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Anomia dank Flosse

Es ist ein Dresdner (und Leipziger) Jazzquartett besonderer Art, welches sich, vermutlich unter- bis unbewusst, den wohl besten Zeitpunkt für den Start in eine neue Ära ihrer Musikkarriere gewählt hat: gleich zu Beginn 2023 eine neue Scheibe samt Tour. Doch zuvor, am 15. Dezember – wird quasi als Prolog, das legendäre Neustädter Blue Note beehrt.

Flosse sind Max Diller, Johannes Fricke, Hannes Kempa und Tim Gerwien.
Foto: PR / Lukas Diller

Richtig los mit dem Sprung ins lauwarme Haifischbecken des oft prekären Musikbusiness‘ geht es dann Anfang 2023 mit dem ersten Album „Anomia“, welches am 6. Januar offiziell erscheint und mit dem Release-Konzert in der Friedrichstädter Rösslstube abends darauf präsentiert wird. Vom 12. bis 18. Januar folgt dann eine echte, dichte Tournee durch den Westen: von Tante Betty in Nürnberg übers Erlanger E-Werk und das Frankfurter Mampf bis zum Würzburger Keller Z87 – sieben Auftritte in einer Woche.

Jazzdepartement als Startpunkt

Auf Eigeninitiative der Herren mit bester Musikhochschulbildung, dank deren sie im Geiste von Weber in Dresden zusammenkamen, trifft man sich zuvor im plüschigen Café Combo, offenbar ein beliebter Interviewhort der lokalen Musikszene: Saxophonist Hannes Kempa und Bassist Johannes Fricke erzählen hier vom persönlichen Weg in die Sphären moderner Jazzmusik und zur ersten Platte als wohlüberlegtes und -gereiftes Bandprojekt.

Fricke, Jahrgang 1995 stammt aus der Nähe von Göttingen, seine Eltern sind zwar musikalisch unvorbelastet, dennoch spielte er beizeiten Klavier und Trompete, der Bass in beiden Formen kam später hinzu. Über Schulorchester und diverse Bands wurde der Plan zum Musikstudium immer ernster. Jazz, Rock, Pop an der Hochschule für Musik (HfM) Dresden ist dafür eine der besten Adressen im Lande. Nach dem Musikstudium wagt er jetzt noch ein Geodäsiestudium an der TU.

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Kempa ist Senftenberger des Jahrgangs 1994, ging erst nach Halle, um Erziehungswissenschaft zu studieren, um sich dann doch ganz der Sax-Musik per Studium zu widmen, wobei zum Abschluss nur noch das Abschlusskonzert im Frühling fehlt. Der Schlagzeuger Tim Gerwien stammt aus Bremen und war vorher in Berlin zu Hause, Trompeter Max Diller kommt aus Pforzheim und wohnt jetzt, frisch nach Studiumabschluss, in Leipzig.

Moderner Kreativjazz mit Melodie-Instrumenten

Der Kosmos des Dresdner Studiums gebiert nicht nur die Zusatzausbildung zum Musiklehrer, sondern auch die ersten gemeinsamen Probenerfahrungen in den Hochschulhallen, während sie heute alle auch in anderen Bandprojekten aktiv sind. Bei einem Workshop von Günther Baby Sommer – eine Art Gründungsimpuls – bemerkten sie die persönlichen wie musikalischen Verbindungen. Es passte menschlich wie musikalisch – die Besetzung mit reinen Melodieinstrumenten war so eher zufällig denn programmatisch.

Flosse Cover "Anomia" (2023)
Das Debütalbum heißt „Anomia“ und erscheint am 6. Januar bei Dynamit Platten.

Die Entscheidung für den eigenen Musikstil, den Kempa als Modern Creative Jazz in akustischer Besetzung beschreibt, liegt natürlich ein bisschen auch am Plattenschrank der Vorfahren und an Hörgewohnheiten. Bassist Fricke verweist aber schon auf eine Jugend mit Rockmusik und Hiphop und verweist auf Michael „Flea“ Balzary von den Red Hot Chili Peppers als Idol der Jugend. Für Kempa stand eine Bühnenkarriere länger in Zweifel und er hörte durchaus auch Punkrock – aber seine Eltern würde auf jeden Fall für Flosse-Karten freiwillig bezahlen, scherzt Fricke, während es seinen Oldies wohl zu experimentell wäre.

Im Sommer 2018 gab es im Objekt Klein a das erste Flosse-Konzert – inzwischen sind es so dreißig bis fünfzig Gigs, schätzen sie ad hoc. So stehen in Dresden das Café Combo und das Blue Note, in Berlin die Kunstfabrik Schlot und B-Flat, in Radebeul die Jazz Edition als feines Festival, aber auch das Chemnitzer Weltecho, der Pohrsdorfer Saxstall, das Mannheimer Kazwoo und das Bayerische Jazzweekend Regensburg schon in der Vita. Nun war es an der Zeit für die erste „ordentliche“ Aufnahme als Schaffensquerschnitt – die beiden Tage im Berliner Studio waren schon im vergangenen Jahr, seither wird dran gefummelt, gemixt und gemastert, nun strebt „Anomia“ (nicht zu verwechseln mit Anomie) nach anderthalb Jahren in den gesellschaftlichen Austausch.

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Mit Keule und Planierraupe zu Hansens Holz

Doch was erwartet moderne und kreative Jazzmusikfreunde nun auf der schönen neuen Welt der Scheibe, die beim rührigen Radebeuler Label Dynamite Platten erscheint? Das formulieren sie am besten selbst: „In acht Stücken trifft der Indie Rock der Gegenwart auf Improvisation und offene Formteile, die irgendwo in der Free Jazz Tradition verankert sind. Im Vordergrund steht dabei die Songhaftigkeit der Stücke, die die improvisierten Soli zeitlich selten ausufern lässt und die Wahrung der musikalischen Bögen, trotz aller stilistischen Diversität.“

Flosse im Schlot Berlin
Flosse (hier live im Schlot Berlin) spielen am 15. Dezember im Blue Note. Foto: privat

Man nähme sich die Verspieltheit, wenn sie gebraucht würde, merke aber auch, wenn es Zeit sei, einmal innezuhalten. Das spiegeln nun Titel wie „Hansens Holz“, „Anfängerfehler“, „Ey, Keule“ und „Planierraupe“ – aber keine Angst: Alles bleibt analog akustisch und ohne Gesang. Dem alsbaldigen Test der Beschreibung an der Realität des Klangs in der Musikbar steht nichts entgegen. Der Gig im Neustädter Jazzdepartement gilt als Free- also Hutshow, die Gastgeberempfehlung liegt bei einem Fünfer.

Flosse

  • Konzert am Donnerstag (15. Dezember, 20 Uhr) im Blue Note. Weitere Dresdner Termine 2023: Rösslstube (7. Januar, 20 Uhr) und Tusculum (26. Januar, 20 Uhr)
  • Zur Band

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