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Ein Weihnachtsgeschenk für Dresden (Teil 2)

Als Hans mit seiner Schwester Martha den riesigen Saal der Kuppelhalle betrat, wurden sie fast ohnmächtig. Anderen ging das Herz auf ob der Weite des Raumes. Ahhs wurden von Ohhs oder stillem Staunen abgelöst. Es herrschte so etwas wie eine Magie des Unvorstellbaren, der sich niemand entziehen konnte.

Circus Sarrasani 1931, nachträglich coloriertes Foto von Walter Möbius
Circus Sarrasani 1931, nachträglich coloriertes Foto von Walter Möbius

Dem Seniorchef Stosch-Sarrasani schwebte mit seinem Projekt etwas Einmaliges vor, nämlich ein Bau nach dem antiken Vorbild eines griechischen Amphitheaters. Darunter hätte er das auch nicht gemacht3. Das zeigte sich deutlich in der Rotunde des Zuschauerraumes und, den hiesigen Klimaverhältnissen angepasst, in der metallenen Kuppel.

„Das Publikum sollte sich als Teil des Schauspiels fühlen, sollte sich selbst sehen, sich selbst suggerieren. So schlang sich das Amphitheater hufeisenförmig um den exzentrisch liegenden Kernpunkt“, der Kombination von versenkbarer Manege und mit ihr verbundener Bühne1. Dazwischen befand sich der Orchestergraben.

Somit war der Circus Sarrasani nicht nur für die klassische Zirzensik geeignet, sondern auch für andere Künste, wie die neue Form des Varietés, war offen für Versammlungen und Ausstellungen. Das war eine wichtige ökonomische Bedingung an die Architekten, denn Sarrasani nutzte dieses Haus nur in der kalten Jahreszeit. Die anderen Monate verbrachte man auf Tourneen in der ganzen Welt.

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Gegen die Kälte musste die Herzlichkeit wärmen

Diejenigen, die in Anlehnung an die Semperoper oder das Alberttheater ihre Mäntel an der Garderobe abgaben, holten diese gleich wieder zurück. Es zog nämlich fürchterlich in dem Saal der 5.000. Und die Kälte dieses Dezembertages breitete sich schnell aus. Ein vornehm-festliches Bild kam deshalb nicht zustande, wie die Zeitungen tags darauf schrieben1, 2, 4. Außerdem waren die Garderoben zu klein und die Anzahl der Toiletten zu gering2. Hans und Martha gaben ihre Mäntel ohnehin nicht ab. Der Gaderobenobolus war schlicht zu hoch. Und bis auf ein paar Pfennige hatte Hans nichts dabei.

Die Größe des Saales machte zudem die sonst üblichen Avancen des Sehen und Gesehenwerdens der Residenzgrößen zunichte. Das roch nach einer über die Architektur lancierte Demokratisierung unter den Ständen und lag ganz im Sinne des ursprünglichen Clowns Hans Stosch-Sarrasani. Die Prominenz half sich mit Operngläsern aus.

Sarrasani-Werbung vom 22. Dezember 1912
Sarrasani-Werbung vom 22. Dezember 1912

Und über noch etwas wurde gemosert. Das Haus war nur zu dreiviertel besetzt, was die meckernde Presse auf das Datum 22. Dezember schob. Wie kann man nur am 4. Advent und kurz vor Weihnachten ein solches Ereignis ansetzen, schrieben die Dresdner Nachrichten vorwurfsvoll1. Aber man lobte demgegenüber auch den Vorzug, dass man von jedem Platz, auch von den billigsten, das Geschehen in der Manege und auf der Bühne gut verfolgen konnte. Eine weitere Neuheit: Erstmals in einem Zirkus waren sämtliche Sitzplätze nummeriert.

Majestät erschien und die Show begann

Ganz aufgeregt zeigte Martha in Richtung der Königsloge. Mit dem Eintritt von König Friedrich August III. und seinen drei Söhnen sowie den drei Töchtern erscholl ein dreifaches Hoch, welches die sozialdemokratische Dresdner Volkszeitung „geschmacklos“ fand4. Dann intonierten die beiden Kapellen die Königshymne, die in der Melodie der englischen „God save the Queen…“ gleich war. Nur der Text war ein anderer.

