, rechts modern
Bischofsweg: links unmodern, rechts modern

Als Verputzer in den 1990er Jahren ihre Bauleiter während Sanierungsarbeiten an der Fassade fragten, ob dies oder jenes einen Sinn hat und aufgeputzt werden soll oder ob das bloß Kunst sei und weg kann, war die Antwort besiegelt. Die Einsicht in die Sinnhaftigkeit von Ornamentik ist über die Zeit verloren gegangen. Maßgeblicher Entstehungsmoment für diese Theorie ist der Text „Ornament und Verbrechen“ von Adolf Loos.

Ornamentik im Alltag

Der 1908 veröffentlichte Texte hatte nachhaltige Wirkung auf die Interpretation und Gestaltung von Lebensräumen. Es ist ein Plädoyer gegen die Üppigkeit. Spitzbögen auf Dächern, Löwenköpfe an Fassaden, Bögen unter Fenstern, Säulen an Balkönen – wozu eigentlich?

Ein quergelegter Stein zeugt vom Gespräch zweier Bauherren
Ein quergelegter Stein zeugt vom Gespräch zweier Bauherren

Üppigkeit verbessert erstens keinen sozialen und notwendigen Lebensraum und zweitens kostet es Zeit, außerordentliche Fachkräfte und damit zu viel Geld. Der Untergang der Ornamentik war theoretisch angelegt und praktisch schnell umgesetzt. Das Ornament wurde zur Applikation, zu Schmuck. Bestenfalls ausgelagert in einer Schublade für Basisseminare philosophischer Ästhetik. Aber sicher kein Bestandteil von praktischer Stadtplanung.

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Verbrechen & Vergebung

Noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie 2020 lud Professor Bürger die Studierenden seines Seminars der Würzburger Uni vor die Fassaden des Bischofswegs der Dresdner Neustadt.

Dieser Ausflug führte zu Seminararbeiten, die in zoom-Räumen diskutiert worden sind und die dann von Bürger zu jenem eingangs genanntem Buch verfertigt wurden: „Ornament und Vergebung“. Neben der Tatsache, dass das Buch neu Sehen lernt und zum Häuser-Anhören verführt, ist es maßgeblich eine Kritik an Adolfs Loos‘ Text.

Der Bischofsweg: Beinahe selbst ein Ornament
Der Bischofsweg: Selbst ein Ornament

Das Verbrechen besteht heutzutage nicht mehr darin, dass Ornamente sinnloserweise an Fassaden herumhängen und weg können. Das Verbrechen besteht darin, sie weggeschafft zu haben. Denn man geht anders durch Frankfurt am Main und anders durch Straßburg. Ein Spaziergang durch das sogenannte Tannengorbitz oberhalb des Alaunparks fühlt sich wesentlich anders an, als ein Spaziergang unterhalb des Alaunparks den Bischofsweg entlang. Man macht auf diesen Spaziergängen andere Erfahrungen und diese Erfahrungen ergeben sich auch unmittelbar aus den Fassaden, an denen man entlanggeht.
Die Vergebung ist von zweifacher Bedeutung. Das verschwundene Ornament und dessen vergebene Möglichkeiten unseren Lebensraum zu verbessern auf der eine Seite. Aber auch die theoretische Vergebung alleseinnehmender Glättungsphantasien, die sich unwiderruflich derart verheerend auf manches Gebäude ausgewirkt haben, dass es beinahe stumm wurde.

Ornament und Vergebung

Herausgeber: Stefan Bürger
144 Seiten, 194 meist farbige Abb.
28 x 21 cm, Klappenbroschur
ISBN 978-3-95498-706-1

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