Im Oktober ist das Filmtheater „Schauburg“ an der Königsbrücker Straße 95 Jahre alt geworden. Der Neustädter Autor Dietmar Sehn widmet der alten Dame ein paar Zeilen.
In meiner Kinder – und Jugendzeit war ich ein fleißiger Kinogänger, trabte ins Zeitkino im Neustädter Bahnhof, wo Kurzfilme am laufenden Band zu sehen waren. Doch das Lieblings – Kino war die Schauburg. Zwanzig Minuten Gehweg dauerte es mit meinen kurzen Beinen von der Inneren Neustadt zur Königsbrücker Straße.
Die Kinderfilme besuchte ich meist am Sonntagvormittag um 11 Uhr, war aber schon um zehn da. Wer nicht rechtzeitig am Kino war, musste geduldig warten oder hatte Pech, keinen Karte mehr zu erwischen. Die Zeit in der Warteschlange verging schnell, wir Knirpse hatten immer etwas zu erzählen, vor mir, hinter mir. Ich war glücklich, wenn ich die kleine rote Eintrittskarte für 20 Pfennige mein eigen nennen konnte.
Später lockten die Erwachsenenfilme und ich kannte bald alle Filmtheater der Stadt, auch die am Rande der Stadt gelegenen, doch am Besten gefiel mir die Schauburg.
Das Filmtheater „Schauburg“ in Dresden-Neustadt wurde 1927 mit der Premiere des Stummfilms: „Regine, die Tragödie einer Frau“ eröffnet. Der Architekt Martin Pietzsch hatte ein repräsentatives Gebäude mit 1.000 Sitzplätzen geschaffen. Er war „Spezialist für Lichtspieltheater“, seine Handschrift trugen auch andere Filmtheater.
Der Kinosaal in der Schauburg hatte eine indische Deckenbeleuchtung und war ganz in rot gehalten. Vor der Bühne befand sich ein Orchestergraben für das Hausorchester. Die Schauburg verfügte über professionelle Vorführgeräte. Das große Kino lockte mit einem besonderen Glanz und ausgewählten Filmen.
Bereits im Juni 1945 erste Vorstellungen
Die „Schauburg“ blieb im Zweiten Weltkrieg vor Zerstörungen verschont und bereits im Juni 1945 gab es wieder Vorstellungen. Das Theater wurde sogar kurzerhand renoviert und danach für Varieté- und Zirkusveranstaltungen genutzt, so für die Artisten aus dem Zirkus Sarrasani, der im Krieg zerstört wurde.
1950 wurde das Theater umgebaut. Trotz der modernen Ausstattung war altes Flair zu spüren. Hans Seidel stimmte damals die Kinofreunde vor Beginn der Vorstellung auf den Film ein. Er spielte auf der Orgel alte Filmlieder, vielmals aus der Stummfilmzeit. Schließlich erfolgten ein weiterer Umbau und die Umstellung auf Breitwandwidergabe.
Am 18. November 1956, wurde das Kino neu eröffnet. Der sowjetische Farbfilm „Othello“ von Sergej Jutkewitsch hatte Premiere. Die Schauburg war ein Erst- und Uraufführungskino und hier erlebten mehrere DEFA1-Streifen ihre Premiere, so der Zweiteiler über Ernst Thälmann2.
Thälman-Zweiteiler in der Neustadt gedreht
Dreharbeiten gab es unter anderen in der Inneren Neustadt und zahlreiche Dresdner waren als Komparsen tätig. Einen halben Tag wurde in der Rähnitzgasse dieselbe Szene gedreht. Eine Frau stürzte oder wurde aus einem Fenster gestürzt. Immer wieder wurde das Auffangtuch ausgebreitet und so die Szene wiederholt. Barrikaden säumten das Viertel und in Dresden tobte der Hamburger Aufstand.
Das Drehbuch hatte der Schriftsteller Willi Bredel3 geschrieben. Im Film war dann – nicht mal eine Minute lang – dieser Sturz und die Frau, die blutend auf der Straße lag, zu sehen. Dieser Streifen über den Arbeiterführer stand im Pflichtprogramm der Schulen und klassenweise mussten die Kinder ins Kino wandern.
Im Parkett und auf dem Rang waren die Plätze meist ausverkauft. Bis zum Dunkelwerden schmökerten die Besucher im Filmprogramm, Kostenpunkt: zehn Pfennige. Endlich erklang der dritte Gong, das Zeichen zum Filmbeginn. Vor dem Hauptfilm lief meistens die DEFA-Wochenschau – „Der Augenzeuge“ und ein Dokumentarfilm. Besonders beliebt waren die „Stachelschweinfilme“, satirische Kurzfilme.
Die Schauburg lockte an der Außenwand für jeden neuen Streifen mit einem attraktiven Filmplakat. Spektakulär war der Einbau der „Visionsbars“ in den 1970ern. In dieser Bar konnte man durch eine Scheibe den Film verfolgen, der Ton kam über Lautsprecher. Aber im Gegensatz zu den einfachen Kinogästen konnt man hier auch Speisen und Getränke zu sich nehmen.
Wende und Krisen überlebt
Das Kino war für viele Filmfreunde eines der Lieblingstheater, so auch für den späteren Erfolgsschauspieler Peter Sodann4. In der Biografie des Theatermannes steht: „In diesem anheimelnden alten Kino, in dem es immer etwas staubig und miefig roch, verbrachte ich leidenschaftlich gern meine freien Nachmittage.“ In diesem Kino beschloss er, Schauspieler zu werden.
Nach der Wende begann das große Kinosterben für viele Filmtheater, eins nach dem anderen schloss die Türen. Für die „Schauburg“ fand sich ein Investor der das Haus sanierte und 1994 neu eröffnete. Filme liefen Tag und Nacht. Doch die Nachtvorstellungen fielen bald ins Wasser, nachts oder morgens um drei vergnügte man sich anderswo oder schlief in seliger Ruh. In den Jahren 2017/2018 wurde die „Schauburg“ erneut saniert und bekam eine Etage oben drauf und ein Kellerkino. Insgesamt gibt es jetzt fünf Säle.
Trotz Turbulenzen in den letzten Jahren wie etwa der Corona-Pandemie und dem Aufkommen immer besserer Heimkinotechnik und Video-Streaming-Angeboten blieb die Schauburg existent. Heute lockt sie neben wöchentlich neuen Filmen mit Lesungen, Konzerten, Comedy und betreutem Singen. Das Filmtheater ist nun bereits 95 Jahre alt – das älteste Dresdner Kino mitten im Herzen der Neustadt.
Autor Dietmar Sehn
- Der Autor dieser Zeilen ist 1944 geboren und wuchs in der Inneren Dresdner Neustadt auf. In unregelmäßigen Abständen bereichern seine Texte das Neustadt-Geflüster. Er hat mehrere Dresden-Bücher geschrieben. Sein aktuelles Buch trägt den Titel „ Historische Kriminalfälle aus Sachsen“ und ist im Suttonverlag erschienen, ISBN: 9783963033001.
Anmerkungen der Redaktion
1 Die Deutsche Film AG, kurz DEFA, war das bedeutendste Filmstudio in der DDR mit Sitz in Potsdam-Babelsberg.
2 Kommunistischer Politiker in der Weimarer Republik, im August 1944 im KZ Buchenwald nach elf Jahren Haft erschossen.
3 Deutscher Schriftsteller (1901 bis 1964) und Präsident der Akademie der Künste der DDR.
4 Größere Bekanntheit erlangte Peter Sodann als Tatort-Komissar Bruno Ehrlicher.