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    Den König segne Gott,
    den er zum Heil uns gab,
    ihn segne Gott!
    Ihn schmücke Ruhm und Ehr,
    ihn flieh der Schmeichler Heer. …

Mit Inbrunst sangen Hans und Martha mit, denn diese Hymne war Pflicht in der Schule.

Und dann begann das Programm, wohlgemerkt ohne Pause! Als Gruß an Dresden präsentierte Herr Stosch-Sarrasani zunächst seinen gesamten Tierbestand und sich selbst natürlich mittendrin. Es war halt stets die Eigenart jedweder Künstler, ob groß oder unbedeutend, sich zu zeigen, geliebt zu werden und Beifall zu erheischen.

200 Pferde umliefen paarweise die Manege. Es folgten Zebras, Büffel, Tapire, Elefanten, Schweine und Kamele, ein boxendes Känguru, Hunde, Gänse, Nilpferde, Seelöwen und, und, und. Das Publikum war begeistert und spürte die Kälte nicht mehr, zudem die mehr als 3.000 Anwesenden als biologische Heizkörper mit all den Nebengerüchen fungierten.

Die legendärere Elefantenparade. Foto aus dem Programmheft.
Die legendärere Elefantenparade. Foto aus dem Programmheft.

Dann kamen die Artisten und die Mitarbeiter des Circus an die Reihe. Aus vieler Herren Länder waren sie dabei: Japaner, Chinesen, Marokkaner, Engländer Türken, Inder. Sie brillierten als Akrobaten, Clowns, Schulreiterinnen, Dresseure, Equilibristen. Sie arbeiteten hinter den Kulissen als Stallmeister, Diener, Ordner, Wärter.

Und dann kam wieder Er.

Eine mittelgroße elegante Gestalt mit klischeehaften blonden Haaren und blauen Augen im tadellosen Frack mit silbergrauer Weste, die zwei Miniaturorden zierte. Auf der Hemdbrust funkelten kleine Hufeisen, von Brillanten gebildet und von Rubinen umrahmt. Von einem Artisten ließ er sich einen dressierten Affen geben. Das Publikum raste und feierte diesen Mann, der es schaffte, sich aus einem kleinen Familienzirkus zum erfolgreichsten Zirkusunternehmer Europas mit dem größten festen Etablissements dieses Kontinents über alle Unwägbarkeiten und Hindernisse hinweg emporzuarbeiten1. Und Hans Stosch-Sarrasani genoss sichtlich diese Ovationen.

Annonce zur Eröffnung des Zirkus
Annonce zur Eröffnung des Zirkus

Dann folgte ein Potpourri weltstädtischer Darbietungen. Die insgesamt vier Stunden Programm waren kein langweiliger Abend. Gern hätte man eine Pause gehabt, um wenigstens die überwältigenden Eindrücke zu verarbeiten, um nur mal das Klo aufzusuchen oder etwas zu essen2. Die umfangreichen Restaurants, wie das Tunnelrestaurant, ein Tagesrestaurant, die Künstlerklause und die Amerikabar, die alle einen Außenzugang hatten, konnten die Premierengäste erst nach der Vorstellung besuchen. Gegen 10 Uhr abends beendete tosender Beifall diese Show der Superlative, die Dresden mit seinem festen Zirkusbau in die Spitzengruppe der Standorte dieser Welt und dieses Unterhaltungsgenres erhob.

Hans und Martha machten sich, müde geworden, auf den Heimweg zur Hechtstraße. Sie ahnten, dass sich ihre Eltern Sorgen machen würden. Aber dieses einmaliges Erlebnis kurz vor Weihnachten werden die beiden Kinder nie vergessen. Es war ein unerwartetes Geschenk. Ihre Eltern hätten sich das auch nicht leisten können und die meisten ihrer Klassenkameraden wohl auch nicht. Mit Normalpreisen begann dann am 1. Weihnachtsfeiertag die erste Saison im Weltstadtzirkus Sarrasani.

(erster Teil)

Anmerkungen des Autors

1 siehe Dresdner Nachrichten vom 23. Dezember 1912
2 siehe Dresdner Neueste Nachrichten 24. Dezember 1912
3 aus Die Weltschau – illustrierte Sarrasani Zeitung vom 22. Dezember 1912
4 siehe Dresdner Volkszeitung vom 23. Dezember 1912
Die Bilder aus dem Inneren des Zirkus und von den Mitwirkenden entstammen der Zeitschrift „Die Weltschau“ vom 22. Dezember 1912.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.